Berlin im Sommer 1929. Als Wolfgang die junge Christl allein im Feierabendtrubel auf einer Verkehrsinsel am Zoologischen Garten erspäht, wittert der selbstbewusste Weinvertreter seine Chance: Kurzentschlossen lädt er die Filmkomparsin auf einen Eiskaffee ein – und schon bald darauf steht die Verabredung für den morgigen Sonntag: Um 10 Uhr in Nikolassee! Am Treffpunkt erscheint Christl anderntags mit ihrer Freundin Brigitte, einer schüchternen Schallplattenverkäuferin. Auch Wolfgang hat Begleitung im Schlepptau, seinen Kumpel Erwin, ein jovialer Taxifahrer, dessen Mannequin-Freundin Annie nach einem Streit am Vorabend lieber im Bett geblieben ist. So ziehen sie zu viert los durch den Kiefernwald zum Badestrand. Und kaum hat sich das Quartett zum Schwimmen umgezogen, spielen auch schon die Hormone verrückt. Als sich Wolfgang allerdings Christl im Wasser allzu dreist nähert, zeigt sie ihm die kalte Schulter. Den Frauenheld irritiert das nur kurz. Er richtet sein Interesse fortan auf Brigitte - sehr zum Ärger ihrer Freundin. Und so entwickelt sich zwischen Picknick und Tretbootfahren ein turbulenter Ausflugstag.

"Menschen am Sonntag " von Robert Siodmak, Deutschland 1930

Deutsche Kinemathek

"Menschen am Sonntag" ist ein Solitär der Filmgeschichte: Ein unterhaltsamer semidokumentarischer (Glossar: Zum Inhalt: Dokumentarfilm) Low-budget-Stummfilm, der, obwohl das Tonfilmfieber damals bereits grassierte, zum Sensationshit des deutschen Kinojahres 1930 avancierte: Das Publikum erkannte sich auf der Leinwand wieder. Entwickelt wurde die Filmidee von einer Gruppe junger Kino-Enthusiasten aus dem Dunstkreis des Romanischen Cafés, dem Berliner Intellektuellen-Hotspot der Weimarer Zeit. Viele der nur wenig filmerfahrenen Beteiligten, darunter Billy Wilder, die Brüder Siodmak, Fred Zinnemann und Edgar G. Ulmer, flohen einige Jahre später vor dem NS-Regime nach Hollywood und machten dort Karriere. Vor allem Robert Siodmak ( Zum Inhalt: Regie) und Eugen Schüfftan (Kamera) ist es zu verdanken, dass das mit Laiendarsteller/-innen in freier Natur, auf der Straße und in echten Wohnungen (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) realisierte Projekt nicht im Chaos endete und so heute als Vorläufer des Zum Inhalt: Neorealismus gilt. Mit seiner zeitlosen Leichtigkeit, seinem bissigen Witz und dem scheinbar belanglosen Thema ähnelt "Menschen am Sonntag" allerdings mehr noch den frühen Filmen der Zum Inhalt: Nouvelle Vague: Wie kein anderer Film fängt er den Alltag und das Lebensgefühl der jungen Generation im Berlin der Goldenen Zwanziger ein.

Auch für Schüler/-innen, die nicht mit Zum Inhalt: Stummfilmen vertraut sind, ist "Menschen am Sonntag" leicht zugänglich. Für den schulischen Einsatz enthält er zudem viele gute Ansatzpunkte: Im Fach Deutsch bietet sich eine Figurenanalyse an, die die Protagonist/-innen (sie spielen sich quasi selbst) als typische Vertreter/-innen des jungen großstädtischen Kleinbürgertums der 1920er-Jahre herausarbeitet: Was zeichnet sie aus? Worin liegt ihre Modernität – etwa was Berufe, Mode, Freizeitverhalten oder auch das Rollenverständnis und die Moralvorstellungen betrifft? Worin unterscheiden sich die fünf von heutigen jungen Erwachsenen – und worin gleichen sie ihnen? Im Kunstunterricht können die Schüler/-innen den Film als Anregung nehmen, um ein Filmskript oder eine Fotostory zum Thema "Ein Sommersonntag mit Freund/-innen" zu entwickeln. Auch die Bezüge des Films zur Kunst und Literatur der Weimarer Moderne können untersucht werden: "Menschen am Sonntag" wird oft der Neuen Sachlichkeit zugerechnet. So lässt Schüfftans herausragende Kameraarbeit mit ihren originellen Zum Inhalt: Perspektiven, ihrer Zum Inhalt: Beweglichkeit und ihrem Faible für Licht- und Schattenwirkungen (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) eine Inspiration durch die fotografischen Neuerungen des Neuen Sehens erahnen. Aus heutiger Sicht wird die Weimarer Republik oft als krisenhafte Ära wahrgenommen. In diesem Zusammenhang kann eine dokumentarische Zum Inhalt: Sequenz des Films beleuchtet werden, die stark im Kontrast steht zur sonnigen Strandszenerie: Sie zeigt das sonntägliche Berlin als düstere, beinahe ausgestorben wirkende Stadt. Welche (gesellschaftlichen) Spannungen klingen hier an?

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