Kategorie: Hintergrund
Ein Kurztrip durch die Geschichte der Roadmovies
Der Wunsch nach Abenteuer und Selbstfindung – das ist es meist, was die Protagonisten/innen von Roadmovies in die Fremde zieht.
Sehnsucht nach Freiheit
Zwei junge Männer fahren auf ihren Harley Davidsons durch den mittleren Westen. Ein festes Ziel haben sie nicht. Sie wollen einfach nur unterwegs sein, frei sein – den Geist Amerikas spüren. Dennis Hoppers "Easy Rider" (USA 1969) ist für viele das Zum Inhalt: Roadmovie schlechthin, sein Titelsong Born to be wild von Steppenwolf (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) dessen Hymne. Der Kinohit der Hippie-Ära markiert die Geburtsstunde eines Zum Inhalt: Genres, das wie kein anderes der Sehnsucht der Jugend nach Freiheit und Identität, nach einem selbstbestimmten Leben und authentischen Erfahrungen Ausdruck verleiht. Weiten durchqueren, Fremden begegnen, dem Unbekannten trotzen, Natur und Einsamkeit erleben – in diesen Grundsituationen des Roadmovies konnte sich seither jede junge Generation aufs Neue wieder finden.
Selbstfindung als Reiseziel
Dabei sind Geschichten über das Unterwegssein natürlich keine Erfindung des 60er-Jahre-Kinos. Sie reichen bis in die Antike zurück, bis zu Homers Odyssee. Und mit seiner Feststellung, dass man nicht reise um anzukommen, sondern um zu reisen, nahm bereits Goethe die Geisteshaltung des Roadmovies vorweg – eines Genres, das die Tradition des Entwicklungsromans gewissermaßen auf die Leinwand überträgt. Für die Protagonisten/innen der Roadmovies wird die Reise in die Fremde nämlich meist auch eine Reise zu sich selbst. Sie müssen Dinge für sich klären und stürzen sich deshalb ins Unbekannte, wo sie sich eigenen Ängsten und Problemen eher stellen müssen als in der vertrauten Umgebung der Heimat.
Tramps und Gangsterpärchen
Auch lange vor "Easy Rider" kamen Filme ins Kino, die man durchaus als frühe Roadmovies bezeichnen könnte: Schon zu Zum Inhalt: Stummfilmzeiten bannte Charlie Chaplin seinen berühmten Tramp ("Der Tramp/The Tramp" , USA 1915) auf Zelluloid. Und unter dem Eindruck der Großen Depression schickte Hollywood seine Filmprotagonisten/innen durchaus häufiger on the road: In Preston Sturges' Komödie "Sullivans Reisen" ("Sullivan's Travels" , USA 1941) etwa oder in John Fords Steinbeck-Verfilmung "Früchte des Zorns" ("Grapes of Wrath" , USA 1940). Aber auch viele B-Filme der Nachkriegsjahre machten die Landstraße zu ihrem Schauplatz (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set): düstere Kriminaldramen vor allem, mit Außenseiterhelden/innen wie das gehetzte Gangsterpärchen in Joseph H. Lewis' "Gefährliche Leidenschaft" ("Gun Crazy" , Joseph H. Lewis, USA 1949).
Rebellen/innen der Straße
Diese Gangsterfilme fanden einige Jahre später enthusiastische Anhänger/innen unter den jungen Autorenfilmern/innen in Europa und den USA und bereiteten so dem modernen Roadmovie den Weg. Jean-Luc Godards "Elf Uhr nachts" ("Pierrot le Fou" , Jean-Luc Godard, FR 1965) oder Arthur Penns "Bonnie und Clyde" ("Bonnie and Clyde" , Arthur Penn, USA 1967) romantisierten die Outlaw-Liebespaare und trafen damit den utopistisch-revolutionären Zeitgeist der 1960er-Jahre, der bis heute im Genre fortlebt: Noch immer sind die typischen Helden/-innen des Roadmovies jung und rebellisch, geben sich mit dem ihnen von der Gesellschaft zugewiesenen Platz nicht zufrieden und hinterfragen das System. Eher selten ist ihr Aufbruch durch materielle Not oder Verfolgung motiviert. Vielmehr ist er dem Verlangen geschuldet, den bürgerlich-kapitalistischen Zwängen zu entfliehen oder der Erwartungshaltung von Eltern und Familie. Nicht zuletzt deshalb bietet das Genre einem jungen Publikum ein enormes Identifikationspotenzial.
