Die Stumm- und frühen Tonfilme der Weimarer Republik wirken auf ein heutiges Publikum zunächst fremd. Doch wer sich darauf einlässt, kann sich ihrer Magie und teils avantgardistischen Ästhetik kaum entziehen. Das gilt nicht nur für die Klassiker des expressionistischen Films, der das Magische und Okkulte zum Kunstprinzip erhob. Bereits 1919, nur ein Jahr nach Ende des Ersten Weltkriegs und zeitgleich mit Robert Wienes Zum Inhalt: Das Cabinet des Dr. Caligari, lieferte Ernst Lubitsch mit "Madame Dubarry" ein freches Boudoirstück, angesiedelt zur Zeit der Französischen Revolution. Das deutsche Kino zwischen 1918 und 1933 hatte alles zu bieten: Es gab Unterhaltung auf jedem Niveau, elegant bei Lubitsch, rasant und abenteuerlich beim Kriminalfilmer Harry Piel. Massenware war gefragt, für ein Massenpublikum, das nach Ablenkung lechzte und mit 400 bis 500 Filmen pro Jahr versorgt wurde. Doch gerade als neues Massenmedium genoss der frühe Film nur wenig Wertschätzung: Nur zehn Prozent des deutschen Stummfilmerbes (Glossar: Zum Inhalt: Stummfilm) sind heute noch erhalten, darunter vor allem die stilbildenden Klassiker der Filmkunst.

Licht und Schatten – die Filmkunst des Expressionismus

"Nosferatu", © Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Schon der Begriff Filmkunst ist untrennbar verbunden mit dem Zum Inhalt: Expressionismus, bis heute wohl die deutsche Kunstrichtung schlechthin. Filme wie F.W. Murnaus Vampirklassiker Zum Filmarchiv: "Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens" (DE 1922) oder "Der Golem, wie er in die Welt kam" (Paul Wegener, Carl Boese, DE 1920) waren zuallererst eine Absage an den Realismus. Als Ausdruck des Psychologischen sollte der "phantastische Film", wie er damals genannt wurde, die filmspezifischen Gestaltungsmittel radikal nutzen. Legendär wurden der harte Kontrast von Licht und Schatten (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) und die schrägen Theaterkulissen als Sinnbild einer verzerrten Wahrnehmung der Welt.

Verunsicherung und Sinnsuche

Doch gerade als Ausdruck geistiger Extremzustände waren diese Vorläufer des modernen Zum Inhalt: Horrorfilms weniger reine Kunst als Zeugnisse einer krisenhaften Zeit. In den "Dämonen der Leinwand" (Lotte Eisner) bündelten sich die Ängste einer durch Krieg und Inflation verunsicherten Gesellschaft. In Robert Wienes "Das Cabinet des Dr. Caligari" , dem Hauptwerk des "Caligarismus", sieht man unschwer einen Angriff auf den wilhelminischen Militarismus – Dr. Caligari ist Leiter einer Irrenanstalt, der sein Medium Cesare zum Mörder abrichtet. Mit einer ebenso unheimlichen Autoritätsfigur, "Dr. Mabuse, der Spieler" (DE 1922), schuf Fritz Lang einen modernen Superverbrecher, der als Verkleidungskünstler und Börsenspekulant die Welt in den Abgrund reißt. Der Kritiker Siegfried Kracauer sah hier einen typisch deutschen Fatalismus am Werk, der bald in der nächsten, noch schlimmeren Katastrophe, nämlich dem Nationalsozialismus, münden sollte. Doch Von Caligari zu Hitler, so der Titel seines 1947 veröffentlichten Essays, führt kein direkter Weg. Nicht nur fand der deutsche Film mit seinen genialen Schreckgespenstern in der ganzen Welt Beachtung. Mit der wirtschaftlichen Konsolidierung ab etwa 1925 war der "schöne Spuk" vorbei, drang das Alltagsleben mit Macht auf die Leinwand.

Von der Straße zur Neuen Sachlichkeit

"Der letzte Mann" von F.W. Murnau, Deutschland 1924 (Foto: Deutsche Kinemathek)

Deutsche Kinemathek

Am Anfang der Neuen Sachlichkeit standen die "Straßenfilme" wie Karl Grunes "Die Straße" (DE 1923), mit den Filmen G.W.Pabsts ("Die freudlose Gasse" , DE 1925) waren sie bereits Medium der Sozialkritik und anerkannte Kunst. Erzählt wurde von Kleinbürgern/-innen und gefallenen Mädchen in einer Welt glitzernder Verlockungen, oft mit pessimistischem Unterton. Einen wichtigen Übergang bildet F.W. Murnaus "Der letzte Mann" (DE 1924). Noch ist seine Geschichte eines alternden Hotelportiers, gespielt von Emil Jannings, in vielem dem Expressionismus verhaftet. Doch eigentlicher Star des Films ist Karl Freunds "entfesselte Kamera": Ob glänzendes Hotelfoyer oder trister Berliner Hinterhof – aus nackter Realität wird Filmmagie ohne falschen Schrecken und Hokuspokus. Kameramann Freund ersann mit um den Leib gebundenem oder auf Fahrräder geschnalltem Gerät Kamerafahrten (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen), die auch den deutschen Film beweglicher machten – angesichts der klobigen Apparate eine Meisterleistung.

