Kategorie: Interview
"Auch wenn wir einen anderen Hintergrund haben, können wir Freunde sein"
Fionn Whitehead und Stéphane Bak spielen in "Roads" zwei Freunde. Im Gespräch erklären die beiden, was sie mit ihren Figuren verbindet, warum ihnen das Thema Flucht wichtig ist und wie sie auch abseits des Films richtige Freunde geworden sind.
Der eine ist quirlig und springt ständig auf, der andere sitzt ins Sofa versunken da und beobachtet. Stéphane Bak und Fionn Whitehead spielen in Zum Filmarchiv: "Roads" (Sebastian Schipper, DE/FR 2018) zwei jugendliche Freunde und sind auf den ersten Blick genauso unterschiedlich wie die Filmfiguren William und Gyllen. Bak, 22 Jahre alt, Franzose mit kongolesischen Wurzeln, ist mit 14 von der Schule geflogen und nach einem kurzen Ausflug ins Comedy-Fach Schauspieler geworden. Whitehead, 21 Jahre alt und gebürtig aus London, hatte sein Filmdebüt in Christopher Nolans Kriegsdrama Zum Filmarchiv: "Dunkirk" (GB/USA/FR/NL 2017). Im Gespräch über den Film von Sebastian Schipper verstehen sich die beiden bestens.
kinofenster.de: In "Roads" spielt ihr die Protagonisten William und Gyllen, die im Verlauf des Films zu Freunden werden. Wie würdet ihr diese Freundschaft beschreiben?
Stéphane Bak: Es ist auf jeden Fall eine sehr ungewöhnliche Freundschaft. Die beiden kommen aus unterschiedlichen Teilen der Welt, haben unterschiedliche Hintergründe. Aber am Ende des Tages stellen sie fest, dass sie so unterschiedlich gar nicht sind. Sie sind beide einfühlsam, sie kümmern sich. Ihre Freundschaft basiert auf Lernen und Zuhören.
Fionn Whitehead: Am Anfang sind sie abhängig voneinander: William braucht Gyllen, um nach Europa zu kommen. Gyllen braucht William, um das Auto zu fahren. Sie sind gezwungen, Zeit miteinander zu verbringen. Aber das schweißt sie schnell zusammen. Das Band der Freundschaft ist schnell sehr stark. Einfach, weil sie sich brauchen.
kinofenster.de: Wie seid ihr zu "Roads" gekommen?
Fionn Whitehead: Ich habe das Zum Inhalt: Drehbuch gelesen und wollte die Rolle unbedingt spielen. Allerdings hatte ich damals noch nicht mal einen Führerschein. Das habe ich einfach verschwiegen. Als ich die Zusage bekam, habe ich sofort Fahrstunden genommen. Sechs Tage vor Drehbeginn habe ich die Fahrprüfung bestanden – nachdem ich zweimal durchgefallen war.
Stéphane Bak: Ich habe durch meinen Agenten von dem Drehbuch erfahren, er hat den Kontakt hergestellt. Sebastian Schipper hat mein Video gesehen und ist extra nach Paris gekommen. Wir haben uns kennengelernt und dann habe ich Fionn das erste Mal in London getroffen. Nach wochenlangen Proben haben wir beide die Zusage bekommen, uns dann in Berlin, London und Paris gemeinsam auf den Dreh vorbereitet. Das war ein Prozess, der uns beiden sehr geholfen hat. Denn bei den Dreharbeiten mussten wir die Freundschaft zwischen William und Gyllen gar nicht mehr spielen. Wir waren schon längst Freunde geworden.
kinofenster.de: Wie habt ihr zueinander gefunden und die Freundschaft aufgebaut?
Stéphane Bak: Wir haben Zungenküsse geübt. (lacht)
Fionn Whitehead: Es war einfach die gemeinsame Zeit. Wir haben tagelang mit Sebastian Schipper in einem Raum verbracht und sind immer wieder das Drehbuch durchgegangen. Wenn wir frei hatten, haben wir auch zusammen rumgehangen. Wir ticken ganz ähnlich. Auch das Zum Inhalt: Schauspiel hat uns zusammengebracht. Wenn man in so vielen Szenen gemeinsam vor der Kamera steht, kommt man sich automatisch näher. Spielen ist etwas sehr Intimes. Zumal wir viele Szenen gespielt haben, in denen wir emotional angreifbar waren. Da mussten wir uns einfach vertrauen.
kinofenster.de: Was für einen Bezug habt ihr zu euren Figuren?
Stéphane Bak: Ich habe selbst kongolesische Wurzeln, meine Eltern sind dort geboren. Ich kenne viele Schicksale aus dem Familien- und Freundeskreis meiner Eltern. Geschichten über Leute, die ihre Heimat verlassen und versucht haben, sich woanders ein neues Leben aufzubauen und dort nicht willkommen waren. Aber auch in meinem Alltag spielt das eine Rolle. Ich lebe in Paris, die Flüchtlingskrise ist allgegenwärtig. Deswegen war es mir auch so wichtig, dass wir eine aufrichtige Geschichte erzählen. Und ich bin schwarz. Egal ob in Marokko, Amerika oder Paris – ich erlebe überall Rassismus. Filme helfen, ein Bewusstsein dafür zu schaffen.
