Fritz Langs Zum Inhalt: Stummfilm-Klassiker Zum Filmarchiv: "Metropolis" (DE 1926) hat auch nach über achtzig Jahren nichts von seiner Faszination eingebüßt. Als vor zwei Jahren in einem kleinen Museum in Buenos Aires eine verschrammelte Zum Inhalt: 16mm-Filmkopie auftauchte, kam dieser Fund einer Sensation gleich. Die Rücksprache mit der Deutschen Kinemathek in Berlin bestätigte die Vermutung der Museumsdirektorin Paula Félix-Didier: Die Buenos Aires-Kopie war nahezu identisch mit der Berliner Premierenfassung, die kurz nach der Uraufführung drastisch gekürzt worden war und seitdem als verschollen galt. Zwar ist die Filmgeschichte voller "verlorener" Meisterwerke, aber nur wenige Filme können eine derart bewegte Geschichte vorweisen. Auch dies prädestiniert diesen Schwarz-Weiß-Klassiker neben seiner ästhetischen und (film-)historischen Dimension für die Bildungsarbeit mit einem jungen Publikum. Wenn im Rahmen der diesjährigen 60. Internationalen Filmfestspiele Berlin nun die aufwändig restaurierte Version ihre Premiere erlebt, endet damit auch die lange Suche nach der definitiven Fassung von Langs Meisterwerk.

Mythenumwobener Film

Metropolis (Foto: Murnau-Stiftung)

Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Die Mythen um die Entstehungsgeschichte von "Metropolis" und die komplexe Genealogie seiner zahlreichen Negative, die über die ganze Welt verstreut in Archiven lagern, beschäftigen bis heute die Filmforschung. "Wenige Filme sind so systematisch verändert, verstümmelt, verfälscht worden wie dieser", stellte vor einigen Jahren der deutsche Filmhistoriker und "Metropolis" -Experte Enno Patalas fest, der 1984 mit seiner Rekonstruktion der Originalfassung viel zum Verständnis des Filmes beigetragen hat. Dabei war "Metropolis" nach seiner Uraufführung am 10. Januar 1927 in Berlin nicht durchweg positiv aufgenommen worden. Viele Kritiker/-innen störten sich an der naiven Symbolik der Geschichte um den Industriellensohn Freder, der aus Liebe zum Proletariermädchen Maria zu den Arbeitern/-innen in die Unterstadt hinabsteigt und eine Revolution gegen die herrschende Klasse anstiftet. Der Science-Fiction-Schriftsteller H. G. Wells schrieb 1927 in der New York Times: "Ich habe kürzlich den albernsten Film gesehen. Sein Titel lautet 'Metropolis', und er leistet jeder Dummheit, jeder erdenklichen Plattitüde, jedem Klischee und Missverständnis über technischen Fortschritt und Fortschritt im Allgemeinen Vorschub."

Lange Leidensgeschichte

Mit "Metropolis" wollte sich das Babelsberger Filmstudio Universum Film AG (Ufa) auch auf dem US-amerikanischen Markt gegenüber Mammutfilmen wie "Ben Hur" (Fred Niblo, USA 1925) und Erich von Stroheims "Gier" (Greed, USA 1924) profilieren. "Metropolis" sollte das sein, was man heute einen " Zum Inhalt: Blockbuster" nennt. Die für die damalige Zeit beispiellosen Produktionskosten schnellten jedoch derart in die Höhe, dass die Ufa noch vor der Premiere in finanzielle Schwierigkeiten geriet und schließlich den Besitzer wechseln musste. Der neue Vorstand beschloss nach der Premiere, den Film aufgrund seiner bis dahin über zweieinhalbstündigen Länge in einer gekürzten Fassung in die Kinos zu bringen, um auf dem US-amerikanischen Markt zu reüssieren. Mit dieser Entscheidung begann die lange Leidensgeschichte von "Metropolis" . 1.000 Meter Film, fast ein Viertel der Gesamtlänge, wurden aus der Premierenfassung geschnitten, ein zentraler Subplot und wichtige Nebenfiguren damit weitgehend unverständlich. In dieser offiziellen Version war "Metropolis" jahrzehntelang zu sehen.

