Als Samay, die Hauptfigur aus dem Film Zum Filmarchiv: "Das Licht, aus dem die Träume sind" (Pan Nalin, IN/FR/USA 2021), mit seiner Familie das erste Mal ins Kino geht, erwacht seine Leidenschaft für diesen magischen Ort. Von da an dreht sich sein ganzes Leben um Lichtbilder und erzählte Geschichten. Ständig experimentiert Samay nun mit Licht. So versucht er beispielsweise, Lichtstrahlen mit seinen Händen einzufangen.

Im Film "Das Licht, aus dem die Träume sind" versuchen Samay und seine Freunde, das Licht einzufangen. (© Neue Visionen)

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Zusammen mit seinen Freunden erforscht er optische Phänomene und versucht sogar, ein Kino nachzubauen. Die Geräte und Anordnungen, die er dafür erschafft, haben eines gemeinsam: Sie zeigen die Welt in bewegten und bunten Bildern. Wie wir im Folgenden sehen werden, ähneln sie historischen Apparaten, die mit zur Erfindung des Kinos führten. Mit einfachsten Mitteln gelingt es den Kindern im Film schließlich, eine eigene Filmvorführung auf die Beine zu stellen.

Camera Obscura

Als Samay mit seinen Freunden in einem fahrenden Zug die vorbeiziehende Landschaft auf ein Tuch projiziert, benutzt er dafür – ohne es zu wissen – eine Camera Obscura. Wörtlich übersetzt heißt das so viel wie "dunkle Kammer". Bei der Camera Obscura dringt von außen ein Lichtstrahl durch ein kleines Loch in ein abgedunkeltes Gehäuse oder Zimmer. Auf der Fläche, die der Lichtöffnung gegenüberliegt, entsteht ein auf dem Kopf stehendes und seitenverkehrtes Bild von dem, was sich draußen vor dem Loch befindet. Maler/-innen haben die Camera Obscura früher dazu benutzt, um eine Landschaft detailgetreu abzuzeichnen.

Samay gelingt es, die vorbeiziehende Landschaft im Zugabteil auf eine Leinwand zu projizieren. Sie steht auf dem Kopf (© Neue Visionen). Auf dem Bild darunter wird erklärt, wie eine Camera Obscura funktioniert.

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Camera obscura 1

Laterna Magica (Zauberlaterne)

Einmal zerteilt Samay einen Filmstreifen in einzelne Bilder. Um diese betrachten zu können, bauen er und seine Freunde nichtsahnend eine Laterna Magica. Dazu füllen sie eine leere Glühbirne mit Wasser und nutzen diese als Vergrößerungslinse. Ein Junge fängt das Sonnenlicht mit einem Spiegel ein und lenkt den Sonnenstrahl auf die Glühbirne. Das Filmbild kleben die Freunde auf ein Loch in einer Pappe, damit das Sonnenlicht gebündelt werden kann und halten es vor die "Vergrößerungslinse". So entsteht – wie bei einem Dia-Projektor – auf der Leinwand das Filmbild in Groß. Die Laterna Magica (lateinisch für "Zauberlaterne") war vor allem vom 17. bis zum 19. Jahrhundert verbreitet und lässt kleine Bilder groß erscheinen. In ihrem Inneren befindet sich eine Lichtquelle, früher meist eine Kerze, und außen ist eine Vergrößerungslinse angebracht. Die Laternen-Bilder sind kleine Gemälde auf Glas und werden zwischen die Lichtquelle und die Linse geschoben. Auf der Leinwand erscheint nun das Bild. Allerdings muss man die Bilder auf den Kopf stellen, damit man sie richtig herum sehen kann, da das Motiv, wie bei der Camera Obscura, auf dem Kopf und spiegelverkehrt abgebildet wird.

