Kategorie: Interview
"Glück findet man oft in den unwahrscheinlichsten Momenten"
Regisseur Maciej Pieprzyca spricht im Interview über den Umgang mit Behinderung im polnischen Kino und seine Vorbereitungen auf die Thematik.
Maciej Pieprzyca studierte Politikwissenschaften und Publizistik sowie Dramaturgie und Regie an den Filmhochschulen Lodz und Katowice. Er arbeitete anschließend als Journalist und Regisseur für das polnische Fernsehen, inszenierte beispielsweise Folgen der populären Krankenhausserie "Na dobre i na złe" . Nach ersten Festivalteilnahmen, u. a. mit dem Fernsehfilm "Inferno" (2001), schrieb und inszenierte er 2008 mit "Drzazgi" (Splinters) seinen ersten Kinofilm, der u. a. auf Festivals in den USA und Ägypten ausgezeichnet wurde.
Herr Pieprzyca, in Zum Filmarchiv: "In meinem Kopf ein Universum " leidet der Protagonist Mateus an einer zerebralen Bewegungsstörung. Das Thema Behinderung kam im polnischen Kino bisher kaum vor.
Das stimmt. "In meinem Kopf ein Universum" ist sogar der erste Spielfilm, der sich damit auseinandersetzt. Davor gab es lediglich einige Dokumentationen. Das Kino spiegelt den gesellschaftlichen Umgang mit Behinderung. Bis 1989 kamen Behinderte in der öffentlichen Wahrnehmung quasi nicht vor. In den letzten 25 Jahren fand eine Veränderung statt: Behinderung gilt zum Glück nicht mehr als Stigma.
Die Regisseurin Ewa Pięta drehte 2004 den Dokumentarfilm "Like a Butterfly" . Darin wird Przemek porträtiert, der Vorbild für die Figur des Mateus ist. Warum widmeten sie Ewa Pieta "In meinem Kopf ein Universum" ?
Sie war eine gute Freundin und eine sehr talentierte Regisseurin, die jedoch lediglich drei Dokumentationen realisieren konnte. Sie starb im Alter von nur 38 Jahren. Das Ann Arbor Polish Film Festival gedenkt ihrer, indem der Preis für den besten Dokumentarfilm nach ihr benannt wurde.
Wurde für Sie schnell deutlich, dass Sie einen Spielfilm über Przemek drehen werden?
Einer meiner Professoren auf der Filmhochschule sagte einen bemerkenswerten Satz: "Der richtige Stoff für einen Film befindet sich zwischen deinem Kissen und deinem Kopf." Er meinte damit Folgendes: Wenn man mit Gedanken an einen Film zu Bett geht und das Thema bleibt auch am nächsten Morgen relevant, lohnt es, den Film zu drehen. Er sagte, dann dürfe man einige Jahre in den Stoff investieren.
Dauerte es bei Ihnen auch so lange?
Etwa dreieinhalb Jahre. Allein die Recherche dauerte ein Jahr. Ich traf Przemek häufig und wir wurden Freunde. Przemek lebt noch immer im Heim. Er fühlt sich dort wohl, was am Ende des Filmes auch deutlich wird.
Mateus wird von Dawid Ogrodnik, einem Shootingstar des neuen polnischen Kinos, verkörpert. War er Ihre erste Wahl?
Es gab ein ganz gewöhnliches Casting, an dem etwa 80 junge Schauspieler teilnahmen. Unter ihnen war Dawid, für den ich mich schließlich entschied. "In meinem Kopf ein Universum" war seine erste große Rolle. Danach erhielt er mehrere Angebote und inzwischen ist er ein echter Star in Polen.
Wie bereiteten Sie Dawid Ogrodnik auf seine Rolle vor, die nur beim Zum Inhalt: Voice-over mit Sprache arbeitet.
Dieser Prozess benötigte in der Tat einige Zeit. Drei Monate lang traf er sich regelmäßig mit Przemek und anderen jungen Männern, die an zerebraler Bewegungsstörung leiden. Dawid nahm für die Rolle mehr als zehn Kilogramm ab. Er hat eine außergewöhnliche Begabung, sich zu verwandeln. Ab einem bestimmten Punkt hatte ich nicht mehr das Gefühl, dass er Mateus spielt. Er war Mateus.
Sie haben an Originalschauplätzen gedreht, beispielsweise in einem Heim für Menschen mit geistiger Behinderung, mit denen Sie auch als Komparsen arbeiteten. Wie gestaltete sich der Dreh?
Sehr angenehm. Es ist toll, mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten. Sie sind weniger neurotisch als die meisten Schauspieler.
Wie war Przemeks Reaktion auf "In meinem Kopf ein Universum" ?
Der Film gefällt ihm sehr gut. Er hat ihn das erste Mal bei der Premiere gesehen. Am besten gefallen ihm die Szenen mit weiblichen Brüsten. In diesem Punkt haben seine Mutter und er völlig unterschiedliche Positionen.
Wie kam der Film in Polen an?
Ich muss gestehen, ich war positiv überrascht. Es gab sehr gute Kritiken und den Silbernen Löwen beim Polnischen Filmfestival in Gdynia. Was aber viel wichtiger ist, sind die Besucherzahlen. Mehr als 300.000 Menschen haben "In meinem Kopf ein Universum" im Kino gesehen. Das ist für einen Arthouse-Film ein riesiger Erfolg.
Worauf führen Sie diese hohen Besucherzahlen zurück?
Das Leben ist gleichermaßen komisch und tragisch, deswegen ist der Film auch eine Tragikomödie. Zugleich ist es eine Geschichte mit einer positiven Botschaft: Gib niemals auf, stell dich den Hindernissen und Einschränkungen und genieß dein Leben, wie es ist. Glück findet man oft in den unwahrscheinlichsten Momenten.