Spuren in Filmgeschichte und Populärkultur

"Metropolis" von Fritz Lang, Deutschland 1926 (© Horst von Harbou - Deutsche Kinemathek)

Horst von Harbou - Deutsche Kinemathek

Aber selbst in dieser verstümmelten Form schrieb "Metropolis" Filmgeschichte und hinterließ seine Spuren in der Populärkultur des 20. Jahrhunderts. Kaum eine Science-Fiction-Utopie kommt heute ohne Bezüge auf die visionäre Stadtarchitektur von Langs szenischem Gestalter Erich Kettelhut aus. Referenzen finden sich in Filmen wie "Blade Runner" (Ridley Scott, USA 1982), "Das Fünfte Element" (Le Cinquième Élément, Luc Besson, FR 1997) bis hin zu Steven Spielbergs "Minority Report" (USA 2002), um nur einige Beispiele zu nennen: tiefe Häuserschluchten und weit in den Himmel ragende Wolkenkratzer, zwischen denen sich Hochbahnen und Luftschiffe bewegen. Das sachliche Design der Superstadt Metropolis mit ihrer vertikalen, hierarchisch gegliederten Bauweise erinnerte nicht von ungefähr an die totalitaristischen Architektur-Konzepte der italienischen Futuristen.

Moderne im Kino

Die Idee eines vitalen Stadtlebens, das von einer unsichtbaren Dienstleisterklasse untertage betrieben wird, hat nicht nur Science-Fiction-Autoren/-innen über viele Jahre beschäftigt. In Langs Film vermischten sich Fortschrittsglaube und -zweifel, manifestiert in einer atemberaubenden, mitunter maschinenhaft-rhythmisierten Bildsprache, mit den virtuosen Licht- und Schattenspielen (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) des expressionistischen Films der frühen 1920er-Jahre zu einem zeitlosen Meisterwerk. Kameratotalen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) von Menschenmassen mit ihren geometrisch strengen Anordnungen scheinen sich mitunter auch in den formverliebten zeitgenössischen Panoramafotografien von Andreas Gursky wieder zu finden. Mit "Metropolis" hielt 1927 die Moderne im Kino Einzug. Technisch setzte der Film auf Jahre hinaus Maßstäbe. Langs

Metropolis (Foto: Murnau-Stiftung)

Friedrich-Wilhelm-Murnau-Stiftung

Fritz Lang hat sich später in Interviews immer wieder von seinem Film distanziert. Filmhistoriker/-innen haben oft versucht, die ästhetische Vision Langs vom Zum Inhalt: Drehbuch seiner damaligen Frau Thea von Harbou, deren offene Sympathie für die Ideologie der Nationalsozialisten in "Metropolis" anklang, zu trennen. Der Theoretiker Siegfried Kracauer kritisierte vor allem den Schlusssatz, dass das Herz Mittler zwischen Hirn (den gesellschaftlichen Eliten) und Händen (der Arbeiterschaft) sein müsse, mit dem im Film der Klassenkonflikt schließlich beendet wird. Die Arbeiterklasse gibt zum Wohle des Gemeinwesens ihren Widerstand auf und findet sich mit ihrer angestammten Rolle ab: ein Gesellschaftsbild, das von Mussolini und später auch von Hitler propagiert wurde. Wie politisch aufgeladen "Metropolis" am turbulenten Übergang von Weimarer Republik zum Nationalsozialismus war, zeigte sich am großen Interesse von Reichspropagandaleiter Joseph Goebbels, der Lang gerne zur Leitfigur einer neuen arischen Filmkultur berufen hätte. Lang nahm die Einladung jedoch nicht an und emigrierte 1933 in die USA. Der Umstand, dass "Metropolis" die politischen und gesellschaftlichen Verhältnisse der Weimarer Republik widerspiegelte, macht ihn auch über seinen künstlerischen Status hinaus zu einem bedeutenden Film seiner Zeit.