Fritz Lang und sein Wandel hin zum Realismus

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Nirgendwo ist der technische und ideologische Wandel hin zur Neuen Sachlichkeit deutlicher abzulesen als im Werk Fritz Langs. Mit populären Unterhaltungs- und Kolportagefilmen hatte er angefangen. Binnen kurzem war er der Mann für aufwändig produzierte "Großfilme". "Die Nibelungen" (DE 1924) galten als das deutsche Heldenepos schlechthin. Der höchst erfolgreiche Zweiteiler der mächtigen Produktionsgesellschaft UFA lieferte Expressionismus in Reinkultur – schroff und bedeutungsschwer. Dasselbe lässt sich von Zum Filmarchiv: "Metropolis" (DE 1926) sagen, ein düsterer Zukunftsalptraum mit halbgarer Sozialkritik, religiös verbrämtem Okkultismus und zweifelhaftem Happy End. Heute gefeiert als Beginn des modernen Zum Inhalt: Science-Fiction-Films, traf die filmtechnische Meisterleistung nicht den Nerv der Zeit. Die UFA ging fast pleite. Lang nahm Abstand von weiteren Großfilmen und wandte sich dem aktuellen Geschehen zu: Zum Filmarchiv: "M" (DE 1931), sein zeitloser Klassiker, analysiert moderne Phänomene wie organisiertes Verbrechen, Skandaljournalismus und Massenhysterie am Fall eines Kindermörders. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten wurde der Film verboten, ebenso wie die Filmfortsetzung Zum Inhalt: Das Testament des Dr. Mabuse (DE 1933). Fritz Lang ging ins Exil.

Liberalisierung von Sexualität und Moral

"Menschen am Sonntag " von Robert Siodmak, Deutschland 1930

Deutsche Kinemathek

Fliehen mussten auch jüngere, vor allem jüdische Filmemacher/-innen, die noch gar nicht richtig angefangen hatten. Billy Wilder und Robert Siodmak etwa wurden erst in Hollywood zu Stars. Was verdanken sie dem Weimarer Kino? Ihr experimenteller Laienfilm Zum Inhalt: Menschen am Sonntag (DE 1930), den sie gemeinsam verwirklichten, scheint die dunklen Schatten ganz vertrieben zu haben. Stattdessen sieht man die Weimarer Epoche selbst, in all ihrer Lust nach Urbanität und Modernität, sieht Ladenmädchen und Mannequins mit ihren Verehrern auf der Busfahrt zum Wannsee, die Irrungen und Wirrungen der Liebe auf dem Tretboot zum kleinen Glück. In nur wenigen erhaltenen Filmen wurden die liberalisierenden Tendenzen der Zwischenkriegszeit – der Geist der Reformbewegungen, die Demokratisierung der Arbeitswelt und ein neues Verhältnis zu Sexualität und Moral – so beherzt aufgegriffen. Sucht man eine geistige Verwandtschaft, findet man sie am ehesten in Walter Ruttmanns Avantgarde- Zum Inhalt: Dokumentation "Berlin – Die Sinfonie der Großstadt" (DE 1927), die den Bewegungsrhythmus der Stadt – Fließbänder, Schnellrestaurants, öffentliche Verkehrsmittel, Freizeitvergnügen, Nachtleben – in eine tollkühn geschnittene Feier der Lebendigkeit umsetzt, atemlos und von sich selbst begeistert.

Thematische Vielfalt der 1930er-Jahre

In der Spätphase der Weimarer Republik war das deutsche Kino so vielfältig wie nie. Die UFA, mittlerweile dem NS-Verleger Alfred Hugenberg zugeschlagen, drehte am Fließband Unterhaltungsware wie "Die Drei von der Tankstelle" (Wilhelm Thiele, DE 1930) – ohne kulturbildenden Anspruch, aber mit Erfolg und vor allem: mit Ton! Talente wie Heinz Rühmann, Willy Fritsch und Lilian Harvey wurden über Nacht zu Publikumslieblingen. Am anderen Ende der politischen Skala rief die Prometheus Film mit dem "proletarischen Film", etwa Zum Inhalt: Kuhle Wampe oder: Wem gehört die Welt? (Slatan Dudow, DE 1932), nach einem Zum Inhalt: Drehbuch von Bertold Brecht, zum Klassenkampf. Dem jungen Max Ophüls gelang mit "Die verkaufte Braut" (DE 1932) die erste Opernverfilmung, dem aufstrebenden Josef von Sternberg mit der Literaturverfilmung Zum Inhalt: Der blaue Engel (DE 1930) ein Welterfolg.

Tanz auf dem Vulkan

Dieser internationale Erfolg war es über all die Jahre gewesen, der die größten Künstler/-innen gen Hollywood wandern ließ. Von Sternberg und Marlene Dietrich, Star im "Blauen Engel" , folgten Ernst Lubitsch, der schon 1922 gegangen war. Heute wissen wir: Die kulturelle Blüte der Weimarer Ära glich, spätestens seit der Weltwirtschaftskrise zu Beginn der 1930er-Jahre, einem Tanz auf dem Vulkan. Nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten retteten sich Filmschaffende wie Fritz Lang, Max Ophüls, Robert Siodmak und viele andere durch die Emigration das Leben. In Hollywood erlebten sie eine künstlerische, politische und gesellschaftliche Freiheit, die in Deutschland ein abruptes Ende gefunden hatte.

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