Fionn Whitehead: Bei mir ist der Bezug zur Rolle auch ganz ähnlich. Ich bin ein privilegierter weißer Westeuropäer. Ich komme aus London. Gyllen steht stellvertretend für eine ganze Generation. Ein privilegierter, gelangweilter Teenager, der seine Grenzen austesten will. Er fühlt sich isoliert und einsam, will etwas wagen und herausfinden, ob er aufgehalten wird.
kinofenster.de: "Roads" ist ein Zum Inhalt: Spielfilm, dennoch wirken einige Szenen fast schon dokumentarisch (Glossar: Zum Inhalt: Dokumentarfilm), vor allem die in Calais. Wie war es dort zu drehen?
Stéphane Bak: Über Calais wollten wir vor allem die Wahrheit erzählen, wollten einfangen, wie es dort wirklich ist (Anm. d. Red.: Die Calais-Szenen wurden im nahe gelegenen Dunkerque gedreht). Das war herzzerreißend. Einfach zu sehen, was der Staat mit unseren Steuergeldern dort macht. Die Polizei führt sich dort auf, als würde ihnen alles gehören. Wenn wir morgens um sieben Uhr ans Zum Inhalt: Set kamen, haben wir oft Polizisten beobachtet, die sinnlos Zelte zerstören und die Flüchtlinge verprügeln. In London oder Paris vergessen wir das oft. Aber das ist der Alltag vieler Menschen. Gerade deswegen hatten wir die Mission, von ihnen zu erzählen. Calais darf nicht in Vergessenheit geraten.
Fionn Whitehead: Als ich das erste Mal da war, hat es mich echt geerdet. Aber es war gut, denn so haben wir das große Ganze in Bezug zu einem konkreten Ort setzen können.
kinofenster.de: Habt ihr euch mit Geflüchteten unterhalten?
Stéphane Bak: Nicht nur in Calais, auch in Paris und Tanger. Ich habe mit der Einrichtung "Utopia" zusammengearbeitet. Die machen Flüchtlingsarbeit in Paris. Gemeinsam mit einem Freund habe ich dort morgens das Frühstück verteilt. Die Geschichten, die wir dort gehört haben, sind unglaublich. Mir ist wichtig, dass die Zuschauer/-innen wissen, dass alle Geschichten, die wir im Film erzählen, wahr sind. Wir haben eine Verantwortung gegenüber den Menschen und wollen ihren Geschichten gerecht werden.
kinofenster.de: Es gibt im Film eine intensive, auch stilistisch auffällige Zum Inhalt: Szene, in der es um Identitäten geht. Ihr sitzt im Dunkeln, es sind nur eure Gesichter zu sehen und ihr beschreibt euch selbst mit Begriffen wie "Fußballstar", "Kindersoldat", "Astronaut" oder "Missbrauchsopfer". Was bedeutet euch diese Szene?
Fionn Whitehead: Wir haben die Szene aus einem Spiel heraus entwickelt, das Sebastian Schipper mit einem Freund spielt. Eigentlich geht es darum, den anderen zum Lachen zu bringen. Aber im Film bekommt die Szene eine andere Bedeutung. Es ist lustig und düster zugleich. Die Szene ist effektiv, denn wir spielen ganz bewusst mit Vorurteilen.
Stéphane Bak: Für mich ist es der erste Moment, der ihre Freundschaft manifestiert. Sie stellen sich gegenseitig nicht mehr auf den Prüfstand, sie akzeptieren sich. Sie sind einfach nur noch William und Gyllen.
Fionn Whitehead: Sie reduzieren sich in dem Moment auf Vorurteile und Stereotype. Zumindest für all die, die sie nicht kennen. Aber sie sind vielmehr als das. Und sie wissen es.
kinofenster.de: Wie habt ihr für euch herausgefunden, wer ihr seid?
Fionn Whitehead: Noch gar nicht. Denn das ist ein ständiger Lernprozess. Vielleicht sogar der Sinn des Lebens. Herauszufinden, wer man ist und was man machen möchte.
Stéphane Bak: Da möchte ich mit einem Zitat von einem Priester antworten, den ich mal in einer Predigt gehört habe. Er hat gesagt: "Wenn man sich kennt, hat man Macht, aber wenn man sich selbst akzeptiert, ist man unbesiegbar." Das hat mich berührt. Darum geht es vielleicht auch – sich selbst so zu akzeptieren, wie man nun mal ist. Wir sind beide 22 Jahre alt, da wäre es doch vermessen zu sagen, wir wissen schon, wer wir sind (Anm. d. Red: Whitehead war zum Zeitpunkt des Interviews 21).
Fionn Whitehead: Oh, den Ansatz mag ich. Vielleicht geht es gar nicht darum, herauszufinden, wer man ist, sondern mit sich selbst auf dem Weg dahin im Reinen zu sein. Vor allem als Schauspieler. Denn gerade, wenn man sich da noch nicht gefunden hat, will man es allen recht machen und verliert sich selbst aus den Augen.
kinofenster.de: Was sollte man aus dem Film mitnehmen?
Fionn Whitehead: Keine Angst davor zu haben, sich auf andere verlassen zu müssen. Es ist okay, zu reden und sich zu öffnen.
Stéphane Bak: Auch wenn wir eine andere Herkunft, einen anderen kulturellen Hintergrund und andere Konflikte erlebt haben, können wir Freunde sein.