Anhaltende Faszination und Restaurierung von 2001

"Metropolis" von Fritz Lang, Deutschland 1926 (© Horst von Harbou - Deutsche Kinemathek)

Horst von Harbou - Deutsche Kinemathek

Die anhaltende Faszination hat auch mit der Tatsache zu tun, dass "Metropolis" einerseits zu den einflussreichsten Werken der Filmgeschichte zählt, ihn andererseits aber so viele Mythen umranken. Die Wissenslücken um Langs Film hat die Fantasie von Filmhistorikern/-innen beflügelt. Die Schnitte waren so gravierend, dass unter anderem die zentrale Rolle der Statue Hel, die der Nachwelt nur in Form eines einzelnen Szenenfotos erhalten geblieben war, aus der gekürzten Version gar nicht mehr hervorging – und damit auch die ursprüngliche Motivation des Wissenschaftlers Rotwang, eine Roboterfrau zu bauen, die seiner verlorenen Liebe ähnelt. "Metropolis" ist das wohl beste Beispiel für die manchmal komplizierte Überlieferungsgeschichte von Filmen, die sich im Grunde von der anderer Kunstwerke kaum unterscheidet. Auch bedeutende Gemälde, Kirchen oder historische Schriften mussten in der Vergangenheit aufgrund von Beschädigungen oder falscher Behandlung wiederholt restauriert und damit in ihrer ursprünglichen Intention wieder verständlich gemacht werden. Es hat viele Versuche gegeben, die Handlung von "Metropolis" zu rekonstruieren. Seine wenigen noch existierenden Duplikatnegative (die Kameranegative wurden bereits vor Jahrzehnten vernichtet) und Sekundärquellen wie Titelkarten und die Originalkomposition der musikalischen Begleitung wurden als Beweis- und Materialquelle herangezogen, um eine möglichst vollständige Fassung des Films zu erstellen. Die digitale Restaurierung Martin Koerbers aus dem Jahr 2001, basierend auf der Vorarbeit von Enno Patalas, galt bislang als letztgültige Fassung. Unter Zuhilfenahme von Standbildern und die Fehlstellen erklärenden Texteinschüben wurde der Filmkorpus weitgehend wiederhergestellt, wobei erstmals auf das fotografisch beste Filmmaterial zurückgegriffen werden konnte. 2005 wurde der Film als DVD-Studienfassung unter der Projektleitung von Enno Patalas editiert. Dabei wurde auf die originale Musikpartitur Gottfried Huppertz‘ zum Film zurückgegriffen und das fehlende Bildmaterial durch Text- und Bildeinschübe ergänzt. Dennoch blieb knapp eine halbe Stunde des Films verschollen.

Ethische Kriterien der Neurestaurierung

Die neue, digital restaurierte Fassung von 2009 ist auch aus historischer Sicht interessant. Da sich die fehlenden 25 Minuten der Buenos-Aires-Kopie in einem schlechten Zustand befinden, wird die Überlieferungsgeschichte zukünftig im Film erkennbar bleiben. Theoretisch ist in der digitalen Restaurierung alles möglich: Filmkratzer und andere Schäden lassen sich am Computer leicht mit digitalen Werkzeugen retuschieren, ein unruhiger Bildstand kann nachträglich stabilisiert werden. Die schier unbegrenzten Möglichkeiten der digitalen Restaurierung werfen jedoch auch ethische Fragen auf, die nichts an Aktualität eingebüßt haben. Wie weit darf der Restaurator gehen? Und welche Kriterien sollte er bei seiner Arbeit anlegen? Martin Koerber entschied sich bewusst dafür, die qualitativen Unterschiede der verschiedenen Materialquellen nicht zu kaschieren, um die bewegte Geschichte des Films und seiner Materialität erkennbar zu lassen. So wird im Zusammenhang mit "Metropolis" ein interessanter philosophischer Aspekt der Filmgeschichte deutlich: dass die Zeit auch in einem Film ihre Spuren hinterlässt und diese damit Teil des Films selbst werden.

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