Spielwiese für Autorenfilmer/innen
Mit dem Erfolg von "Easy Rider" avancierte das Roadmovie, nicht zuletzt aufgrund seiner vergleichsweise niedrigen Produktionskosten, zum bevorzugten Experimentierfeld junger Independent-Regisseure/innen – und das ist es bis heute geblieben. Im Genre probierten sich auch jene Talente aus, die das New-Hollwood-Kino der 1970er-Jahre maßgeblich prägen sollten. So lieferte Steven Spielberg mit dem mysteriösen Zum Inhalt: Truckerthriller "Duell" ("Duel" , USA 1971) einen originellen Beitrag zum Paranoia-Kino der Nixon-Ära ab, in dessen Filmen die Protagonisten/innen typischerweise gegen bedrohliche Mächte und Verschwörungen ankämpfen müssen: In "Duell" wird die Autoreise eines Geschäftsmannes zu einem Horrortrip, als dieser von dem anonym bleibenden Fahrer eines riesigen Tanklasters verfolgt und tyrannisiert wird. Besonderen Kultstatus unter den Roadmovies jener Zeit genießt "Asphaltrennen" ("Two-Lane Blacktop" , Monte Hellmann, USA 1971), der auch als kritischer Kommentar auf den Lebensstil der amerikanischen Jugend interpretiert werden kann. Darin wird für zwei wortkarge junge Männer, die sich mit einem Fremden ein Rennen quer durch die USA liefern, das Autorennen Lebensinhalt, fast schon Lebensersatz.
Unterwegs in Europa
Auch im europäischen Autorenkino hat das Genre seit den 1970er-Jahren seinen festen Platz. Besonders Wim Wenders inszenierte eine Reihe sehr persönlicher Roadmovies, die sich der existenziellen Suche nach Sinn und Identität widmen – wie etwa "Im Lauf der Zeit" (BRD 1976), einer sensiblen Studie über zwei desorientierte Männer, die zugleich die US-Populärkultur und das Filmemachen reflektiert. Ein ganz anderes Beispiel ist "Leningrad Cowboys Go America" (FI/SE 1989) von Aki Kaurismäki, in dem eine fiktive russische Rockband dem Erfolg hinterherjagt. Der Film ist eine schräge Liebeserklärung ans amerikanische Kino und den Rock'n'Roll, in der der US-Filmemacher Jim Jarmusch in einer Nebenrolle als Autoverkäufer zu sehen ist.
Das etwas andere Roadmovie
Jim Jarmusch zählt zu einer neuen Generation von amerikanischen Independent-Regisseuren/innen, die das Genre in den 1980er- und 1990er-Jahren für sich entdeckten – und gehörig gegen den Strich bürsteten. Mit seinem lakonischen Kultfilm Zum Filmarchiv: "Stranger Than Paradise" (DE/USA 1984) drehte er gewissermaßen ein Anti-Roadmovie, das den Gedanken des "filmischen Entwicklungsromans" ad absurdum führte – ein Film, der das desillusionierte Lebensgefühl der 1980er auf den Punkt brachte. David Lynch inszenierte dagegen mit "Wild at Heart" (USA 1990) einen düster romantischen Trip in die Abgründe der menschlichen Psyche, für die das Bild des nächtlichen Highway als Metapher steht.
Ein dehnbares Genre
Die wenigen Filmbeispiele lassen bereits erahnen, dass sich das Roadmovie zu einem höchst dehnbaren Genre entwickelt hat. Es untergliedert sich in mehrere Subgenres, wie Trucker-, Biker- oder Rennfilme. Seine Spanne reicht von ambitionierten Autorenfilmen bis zu anspruchsloser Kinokost à la "Auf dem Highway ist die Hölle los" (The Cannonball Run, Hal Needham, USA 1981). Und ein Beispiel wie Alexander Paynes "About Schmidt" (USA 2002) über einen Mittsechsziger, der sich in einer Lebenskrise auf eine Reise begibt, zeigt, dass die Heldenrollen von Roadmovies längst auch von älteren Semestern besetzt werden können.
Das wahre Glück
Wenn sich also das Genre als äußerst integrationsfähig erweist, so hat doch seine klassische Form nichts an Faszinationskraft eingebüßt. Das beweist Sean Penns großartiger Film Zum Inhalt: Into The Wild (USA 2007), der auf der tragischen Lebensgeschichte Christopher McCandless basiert. In dem bewegenden Drama eines jungen Aussteigers arbeitet Penn einen Aspekt des Genres heraus, der eher selten Beachtung findet: Dass Roadmovies zwar das Unterwegssein zelebrieren, zugleich aber (fast immer) von der Notwendigkeit von Solidarität, gegenseitiger Anerkennung und Gemeinschaft handeln: So muss der jugendliche Held, als er sich in der Wildnis Alaskas am Ziel seiner Reise glaubt, erkennen, dass wahres Glück nicht in der Einsamkeit, sondern nur im Zusammensein mit Anderen zu finden ist – in der Gemeinschaft mit den Menschen, denen er zuvor begegnet ist.