Am Anfang sieht man einen Sonnenblumenkern. Weitere Kerne und Samen folgen, bis sich aus einer Walnuss ein Blatt Papier entfaltet und daraus ein Notizbuch. Dessen Seiten sind gefüllt mit Schreibübungen, technischen Zeichnungen oder einem pochenden menschlichen Herzen. Doch das Buch wird von Blättern, Obst und Gemüse überwuchert, die wiederum von einem Zahnrad abgelöst werden – dem ersten Bauteil einer Bombe. Kurz darauf findet eine Champagnerparty statt, eine Babywindel ist voll, Blut wird vergossen, die Zeitungen titeln, Drogen werden konsumiert, Ausweisdokumente erstellt, eine Todesanzeige wird in einen Umschlag gesteckt, und so weiter und so fort. Zum Schluss ist erneut der Sonnenblumenkern zu sehen. Die Bilderfolge, die der Schweizer Filmemacher und Musiker Fabio Friedli in seinem nur fünfminütigen Zum Inhalt: Animationsfilm "In a Nutshell" präsentiert, ist nichts Geringeres als ein Versuch, im Schnelldurchlauf von der heutigen Welt zu erzählen – aus einer europäischen Perspektive, wie die Anspielungen auf Diskurse und Lebensstile nahelegen.

Eine Geschichte der Dinge

Die Idee zur filmischen Aneinanderreihung von Gegenständen, die jeweils als Symbole für eine bestimmte Lebensphase, Tatsache oder Idee stehen, kam Fabio Friedli beim Zeitunglesen. All die Ereignisse, über die Medien berichten, schienen miteinander zusammenzuhängen. Bloß wie genau, fragte sich Friedli, und begann, mögliche Filmmotive und ihre Zusammenhänge auszuloten. Herausgekommen ist dabei ein Experimentalfilm, der sich der Gegenwart künstlerisch durch Bildverweise und Assoziationen nähert, und weniger ein erzählerisches oder dokumentarisches Anliegen verfolgt.

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Rund 3.000 Bilder von Gegenständen, die den Alltag und das Zusammenleben prägen, hat Friedli schließlich mit einem Animatoren-Team aufgenommen – von Zitrusfrüchten bis Rettungswesten, vom Knopf über Tabletten bis zur Speicherkarte. Einzeln vor weißem Hintergrund fotografiert, ergeben sich erst durch die Montage Beziehungen zwischen den Dingen. Durch Stopptricktechnik (Glossar: Zum Inhalt: Animationstechniken) entsteht die Illusion von Bewegung und Verknüpfung. So evoziert etwa eine Bilderfolge von älteren bis neuen Telefonmodellen Technik- und Kommunikationsentwicklung. Zusätzlich regen Gegensatzpaare oder Form- und Farbanalogien die Zuschauenden an, Querbezüge und Assoziationen herzustellen, unterstützt von teils paraphrasierenden, teils kontrapunktierenden Soundeffekten (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound-Design).

Herausforderung und Überforderung

Ein weiteres für die Filmwirkung bestimmendes Gestaltungsmerkmal ist das Tempo, mit dem der Bilderstrom präsentiert wird. Die Zum Inhalt: Montage folgt einem festen Takt aus langsameren und raschen Bildabfolgen. Zum einen ermöglicht das bewusste Innehalten, Gegenstände genauer wahrzunehmen und inhaltlich Schwerpunkte zu setzen. Die schneller geschnittenen Passagen machen es zum anderen unmöglich, Einzelheiten zu erfassen und Gedanken zu entwickeln. Die visuelle Fülle und der eilende Rhythmus des Films sind sowohl Herausforderung als auch Überforderung. Sie imitieren den Takt der gegenwärtigen westlichen Lebenswelt, der sich durch Technisierung, Digitalisierung und Globalisierung weiter beschleunigt.

Gedankenanstoß oder Universalkritik?

Der Überfluss an Bildern und die Assoziationen, die damit einhergehen, ermöglichen vielfältige Lesarten. Die schiere Fülle der Gegenstände legt etwa eine Konsum- und Kapitalismuskritik nahe. Ebenfalls dinglich sind die Verweise auf Flucht und Migration (Rettungswesten, Passbilder etc.), Donald Trump (Anzug und Perücke) oder die Atombombe (auf das Bild einer Rakete folgt ein Pilz). Sie rücken Weltpolitik, Machtgefüge und Kriege in den Fokus. Aber auch Geld, Religion, soziale Medien oder der Dualismus zwischen Natur und Kultur werden im Schnelldurchlauf angerissen. Welche Gedanken, Gefühle und Reaktionen der Film bei Zuschauenden auslöst, kann deshalb durchaus verschieden ausfallen. Bringt "In a Nutshell" , wie es die zweideutige Übersetzung des Titels ins Deutsche suggeriert, die europäische Gegenwart "auf den Punkt"? Oder lässt sich die Welt im Format einer "Nussschale" nicht erfassen? Fabio Friedlis Film mag kluge Verbindungen herstellen, aber auch vereinfachen und vielleicht sogar provozieren. In jedem Fall zeigt "In a Nutshell" beispielhaft, wie Gegenstände und Bilder Geschichte(n) erzählen und Gedanken anstoßen können.

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

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