Die Olympischen Sommerspiele in München 1972 sollten "heitere Spiele" werden. "Ein anderes Deutschland" wollte sich der Welt präsentierten, ein "Gegenmodell zu 1936", als das nationalsozialistische Deutschland sich mit der Sportveranstaltung einen trügerischen Anschein von Legitimität gab. Doch am 5. September verschafften sich palästinensische Terroristen Zugang zum Olympischen Dorf und nahmen elf Mitglieder der israelischen Delegation als Geiseln. Sie forderten die Freilassung aller "politischen Gefangenen" in Israel. Der Tag und vor allem die Nacht darauf nahmen einen dramatischen Verlauf: Eine Befreiungsaktion endete in einem Fiasko, alle Geiseln wurden getötet, die Polizei hatte zahlreiche Fehler begangen. Ungeachtet der Todesopfer wurden die Spiele nach einer Trauerfeier fortgesetzt: "The games must go on", verkündete Avery Brundage, der Präsident des Internationalen Olympischen Komitees.

Tod und Spiele - München '72, Szenenbild: Die israelische Sportlerin und Überlebende des Attentats Esther Shahamorov erinnert sich (© rbb/LOOKSfilm)

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50 Jahre nach dem Attentat blickt nun die vierteilige TV- Zum Inhalt: Dokumentation "Tod und Spiele – München ’72" ausführlich auf die Ereignisse zurück. Dabei konnten die Filmemacher Bence Máté und Lucio Mollica von dem Umstand profitieren, dass sich noch zahlreiche Zeitzeugen sehr lebendig erinnern, und dass nicht zuletzt unter dem Druck von Angehörigen der Opfer die Ereignisse im Lauf der Jahre kritisch aufgearbeitet wurden. So gelang es Máté und Mollica, eine Reihe von zentralen Protagonist/-innen vor die Kamera zu holen, die eine umfassende Perspektive auf das Geschehen ermöglichen: Mehrere Attentäter sprechen (zum Teil anonymisiert) über ihre Rolle, auf der anderen Seite treten Überlebende auf. Besonders berührt das Zeugnis eines Sportschützen, der den Anführer der Terroristen im Visier hatte, sich aber nicht entschließen konnte, zu schießen – die Folgen für die Geiseln wären unabsehbar gewesen. Auch Journalisten, Behördenvertreter und Politiker kommen ausgiebig zu Wort. Die Stärke dieser Zeug/-innen ist auch die Stärke der Dokumentation. Zum Inhalt: Inszenatorisch folgt der Vierteiler im Wesentlichen dem Muster thematisch vergleichbarer TV-Produktionen. In flüssiger Zum Inhalt: Montage wechseln sorgsam arrangierte Interviews und umfangreiches zeithistorisches Bildmaterial (überwiegend Ausschnitte aus Fernsehreportagen und Nachrichten) einander ab. Dabei gelingt eine ausgewogene, auch ohne größeres Vorwissen gut verständliche Darstellung des Nahostkonflikts und der Rolle Deutschlands in den frühen 1970er-Jahren.

"Tod und Spiele" bietet viele Ansätze und Herausforderungen für die pädagogische Arbeit – vor allem für den Unterricht in den Fächern Politik und Geschichte. Deutschland und die internationale Gemeinschaft wurden damals mit dem Umstand konfrontiert, dass der Staat Israel (dessen internationale Anerkennung als eine Reaktion auf die Schoah begriffen wurde) nach dem Sechstagekrieg von 1967 zu einer Besatzungsmacht geworden war. Historisch wären zunächst Stichpunkte zum Existenzrecht Israels herauszuarbeiten, um daran anschließend zu erörtern, welche Argumente Israel und die Palästinenser damals für ihre jeweiligen Standpunkte ins Treffen führten (und wie Deutschland sich in der sozial-liberalen Koalition mit den beiden prägenden Politikern Brandt und Genscher dazu verhielt). Die Dokumentation bietet auch Anhaltspunkte, das Phänomen Terrorismus besser zu ergründen: An einer Stelle steht der Anführer vor der Alternative, durch eine Freilassung der Geiseln vielleicht größere Wirksamkeit für den Unabhängigkeitskampf der Palästinenser zu erzielen. Terrorismus zielt durch Gewalt auf Aufmerksamkeit, damals ging es aber auch stark um Erpressung staatlicher Autorität. "Tod und Spiele" verwendet in großem Umfang Archivmaterial. Vor allem die erste Folge bietet so die Möglichkeit, die mediale Inszenierung der Olympiade 1972 als "heitere Spiele" in einer offenen demokratischen Gesellschaft zu untersuchen und (anhand von historischen Bildern oder Filmausschnitten) mit jener der Olympischen Spiele von 1936 zu vergleichen. Wo liegen die Unterschiede? Wo gibt es Übereinstimmungen? Wie werden weltumspannende Sport-Events wie Olympia heute in Szene gesetzt?

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