Das Weimarer Kino genoss zu seiner Blütezeit international hohes Ansehen. Dies zeigte sich auch an dem weitreichenden Einfluss, den die jüdischen Regisseure/innen nach ihrer Flucht aus Nazi-Deutschland auf die einheimischen Filmindustrien ihrer Exilländer ausübten. Während der Begriff "deutsches Exilkino" heutzutage fast ausschließlich jene Regisseure/innen meint, die in Hollywood Karriere machten, wird oft übersehen, dass die deutschen Exilanten/innen auch in Europa große Erfolge feierten. Max Ophüls zum Beispiel, der nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 von Berlin nach Paris fliehen musste, drehte vor und nach dem Zweiten Weltkrieg in Frankreich. Hier entstanden unter anderem die Verfilmung von Goethes Briefroman "Werther" (1938) und nach Ophüls' Rückkehr aus den USA der aufwändige Revuefilm "Lola Montez" (Lola Montès, Frankreich, Deutschland 1954), bis dato die teuerste europäische Produktion.

Max Ophüls und das europäische Exilkino

Ophüls trug auch maßgeblich zum kurzzeitigen Aufschwung des holländischen Kinos bei. Seine ans Brechtsche Drama angelehnte Tragikomödie "Komödie ums Geld" (Komedie om geld, Niederlande 1936) um einen kleinen Bankboten, der als Bauernopfer für eine Unterschlagungsaffäre zum Bankdirektor ernannt wird, wurde als "Krönung der niederländischen Filmindustrie" beworben. Von den knapp dreißig bis zum Einmarsch der Wehrmacht in Holland produzierten Filmen können mehr als zwei Drittel dem Exilfilm zugerechnet werden. Doch auch Frankreich, Großbritannien, die Sowjetunion, Ungarn und Portugal gehörten zu den Zielländern der Emigranten/innen. Auffällig war, wie wenig europäische Exilfilme sich explizit mit biografischen Themen und dem Leben in der Fremde beschäftigten. Die hohe Zahl an Komödien und Lustspielen, die das europäische Exilkino jener Jahre hervorbrachte, war indes kein Zufall. Zu sehr waren die Regisseure/innen in die nationalen Filmindustrien eingebunden, die bis zum Ausbruch des Zweiten Weltkriegs häufig der staatlichen Beschwichtigungspolitik gegenüber Nazi-Deutschland verpflichtet waren.

Flucht in die USA

In den Vereinigten Staaten mit ihrer florierenden Filmindustrie rechneten sich viele jüdische Filmschaffende die besten Chancen für eine zweite Karriere aus – auch wenn die Einreise- und Arbeitsrechtsbestimmungen es nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs Ausländern/innen erschwerten, in Hollywood Beschäftigung zu finden. Zudem verschlossen sich die Gewerkschaften gegenüber dem wachsenden Flüchtlingsstrom aus Europa. In Hollywood fanden die deutschen Exilanten/innen allerdings eine andere Situation als in den europäischen Nachbarländern vor. Die erste Generation von deutschsprachigen Filmschaffenden war bereits früh aus beruflichen Gründen in die USA ausgewandert. Der gebürtige Schwabe Carl Laemmle hatte 1912 das einflussreiche Filmstudio Universal gegründet und 1921 den Produzenten Paul Kohner nachgeholt. Laemmle und Kohner lockten in den Folgejahren die Regisseure Paul Leni, E.A. Dupont, aus Österreich Edgar G. Ulmer und Erich von Stroheim sowie den Schauspieler Conrad Veidt nach Hollywood. Die Regisseure Ernst Lubitsch und Wilhelm Dieterle emigrierten 1922 beziehungsweise 1930 in die USA und unterschrieben Verträge mit Warner Brothers. Die jüdischen Flüchtlinge konnten also auf ein Netzwerk von Unterstützern/innen zählen. Kohner gründete 1938 unter dem Vorsitz von Lubitsch den European Film Fund, der den Exilanten/innen bei der Beschaffung von Jobs und Arbeitsvisa half.

Fritz Lang: NS-kritische Filme in Hollywood

"M - Eine Stadt sucht einen Mörder" von Fritz Lang, Deutschland 1930 (© Horst von Harbou - Deutsche Kinemathek)

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Fritz Lang fasste als erster der bedeutenden Exilanten/innen des Weimarer Kinos in Hollywood Fuß. Er ist auch einer der interessantesten Vertreter der deutschsprachigen Exil-Regisseure/innen. Goebbels galt als erklärter Fan seines Zweiteilers "Die Nibelungen" (Deutschland 1924) und von Zum Filmarchiv: "Metropolis" (Deutschland 1926) und soll Lang sogar die Leitung der UFA angeboten haben. Lang jedoch flüchtete überstürzt noch im März 1933 nach Paris und von dort in die USA. Sein erster Hollywood-Film "Blinde Wut" (Fury, USA 1936) knüpfte unmittelbar an den letzten Erfolg seiner Weimarer Phase, Zum Filmarchiv: "M – Eine Stadt sucht einen Mörder" (Deutschland 1931), an. In "Blinde Wut" griff er thematisch das hetzerische Klima und die Massenhysterie in den späten Jahren der Weimarer Republik auf und drehte eine wütende, unversöhnliche Parabel auf die Verführbarkeit und den unterschwelligen Hass der Gesellschaft, die den Aufstieg der Nationalsozialisten in Deutschland ermöglichten. Spencer Tracy spielt darin einen unbescholtenen Bürger, der für ein Verbrechen, das er nicht begangen hat, von einem Lynchmob beinahe umgebracht wird. Lang sollte sich in Hollywood zu einem der exponiertesten Kritiker/innen des Nationalsozialismus entwickeln. Er besaß gute Verbindungen zur 1936 gegründeten Hollywood Anti-Nazi League for the Defense of American Democracy und drehte mit "Menschenjagd" (Man Hunt, USA 1941) und "Auch Henker sterben" (Hangmen also Die!, USA 1943) zwei sogenannte Anti-Nazi-Filme, mit denen Hollywood nach dem amerikanischen Kriegseintritt Propaganda betrieb.