Samay und seine Freunde haben ein Filmbild vor ein kleines Loch geklebt, das sie in eine Pappe geschnitten haben. Eine Glühbirne, die sie mit Wasser gefüllt haben, dient als Vergrößerungslinse. Sie haben sich eine Laterna Magica oder eine Art Diaprojektor gebaut, mit dem sie Bilder auf ein weiße Wand werfen können. (© Neue Visionen)

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Laterna Magica, zwei Exemplare aus der Sammlung des Filmmuseums Düsseldorf (© Filmmuseum Düsseldorf, Foto: Andrea Hagemeier-Gilga)

Filmmuseum Düsseldorf, Foto: Andrea Hagemeier-Gilga

Praxinoskop

Eines Tages zeigt der Filmvorführer Fazal Samay die Bewegung eines Reiters mit Pferd in einer Drehapparatur. Dabei handelt es sich um ein Praxinoskop. Erfunden wurde es 1877 vom französischen Physiker Émile Reynaud. Das Praxinoskop ähnelt einer Trommel, die auf einem Standfuß steht und sich drehen lässt. An der Mittelachse im Inneren der Trommel sind zwölf Spiegel angebracht. Den Spiegeln gegenüber befindet sich der Bildstreifen. Er besteht aus zwölf Bildern, auf denen die Bewegung einer Figur in einzelnen Schritten gezeigt wird. Wenn man die Trommel zum Drehen bringt und die Spiegel im Inneren betrachtet, kann man eine fortlaufende Bewegung beobachten. Ab einer Geschwindigkeit von 16 Bildern pro Sekunde beginnt unser Auge, die nacheinander ablaufenden Bilder als eine fließende Bewegung wahrzunehmen.

Fazal zeigt Samay im Film ein Praxinoskop. (© Neue Visionen).

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Ein Praxinoskop, aus der Sammlung des Filmmuseums Düsseldorf (© Filmmuseum Düsseldorf, Foto: Andrea Hagemeier-Gilga)

Filmmuseum Düsseldorf, Foto: Andrea Hagemeier-Gilga

Farbfilm

An verschiedenen Stellen des Films betrachtet Samay seine Umgebung durch bunte Glasscherben oder buntes Filmmaterial. Auch für uns ist die Welt im Kino zumeist bunt. Allerdings war das nicht immer so. Erst in den 1930er-Jahren war es technisch möglich, einen Farbfilm mit allen Farben zu entwickeln. Davor mussten Filme mit feinen Pinseln per Hand koloriert werden. Das war sehr zeitaufwendig, denn eine Sekunde Filmmaterial besteht aus 24 Einzelbildern ("Frames"). Einfacher war dagegen die Viragierung, bei der Teile eines Filmstreifens in eine Farblösung getaucht werden. So galten zum Beispiel grün eingefärbte Bilder als Naturaufnahmen, orange als Zum Inhalt: Szenen im Kerzenlicht oder blaue als Nachtaufnahmen. Das war umso wichtiger, da es Anfang der 1920er-Jahre technisch noch nicht möglich war, bei Nacht zu drehen.

Am Angang von "Das Licht, aus dem die Träume sind" steckt Samay bunte Glasscherben in ein Zuggleis. Wenn man hindurchschaut, verändert sich – ähnlich wie bei einer getönten Brille – die Farbigkeit der Landschaft. (© Neue Visionen)

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Viragierte Filmbilder aus der Sammlung des Filmmuseums Düsseldorf (© Filmmuseum Düsseldorf, Foto: Andrea Hagemeier-Gilga)

Filmmuseum Düsseldorf, Foto: Andrea Hagemeier-Gilga

35mm-Film

Als Fazal Samay zum ersten Mal in den Vorführraum mitnimmt, ist der Junge überwältigt von all den Apparaten, die man für eine Filmvorführung im Kino braucht. Im Galaxy werden die Filme auf 35mm-Film, auch Kinefilm genannt, gezeigt. Das ist ein fotografischer Rollfilm für bewegte Bilder. 35mm bezeichnet dabei die Breite des Filmstreifens, die bis zu Beginn des 21. Jahrhunderts das normale Zum Inhalt: Filmformat für Kinofilme war. Ein abendfüllender 35mm-Film besteht aus etwa fünf bis sieben Rollen, ist insgesamt ungefähr 2.500 bis 3.000 Meter lang und wiegt zirka 20 Kilogramm. Auch wegen dieses Gewichts ist die Arbeit von Filmvorführer/-innen körperlich anstrengend.

