In Zum Filmarchiv: "Solo: A Star Wars Story" (Ron Howard; USA 2018) spielte Donald Glover eine markante Nebenrolle, in der Neuverfilmung Zum Filmarchiv: "Der König der Löwen" ("The Lion King" , Jon Favreau, USA 2019) synchronisierte er nun Simba. Daneben reüssiert der 1983 geborene US-Amerikaner als Musiker und Comedian sowie Autor und Regisseur der gefeierten TV-Serie "Atlanta" . Im Mai 2018 landete das Multitalent unter seinem Musikerpseudonym Childish Gambino einen viralen Hit, als seine Single This is America binnen weniger Stunden millionenfach geklickt, kommentiert und analysiert wurde. Das dazugehörige Musikvideo von Hiro Murai ist untrennbar mit der Gesellschaftskritik des Songs verbunden.

Ein Schockmoment im Unterhaltungsformat

"This is America", beginnt Donald Glover in dem Video die erste Strophe des Songs, nachdem er einem älteren Mann, dessen Gesicht von einem Sack verhüllt ist, aus nächster Distanz in den Hinterkopf geschossen hat. Glover übergibt die Mordwaffe einem Teenager, der sie in ein rotes Tuch hüllt, während zwei andere Teenager im Hintergrund den leblosen Mann wegschaffen.

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In der knappen Minute davor deutet nichts auf diese Gewalteruption hin, auf die in dem vierminütigen Clip weiteres Chaos folgt. Das erste Bild zeigt eine karge Industriehalle (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set), in der ein rot bezogener Stuhl steht, darauf eine Akustikgitarre. Ein älterer Schwarzer setzt sich und spielt auf dem Instrument. Die Kamera gleitet (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) zu melodischen Afro-Folk-Rhythmen und Gospel-Gesängen näher und gibt die Perspektive auf Glover frei, der zuvor hinter einer Steele stand. Der Musiker tritt mit freiem Oberkörper auf, in grauer Jerseyhose (Glossar: Zum Inhalt: Kostüm/Kostümbild) im Stil der Konföderierten aus dem Amerikanischen Bürgerkrieg, und Ketten um den Hals, die für zweierlei stehen könnten: für den Materialismus (nicht nur) der modernen Hip-Hop-Kultur oder – im übertragenen Sinn – für die fesselnden Ketten der Sklaverei. Glover tänzelt abgehackt-schwungvoll auf die Kamera zu. Dann fällt der Schuss, und die Musik wechselt abrupt zu düsteren Trap-Beats.

Musikvideo voller politischer und popkultureller Anspielungen

Der Kontrast zwischen tänzerischer Unterhaltung und chaotischer Gewalt gibt auch im Folgenden den Takt an. Der von einer schuluniformierten Tanzgruppe flankierte Glover tanzt, rappt und grimassiert im Vordergrund, während im Hintergrund ein Aufstand entflammt. In der Choreografie (Glossar: Zum Inhalt: Mise-en-scène/Inszenierung) erinnern zig Referenzen an historische und gegenwärtige Rassismus-Erfahrungen der afroamerikanischen Community: Extremistische Anschläge und Polizeigewalt sowie Proteste wie von Black Lives Matter stehen neben kulturgeschichtlichen und popkulturellen Zitaten. Da wäre der Gospelchor, den Glover mit einem Maschinengewehr niederschießt, eine deutliche Anspielung auf das 2015 erfolgte Massaker in einer Baptisten-Kirche in Charleston. Zwischendurch erahnt man Moves von Michael Jackson, dann welche von Rihanna; darüber hinaus schalten sich im Hintergrund bekannte Rapper wie Young Thug oder 21 Savage mit sogenannten Adlibs (kurzen Zwischenrufen) ein.

Das vielleicht wichtigste Zitat ist die marionettenhafte Pose, die Glover gleich zu Beginn einnimmt. Ein Verweis auf das rassistische Stereotyp "Jim Crow", das in den "Minstrel-Shows" des 19. Jahrhunderts der öffentlichen Belustigung über Schwarze diente. Damals traten weiße Schauspieler/-innen mit Blackfacing auf – nun erobert der afroamerikanische Entertainer die Deutungshoheit zurück. Auf dem Höhepunkt des Clips brennt ein Auto und ein Vermummter galoppiert auf weißem Pferd durchs Bild, was an die apokalyptischen Reiter aus der Offenbarung des Johannes, aber auch an den Ku-Klux-Klan gemahnt: Düstere Vorahnungen zu den race riots der Gegenwart. Ein Schwenk über eine Empore zeigt Jugendliche, die mit ihren Smartphones filmen. Das Handy als Werkzeug ("This celly, that’s a tool"): ein Verweis auf die zunehmenden Videos von Menschen, die Polizeiübergriffe dokumentieren. Beim abschließenden Finale flüchtet Glover dann vor einem Mob aus der Halle, die mehr und mehr wie ein Gefängnis wirkt. Mit grotesk aufgerissenen Augen erinnert an den Protagonisten der Rassismus-Satire "Get Out" (Jordan Peele, USA 2017).

Weckruf gegen Waffengewalt – mit einem weltweiten Echo

Bild, Text und Musik bilden in "This is America" eine untrennbare Einheit. Die Bedeutung entsteht aus der Reibung zwischen den Ebenen, wenn die Lyrics und Rhythmen das Gezeigte kontrastieren oder unterfüttern. Inszenatorisch setzt Regisseur Hiro Murai auf Zum Inhalt: Plansequenzen, die mittels Reißschwenks fließend ineinander übergehen: Der erste von nur vier sichtbaren Schnitten (Glossar: Zum Inhalt: Montage) erfolgt erst nach einer Minute und 40 Sekunden. Wo Videoclips oft eine hohe Schnittfrequenz haben, lenken die ruhigen Kamerafahrten von Larkin Seiple den Blick auf Details. Der zentrale Clou der Bildgestaltung ist, dass der Tanz und die Anklage als Vorder- und Hintergrund gleichzeitig im Bild stattfinden. Einerseits lenkt die Choreografie als einlullendes Spektakel vom Chaos ab. Andererseits ist die Performance ein Protest gegen Gewalt und Unrecht.

Vom vierten bis sechsten Mai 2018 veranstaltete die US-amerikanische National Rifle Association (NRA) ihre jährliche Hauptversammlung. Ausgerechnet in Dallas, dem Ort des Attentats auf John F. Kennedy, unterstrich der neue US-Präsident Trump das Recht auf Waffenbesitz. Am letzten Versammlungstag ging "This is America" als geschickt platzierte, bittere Replik online – und wurde prompt zum Musikvideo des Jahres. Bis heute verzeichnet der virale Clip über 578 Millionen Aufrufe. Doch obwohl Glover innenpolitische Debatten der USA um Waffenbesitz und Rassismus thematisiert, inspirierte er weltweit Rapper zu Remakes des Videos über die Missstände in ihren Heimatländern (von "This is Iraq" bis zu "This is Dominican Republic"). Ein Protestvideo mit einem so universellen Konzept, das seine Botschaft offenbar weltweit verstanden wird.

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