Der vierte lange Kinospielfilm des Regisseurs, Autors und Schauspielers Sebastian Schipper variiert bekannte Erzählmuster des Zum Inhalt: Roadmovies. Mit dem sprechenden Titel Zum Filmarchiv: "Roads" schildert er, wie zwei Jugendliche mit einem Wohnmobil von Tanger nach Calais fahren und sich unterwegs anfreunden. Die Freundschaft, die anfangs aus einer Zweckgemeinschaft erwächst, durchläuft die typischen Phasen vom Kennenlernen über Annäherung, Vertiefung, Krise und Versöhnung. Jenseits der physischen Reise gehen der britische Urlauber Gyllen und der kongolesische Migrant William auf eine innere Reise: Auf der Suche nach einem Platz im Leben lernen sie viel über sich und den Anderen und das Erwachsenwerden.

Roads, Szene (© Studiocanal GmbH)

Auf der Fahrt nach Calais treten nach und nach Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Tage. Beide stammen aus fragmentierten Familien: Gyllens Eltern sind geschieden, er flüchtet aus dem Urlaub mit Mutter und Stiefvater, sein leiblicher Vater lebt mit der schwangeren Lebensgefährtin in Frankreich und Deutschland. William wurde von seiner Familie losgeschickt, den älteren Bruder zu finden, der in Frankreich verschollen ist. Unterschiedlich sind ihre sozioökonomischen Perspektiven in Europa: Hier ein wohlhabender bürgerlicher Brite, der in der EU frei reisen kann, da ein Kongolese, der keine Ausweispapiere hat und zudem noch minderjährig ist. Doch auch der 18-jährige Gyllen ist in einer Umbruchssituation, wobei die Motive seiner Flucht vor der Familie im Unklaren bleiben. Beide träumen von einem anderen Leben, wissen aber nicht, wie sie es erreichen können.

Innere und äußere Reise der Figuren

Die Reise der beiden Protagonisten wird zugleich zu einer Entdeckungs- und Entwicklungsreise. Indem William und Gyllen sich besser kennenlernen und allmählich ihre Vorgeschichten offenbaren, werden sie sich auch der Problemfülle des Gegenübers bewusst. "Aber am Ende des Tages stellen sie fest, dass sie so unterschiedlich gar nicht sind. Sie sind beide einfühlsam, sie kümmern sich. Ihre Freundschaft basiert auf Lernen und Zuhören", sagt Stéphane Bak, der in "Roads" William spielt, im Interview Zum Inhalt: "Auch wenn wir einen anderen Hintergrund haben, können wir Freunde sein". Auch wenn Gyllens Probleme, etwa seine Sehnsucht nach Geborgenheit und Sicherheit, nicht so existenziell sind wie die von William, so wiegen sie für ihn selbst doch ebenso schwer.

Auf ihrer abenteuerlichen Fahrt treffen sie auf etliche Hindernisse und manchmal auch auf unangenehme Zeitgenossen wie etwa an einem Kiosk in Nordfrankreich. Zeitweise fungiert der Wohnwagen als Schutzraum vor der Außenwelt, die beiden schlafen, reden und feiern darin. Während Landschaften und Ortschaften zu allen Tageszeiten an ihren Autofenstern vorbeirauschen, avanciert die schier endlose Straße zu einem Symbol der Freiheit und Entgrenzung. Solche flüchtigen Zum Inhalt: Montagesequenzen werden oft begleitet von der Zum Inhalt: Filmmusik der deutschen Independent-Band The Notwist, die mit ihren melancholischen Klängen die Atmosphäre des Trips nach Norden unterstreicht. Unterwegs durchleben die beiden einen schmerzlichen Prozess der Desillusionierung. Für William gibt es am Ende kein Happy End, er muss seinen verletzten Bruder stützen, dessen Traum von der Überfahrt nach Großbritannien unerfüllt bleibt. Und für Gyllen ist klar: Er wird weder zur Mutter noch zum Vater zurückkehren, sondern muss seinen eigenen Weg gehen.