Der Filmvorführer hält einen 35mm-Filmstreifen über eine kleine Lampe. Man kann die einzelnen Bilder, aus denen der Film besteht, gut erkennen. (© Neue Visionen)

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Projektor

Zum Abspielen der Filme nutzt Fazal einen 35mm-Projektor, in den die Filmrollen eingelegt werden. Damit die Filmvorführung im Kino nicht durch das Wechseln der Rollen unterbrochen werden muss, werden zwei Projektoren verwendet. Kurz bevor die erste Rolle durchgelaufen ist, startet der Vorführer den zweiten Projektor und wechselt dann punktgenau vom einen Apparat zum anderen. Dafür benötigt er viel Übung, denn die Zuschauenden im Kinosaal sollen davon nichts mitbekommen.

Fazal legt im Vorführraum eine 35mm-Filmrolle in den Projektor ein, der im Hintergrund zu erkennen ist. (© Neue Visionen)

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Malteser-Kreuz

Ein Filmprojektor dient, vereinfacht gesagt, zur Projektion einer Reihe von Einzelbildern, aus denen der Film besteht. Diese werden auf die Leinwand projiziert, wo das Publikum sie als fortlaufende Bewegung wahrnimmt. Damit das funktioniert, benötigt der Projektor ein sogenanntes Malteser-Kreuz-Getriebe. Dieses ermöglicht es, dass der Filmstreifen vom Projektor jede Sekunde 24mal angehalten und genau um ein Filmbild weitertransportiert wird. Während des kurzen Stopps wird das Bild vom Projektionslicht erfasst und auf die Leinwand geworfen, während des Weitertransports deckt dann eine Blende das Licht ab. Weil sich dieser Vorgang so blitzschnell wiederholt, nimmt das menschliche Auge die kurze Unterbrechung zwischen den einzelnen Bilder gar nicht wahr – das Kinopublikum bemerkt also nichts. Genau dies beachtet Samay bei seinem ersten Versuch, einen Projektor nachzubauen, nicht.

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Animation eines Malteserkreuzgetriebes mit sechs Positionen © en.wikipedia, Commons., Gemeinfrei, Link

Erst als Fazal ihm dieses Prinzip erklärt, gelingt es Samay und seinen Freunden, einen funktionierenden Projektor mit Teilen vom Schrottplatz nachzubauen. Allerdings haben die Kinder keine Lautsprecher, so dass der Film anfangs stumm bleibt. Aber die Jungen und Mädchen lösen auch dieses Problem und erzeugen mit Alltagsgegenständen Zum Inhalt: Musik und Zum Inhalt: Geräusche, während der Film gezeigt wird. So ähnlich haben sogenannte Geräuschemacher und Geräuschemacherinnen zur Zeit des Stummfilms vor mehr als 100 Jahren Kinovorführungen "vertont" – zum Beispiel indem sie durch das Klopfen mit Kokosnusshälften das Getrappel von Pferdehufen nachgemacht haben. Heute heißt der Beruf auch "Foley Artist" – die Arbeit findet allerdings nicht mehr im Kino statt: Die Geräusche werden im Studio eingespielt.

Digitalprojektor

Gegen Ende des Films werden die alten Projektoren gegen einen Digitalprojektor – eine Art Hochleistungsbeamer – ausgetauscht. Die moderne Form der Filmprojektion spart Platz und Material. Der Film wird nun einfach im handlichen Koffer auf einem Speichermedium, der sogenannten DCP-Platte, an das Kino geliefert. Die Daten müssen nur noch von der DCP-Platte auf einen Server gespielt und kopiert werden, schon ist der Film startbereit. Diese Arbeit erfordert keine Berufsausbildung mehr. In Filmmuseen und an anderen ausgewählten Orten, die den besonderen Zauber des alten Kinos bewahren wollen, werden jedoch auch heute noch Filme mit historischer Projektionstechnik vorgeführt. Und dort sind Filmvorführerinnen und -vorführer natürlich immer noch unverzichtbar.

Am Ende von "Das Licht, aus dem die Träume sind" werden im Kino Galaxy Filme mithilfe eines Digitalprojektors gezeigt. Die Filme sind auf Festplatten gespeichert. (© Neue Visionen)

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