Es ist Sommer, heiß und stickig. Nora beobachtet die Welt um sich herum und sich darin. Für sie ist es ein Sommer der ersten Male, ein Sommer der Metamorphose vom Kind zur jungen Frau: die erste Periode, das erste Verliebtsein, der erste Kuss; neu wahrgenommene Körperlichkeit, aufkeimendes sexuelles Begehren, ein gebrochenes Herz. Mit befreiender Natürlichkeit erzählt Leonie Krippendorffs Film Zum Filmarchiv: "Kokon" eine Geschichte vom Erwachsenwerden und findet dabei eine Bildsprache, die Sinnlichkeit und jugendliche Körperwahrnehmung, Sinn- und Identitätssuche vermittelt. Damit gesellt sich "Kokon" zu einer Reihe aktueller Zum Inhalt: Coming-of-Age-Filme, die sich gleichermaßen sensibel wie bestimmt den komplexen Fragen des Erwachsenwerdens widmen und für Unsicherheiten wie für Sehnsüchte in der Pubertät eigenständige Bilder entwickeln. Gerade weil sie dabei nicht davor zurückschrecken, auch schwierige Themen zu betrachten, öffnen sie Erlebnisräume die stereotypisierte Körper- und heteronormative Rollenbilder aufbrechen, den Aufbau schablonenhafter Projektionsflächen verhindern und junge Menschen bei ihrer Suche nach dem eigenen Ich bestärken.

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Gemein ist den Filmen eine intensive, mitunter physische Erzählform, die sich Zeit nimmt, innere und äußere Entfaltungen ins Bild und in den Blick zu rücken. Egal ob sie dabei die Entwicklung vom Kind zum Erwachsenen wie in Zum Filmarchiv: "Boyhood" (Richard Linklater, USA 2014) oder Zum Filmarchiv: "Moonlight" (Barry Jenkins, USA 2016) über mehrere Jahre hinweg erzählen, sich wie in Zum Filmarchiv: "Mit Siebzehn" ("Quand on a 17 ans" , André Téchiné, FR 2016) oder "Girl" (Lukas Dhont, BE 2018) etwa ein Schuljahr dafür nehmen oder sich die Handlung wie in Zum Filmarchiv: "Mustang" (Deniz Gamze Ergüven, FR/TR/DE 2015) , Zum Filmarchiv: "Rafiki" (Wanuri Kahiu; KE 2018) und "Kokon" , "Sunburned" (Carolina Hellsgård, DL/NL/PL 2019) oder "Booksmart" (Olivia Wilde, USA 2019) über einen Sommer oder nur wenige Tage erstreckt – immer wieder lassen sich die Filme Zeit für eindringliche Augenblicke und Beobachtungen. Die Kamera schaut nicht weg, sondern ganz bewusst hin; deutet nicht an, sondern verweilt auf Körperpartien. Schweigen wird nicht unangenehm, sondern schafft Raum für Sinnlichkeit. Wenn ein Schmetterling auf Noras nackter Haut sitzt, scheint man die Berührung selbst zu spüren.

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Offene Sichtweisen statt Voreingenommenheit

Die Momente des Erwachsenwerdens, die diese Filme betrachten, sind sehr verschieden. Alle folgen sie jedoch offenen Betrachtungsweisen, die unterschiedliche Identitätskonstruktionen gleichberechtigt behandeln. Nicht zu wissen, wer man ist oder wen man liebt, ist irritierend und verunsichernd, darf und soll aber Teil und Ausdruck einer Suche sein, die nicht gleich – vielleicht nie – abgeschlossen sein muss. Ganz bewusst werden Figuren oft eindeutigen oder vermeintlich vollständigen Zuschreibungen entzogen. Ob Nora nun lesbisch ist, weil sie sich in Romy verliebt hat, wird "Kokon" nicht beantworten. In "Moonlight" , der vom Erwachsenwerden eines schwulen Afroamerikaners erzählt, fällt das Wort Homosexualität kein einziges Mal. Und "Girl" muss Lara nicht als Transmädchen bezeichnen, um zu erzählen, dass sie sich im Körper eines Jungen gefangen fühlt.