Roads, Szene (© Studiocanal GmbH)

Migration ist in "Roads" schlicht ein Teil europäischer Gegenwart

Im Zentrum des Filmdramas steht die Freundschaft der beiden jungen Männer, nicht das Thema Migration. Für Sebastian Schipper ist die "Flüchtlingskrise" schlicht ein Teil europäischer Gegenwart, der sich nicht ignorieren lässt. Allerdings gewinnt die Migrationsthematik im Verlauf des Films zunehmend an Gewicht. Steht zu Beginn Gyllen im Zentrum, so rückt später William mit seinen existenzielleren Problemen in den Mittelpunkt. Parallel dazu verändert sich die Tonlage des chronologisch erzählten – und auch chronologisch gedrehten – Films. Zu Beginn gibt es noch humoristische Momente, etwa wenn die Jugendlichen sich vom deutschen Hippie Luttger trickreich das Wohnmobil zurückholen, das er Gyllen gestohlen hat. Je näher das Duo jedoch nach Calais gelangt, umso ernster wird der Erzählton.

Wenn William nach langer Suche in Calais seinen entmutigten Bruder findet, der nach einer schweren, nicht behandelten Verletzung hinkt, erhält die Zum Inhalt: Inszenierung tragische Züge. Zudem wird Gyllen, aus wohlhabenden Verhältnissen kommend, in provisorischen Zeltlagern mit dem Elend der Geflüchteten konfrontiert, eine Erfahrung, aus der er persönliche Konsequenzen zieht. Schipper kehrt in "Roads" thematisch zu seinem viel gelobten Langfilmdebüt "Absolute Giganten" (DE 1999) zurück, das von drei jugendlichen Freunden erzählt, die in Hamburg eine letzte gemeinsame Nacht verbringen. Auch sie durchlaufen auf dem Weg zum Erwachsenwerden ein Wechselbad der Gefühle und suchen nach einem Platz im Leben, bis sie sich trennen müssen. Im Vergleich zu dem Teenagertrio muss die Freundschaft von Gyllen und William jedoch deutlich härtere Proben bestehen.

Populärer Genre-Mix: Roadmovie und Coming-of-Age-Film

Ein Blick in die jüngere Filmgeschichte zeigt, wie groß die Vielfalt an Erscheinungsformen des Zum Inhalt: Genres Roadmovie inzwischen ist, auch bei Filmen mit jugendlichen Protagonisten. So erzählt "Im Juli" (Fatih Akin, DE 1999) von einem deutschen Liebespaar, das auf einem Trip von Hamburg nach Istanbul nach vielen Abenteuern und unglaublichen Zufällen endlich zueinander findet. Im Vergleich zu "Roads" setzt Regisseur Fatih Akin bei dieser Roadmovie-Romanze stärker auf Emotion und Komik. 16 Jahre später schickt er in der Jugendbuchverfilmung (Glossar: Zum Inhalt: Adaption) Zum Filmarchiv: "Tschick" (DE 2016) zwei 14-jährige Jungs auf einen sommerlichen Ferienausflug durch Brandenburg, der von Action-Einlagen geprägt ist und vorrangig typischen Narrativen des Zum Inhalt: Coming-of-Age-Films folgt.

Jugendliche Sinnsuche on the road

14 Jahre alt sind auch die beiden norwegischen Jungs, die in Zum Filmarchiv: "Thilda & die beste Band der Welt" ("Los Bando" , NO/SE 2018) von Regisseur Christian Lo mit einer neunjährigen Cellistin und einem 17-jährigen Fahrer, der sich das Wohnmobil des Bruders "ausgeliehen" hat, zu einem Rockmusikwettbewerb wollen. Der abenteuerliche Trip ist gekennzeichnet durch viel Musik und Humor. Anders als in "Roads" geht es hier nicht um existenzielle Nöte, sondern eher um pubertäre Identitätskrisen, die am Ziel der Reise gelöst werden können.

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In Hans Weingartners Roadmovie "303" (DE 2018) springen zwei Gemeinsamkeiten mit "Roads" ins Auge: Ein Politikstudent aus Berlin fährt in einem Wohnmobil (!) nach Nordspanien, um seinen Vater (!) zu suchen. Die lange Reise mit einer schwangeren Biochemiestudentin ist vor allem durch ausführliche Gespräche über Lebensentwürfe und Identitätsfindung geprägt. Wie in vielen anderen Roadmovies seit dem Klassiker "Easy Rider" (Dennis Hopper, USA 1969) geht es hier weniger ums Ankommen als um das Unterwegssein. Auf der Suche nach Freiheit und Identität reisen die beiden Studierenden quasi zu sich selbst. Dieses Schicksal teilen sie mit Gyllen und zahlreichen Heldinnen und Helden des Genres – weniger jedoch mit William, der ein konkretes Ziel vor Augen hat.

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