Das Weimarer Kino, welches das Filmschaffen in Deutschland zwischen den Jahren 1918 und 1933 umfasst, stellt eine der bis heute produktivsten, ästhetisch mutigsten und einflussreichsten Ära der deutschen Filmgeschichte dar. In diesem kurzen Zeitraum erreichte der expressionistische Zum Inhalt: Stummfilm seine Blüte, kamen Regisseure wie Fritz Lang, Ernst Lubitsch, Georg Wilhelm Pabst und Friedrich Wilhelm Murnau zu Weltruhm und entwickelte sich die Produktionsfirma UFA zu einem der größten Filmstudios Europas. Der deutsche Film genoss in der Welt hohes Ansehen. Die Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30. Januar 1933 leitet das Ende dieser Ära ein.

Das Ende einer Ära

Am 28. März 1933 erklärte Propagandaminister Joseph Goebbels vor Vertretern der deutschen Filmindustrie den Ausschluss der jüdischen Mitglieder aus dem Branchenverband Dacho, der Dachorganisation der filmschaffenden Künstler Deutschlands. Nur einen Tag später verkündete die UFA als größter Arbeitgeber die sofortige Auflösung aller Verträge mit ihren jüdischen Angestellten. Die Folge war eine beispiellose Fluchtwelle, die in den nächsten Jahren annähernd 2.000, zum Teil renommierte Regisseur/-innen, Schauspieler/-innen, Drehbuchautor/-innen, Produzent/-innen, Kameraleute und Ausstatter/-innen über ganz Europa bis in die USA verstreute. Nur wenigen von ihnen gelang es, jenseits der Heimat wieder Arbeit zu finden. Die meisten, die sich nicht rechtzeitig ins sichere Ausland absetzen konnten, wurden später in den deutschen Konzentrationslagern ermordet.

Spuren im Weltkino

"Auch Henker sterben" von Fritz Lang, USA 1943 (Foto: Deutsche Kinemathek)

Deutsche Kinemathek

Die diesjährige Retrospektive der Internationalen Filmfestspiele Berlin widmet sich unter dem Titel The Weimar Touch. The International Influence of Weimar Cinema after 1933 den Spuren, die der Weimarer Film im Weltkino und speziell in Hollywood ab 1933 hinterlassen hat. Das Hauptaugenmerk liegt dabei auf den Exilanten/-innen, die Deutschland nach der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten verlassen mussten und sich in Europa und den Vereinigten Staaten mühsam eine neue Existenz aufbauten. Die Retrospektive dokumentiert auf eindrucksvolle Weise, dass sich über diesen historischen Bruch hinaus stilistische, ästhetische und thematische Kontinuitäten in Exilfilmen der deutschen Regisseure wiederfinden. Gleichzeitig ruft das Programm noch einmal die immense künstlerische Qualität des Weimarer Kinos in Erinnerung. Seine Exilanten/i-nnen, beispielsweise Max Ophüls, konnten gar einer kleinen Filmindustrie wie der holländischen zu einer kurzen Blüte verhelfen.

Der große Erfolg der deutschen Exil-Regisseure/-innen im Ausland ging einher mit der wachsenden Popularität von Filmgenres (Glossar: Zum Inhalt: Genre). Darin zeigt sich auch die außergewöhnliche Vielseitigkeit des Weimarer Kinos, dessen ästhetische Charakteristika für das US-amerikanische Kino stilbildend wurden: Der Zum Inhalt: Film noir wäre ohne den deutschen Zum Inhalt: Expressionismus undenkbar, der in Filmen wie "Auch Henker sterben" ("Hangmen Also Die!" , USA 1943) von Fritz Lang oder den Werken Robert Siodmaks überdauerte.

Rückblick auf das Weimarer Kino

Anlässlich der diesjährigen Retrospektive der Berlinale setzt kinofenster.de Impulse dafür, sich im Unterricht nicht nur mit den von der Sektion präsentierten Exilfilmen, sondern auch der Ära des Weimarer Kinos in ihrem ganzen Reichtum und ihrer gesellschaftlichen und filmhistorischen Bedeutung zu beschäftigen. Denn der Überblick über das filmische Schaffen jener Jahre liefert die inhaltliche Grundlage für eine Beschäftigung mit seinen internationalen Einflüssen ab 1933. So lässt sich anhand von stilistisch unterschiedlichen Filmen wie Zum Filmarchiv: "Menschen am Sonntag" (Robert Siodmak, Edgar G. Ulmer, DE 1930) oder Zum Filmarchiv: "M" (Fritz Lang, DE 1931) anschaulich aufzeigen, wie Kunst, Architektur und Politik in den 1920er-Jahren den Film beeinflussten und das Kino ein integraler Bestandteil des gesellschaftlichen Lebens in der Weimarer Republik wurde.

Filmklassiker - neu gesehen

Gerade für die Arbeit mit Jugendlichen bietet sich die Möglichkeit, Filmklassiker, die gemessen an den heutigen Sehgewohnheiten möglicherweise etwas angestaubt wirken, aus einem neuen Blickwinkel zu betrachten. Viele der Filme spiegeln die politische Haltung der Regisseur/-innen und ihre Erfahrungen im Exil wider. Unter filmhistorischen Gesichtspunkten ist es zudem aufschlussreich, den Einfluss der deutschen Exil-Regisseur/-innen auf die klassischen US-amerikanischen Filmgenres zu erarbeiten. Darüber hinaus beleuchtet dieser Themenschwerpunkt die Lebens- und Arbeitsbedingungen im Ausland. Denn in Anbetracht der Geschichte sollte nicht vergessen werden, dass das Thema "Exilkino" weiterhin Aktualität besitzt. Heute leben und arbeiten chinesische, iranische, syrische und kurdische Filmemacher/-innen aufgrund ihrer politischen Einstellung weit ab von ihren Familien und einer vertrauten Infrastruktur in der Fremde. Noch immer ist das Exil für viele Künstlerinnen und Künstler bittere Realität.

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