Der Film Noir und seine Ursprünge im Weimarer Kino

"Auch Henker sterben" von Fritz Lang, USA 1943 (Foto: Deutsche Kinemathek)

Deutsche Kinemathek

Diese dezidiert politische Haltung hatte Langs Ankunft in den USA erleichtert. Zudem hatte er durch seine langjährige Erfahrung mit der UFA wenig Anpassungsschwierigkeiten an das rigide Studiosystem Hollywoods, in dem er sich in den Nachkriegsjahren als einer der verlässlichsten und vielseitigsten Regisseure behauptete. Doch der Krieg hatte auch in der US-amerikanischen Bevölkerung seine Spuren hinterlassen; besonders in den Städten war ein Klima von Unsicherheit und Angst spürbar. Aus dieser nervösen Stimmungslage heraus entstand in den 1940er-Jahren ein neuer "Großstadtfilm", der sich auf die US-amerikanische Kriminalliteratur berief, ästhetisch aber stark vom expressionistischen deutschen Stummfilm beeinflusst war: die Schwarze Serie, später auch Film Noir genannt. Fritz Lang und Robert Siodmak, der ebenfalls über Frankreich in die USA geflohen war, gehörten zu den stilbildenden Regisseuren/innen dieses Genres. Langs Anti-Nazi-Filme waren noch von den ausdrucksstarken Zum Inhalt: Schattenspielen seiner Stummfilme geprägt. Aber erst die US-amerikanischen Großstädte, ein Sumpf aus Verbrechen, Korruption und Laster, dienten seinem Pessimismus in Filmen wie "Ministerium der Angst" (Ministry of Fear, USA 1944) oder "Straße der Versuchung" (Scarlet Street, USA 1945) als adäquate Kulissen, in denen sich die Grenzen von Gut und Böse in diffusen Zum Inhalt: Lichtverhältnissen aufhoben.

Siodmak hatte bereits mit der französischen Produktion "Der Fallensteller" (Pièges, Frankreich 1939) mit Erich von Stroheim in einer kuriosen Nebenrolle als psychopathischer Modeschöpfer die Stilmittel des Film Noir erprobt, die er in Hollywood später mit "Rächer der Unterwelt" (The Killers, USA 1946) oder "Gewagtes Alibi" (Criss Cross, USA 1948) perfektionierte: opake Schattenwürfe, schnelle Zum Inhalt: Schnitte, schräge Zum Inhalt: Kameraeinstellungen. Eine Welt, die auch filmisch aus den Fugen geraten war. Siodmak kehrte als einer der wenigen Exilanten nach dem Krieg noch einmal nach Deutschland zurück. Sein Krimi "Nachts, wenn der Teufel kam" (BRD 1957) schloss nahtlos an seine amerikanischen Film Noirs an, thematisierte gleichzeitig aber die gesellschaftlichen Gewaltverhältnisse während der NS-Diktatur. Er blieb damit ein Fremdkörper im deutschen Nachkriegskino, das sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit nur unzureichend auseinandersetzte.

Filmkultur des 'anderen Deutschlands'

Anhand von Regisseuren wie Lang, Siodmak und Ophüls lassen sich beispielhaft die Situation von Filmemachern/innen im Exil und das Verhältnis des Exilfilms zur Filmgeschichte des Herkunftslandes diskutieren. Inwiefern kann man den deutschen Exilfilm als Teil der deutschen Filmgeschichte begreifen, selbst wenn er im Ausland entstanden ist? Der Filmhistoriker Jan-Christopher Horak etwa bezeichnet das Exilkino nicht als Bruch, sondern als Kontinuität deutscher Filmgeschichte, "als ein Stück Filmkultur des nicht-faschistischen, des 'anderen Deutschlands'", da es die demokratischen Traditionen des deutschen Kulturlebens, wie sie sich im Vor-Hitler- Deutschland entwickelt hatten, fortführe. Das Filmexil hingegen war für die meisten – unter anderem auch für Fritz Lang und Robert Siodmak – eine permanente Emigration, die viel länger dauerte als die Jahre des Nationalsozialismus, häufig ein Leben lang. Sie haben mit dem Film Noir eine genuine Ästhetik begründet, die heute den US-amerikanischen Filmkanon auszeichnet.

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