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Zugleich werden Wort-, Bild- und Emotionstabus bewusst gebrochen. Über Menstruation, Sex und Geschlechtsumwandlung wird offen gesprochen, Unsicherheit durch einen ungenierten Umgang abgebaut. Wenn Damien und Thomas aus "Mit Siebzehn" schließlich miteinander schlafen, überdeckt keine Zum Inhalt: Musik die Verlegenheit eines ersten Mals. Wenn Nora auf der Schultoilette das Menstruationsblut aus ihrer Unterwäsche reibt, versteckt keine sich zurückziehende Kamera der Unbeholfenheit des Moments. Es sind ungewohnte und ungeschönte Bilder, die aber gerade in der Darstellung der Normalität besonders zugänglich sind.

Der Zustand des Dazwischen-Seins

Den schwer greifbaren Übergang vom Kind zum Jugendlichen zum Erwachsenen bringen die Filme immer wieder in Licht- und Farbakzenten zum Ausdruck. Wenn Gesichter zwischen Sonne und Schatten (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) stehen, wenn Körper von changierenden Blau- und Neonfarben umhüllt werden, wird der Zustand des Dazwischen spürbar. Schillernde und grelle Farben (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) strahlen einen Zauber aus, der sich den Herausforderungen des Erwachsenwerdens selbstbewusst entgegenstellt. Überhaupt scheinen die Filme spielerische Momente zu nutzen, um die Brüche, die sich vollziehen, aufzuzeigen, in metaphorischen oder poetischen Erzählmomenten Bilder für diffuses Innenleben zu finden. Waren Körperberührungen beim Wasserballspiel für Nora gestern noch selbstverständlich, lösen sie heute unvermittelt Begehren aus. Die durchnässte Kleidung der im Wasser herumtollenden Schwestern in "Mustang" zeichnet plötzlich die Körper heranwachsender Frauen ab und ein Versteck ist nicht mehr nur Rückzugsort, sondern öffnet Raum für Intimität. In einzelnen Bildern werden kindliche und erwachsene Blicke miteinander konfrontiert. Was bis eben ein absichtsloses Spiel oder eine ahnungslose Berührung war, wird plötzlich mehrdeutig, ist auf einmal sexuell konnotiert oder unangemessen.

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Körper in der Veränderung – zwischen Gestaltung und Aggression

Während für die einen die spielerische Veränderung des Äußeren zum Spiegel innerer Entwicklung wird, münden Selbstkonflikte bei den anderen in einen kraftvollen, teils zerstörerischen Umgang mit dem eigenen oder fremden Körper. Über (Ver-)Kleidung und Frisuren (Glossare: Zum Inhalt: Kostüm/Kostümbild und Zum Inhalt: Maske/Maskenbild) wachsen die Figuren in neue Formen des Ichs. Im Einhorn-Kostüm ihrer Mutter kann Nora zum ersten Mal selbstbewusst zu sich stehen. In Party-Outfits stoßen Amy und Molly aus "Booksmart" ihre Persönlichkeitsentwicklung an, schlüpfen in neue Rollen, probieren sich in diesen aus und lernen sich selbst durch die Befreiung von Erwartungsnormen besser kennen. Anderswo kippt das Spiel in Gewalt. Wenn sich Damien und Thomas einen Faustkampf liefern, finden ihre zärtlichen Empfindungen Ausdruck in rauer Aggression. Nicht nur in "Mit Siebzehn" auch in "Kokon" , "Sunburned" oder "Rafiki" stehen gebrochene Arme, blaue Flecken und sonnenverbrannte Haut für die Schwierigkeit, Emotion und Kraft zu steuern, im eigenen Körper zu stehen, veränderte Beziehungen oder nonkonforme Rollenbilder auszuhalten. Wie weit der zerstörerische Umgang mit dem eigenen Körper reichen kann, führt "Girl" ins Extreme, wenn Lara ihren verhassten Penis unter Tape versteckt, sich letztlich gar brutal davon befreien will.

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Für die Zeit der Pubertät finden die Filme klare und unverkennbare Bilder. Sie wollen dabei aber nicht den Anschein erwecken, einfache Antworten geben zu können. Vielmehr wollen sie aufrichtig und unverfälscht einem jungen Publikum vermitteln, dass Unsicherheit und Zerrissenheit dazu gehören, wenn man seinen eigenen Weg gehen und selbst entscheiden will, wer man sein will.

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