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Geträumte Wirklichkeit – die Bildästhetik in den Filmen von Werner Herzog
Als autodidaktischer Filmemacher steht Werner Herzog für originäre Kinobilder, in denen sich die Grenze zwischen Dokumentarischem und Fiktion auflöst.
Seine Filme zeigten nicht die Wirklichkeit, hat Werner Herzog immer wieder betont, "sondern eher die Wirklichkeit von Träumen". Als Autodidakt, der sich auf keine Vorbilder beruft, geht es ihm stets um originäre, "nie gesehene" Bilder einer anderen Realität. Ein berühmtes Beispiel dafür ist der Dampfer, der in Zum Filmarchiv: "Fitzcarraldo" (BRD, PER 1982) im Dschungel über einen Berg gezogen wird. Tatsächlich ist die sakrale Aura seiner Spiel- und Zum Inhalt: Dokumentarfilme ein Produkt spezifischer Techniken, die seine ureigene Ästhetik ausmachen, sich aber auch auf kulturelle Traditionen des 19. und 20. Jahrhunderts zurückführen lassen. Wie in der romantischen Malerei oder dem Zum Inhalt: Stummfilmexpressionismus evozieren diese Techniken ein Zwischenreich zwischen Realität und Fiktion, Präsenz und Abwesenheit und manchmal sogar Leben und Tod. Der grausame Eroberer in "Aguirre, der Zorn Gottes" (BRD, MEX, PER 1972), von Klaus Kinski verkörpert mit expressionistischem Gestus, spricht und handelt wie im Wahn. Wir sehen seine von einem Pfeil getroffene Tochter sterben, aber nie ihren Tod. Dabei sind Herzogs filmästhetische Mittel einfach. Sie beschränken sich im Wesentlichen, in dokumentarischer Manier, auf eine zurückhaltende Kameraführung und betonte Länge der Einstellungen, die nur gelegentlich durch Zum Inhalt: Soundtrack ergänzt werden.
Wahrheitssuche im Nebel
Immer wieder gilt diese dokumentarische Präsenz eher Landschaften als Menschen, vor allem Bergen und Nebel. Herzogs Kindheitserinnerungen aus dem bayerischen Chiemgau, wo er nahe einer Sprungschanze aufwuchs, scheinen sich durch sein ganzes Werk zu ziehen. An die Nebelbilder von Caspar David Friedrich und Arnold Böcklin erinnert der in den Bergen hausende Hellseher in "Herz aus Glas" (BRD 1976), eine im 19. Jahrhundert angesiedelte Glasbläsergeschichte.
Durch den ewigen amazonischen Dunst quälen sich Aguirre mit seinem Gefolge sowie der entrückte Titelheld von Zum Filmarchiv: "Fitzcarraldo" über die peruanischen Anden. Und auch Jonathan Harker in "Nosferatu – Phantom der Nacht" (BRD, F 1979) nähert sich dem Schloss von Graf Dracula im Nebel der Karpaten. Diese gleichsam verschleierte Wahrnehmung der Welt folgt unmittelbar Herzogs Gebot von "Inszenierung und Stilisierung" der Wirklichkeit. Ist das Sehen für ihn eine Halluzination, die nur die Oberfläche erfasst, muss die Suche nach der höheren Wahrheit erarbeitet und gefühlt, vor allem aber erlaufen werden. Das Gehen wiederum im romantischen Sinne, als ekstatische Welterfahrung, vereint nahezu alle Filme des passionierten Fußgängers Herzog. Kaspar Hausers ersten Schritten auf eigenen Füßen in "Jeder für sich und Gott gegen alle" (BRD 1974) gilt seine besondere Aufmerksamkeit. Über das Gehen im Eis nannte er sein Buch über die Wanderung zur kranken Filmkritikerin Lotte Eisner im Jahr 1974. Und auch die Pinguine in der Oscar®-nominierten Antarktis-Dokumentation "Begegnungen am Ende der Welt" (CAN, USA, D 2007) gehen, einer davon freiwillig in den sicheren Tod.
Herzogs eklektischer Stil erlaubt durchaus Variationen. Zwar fügt sich Kinskis verzweifelt manieristisches Schauspiel in Zum Filmarchiv: "Woyzeck" (BRD 1979), einer Klassikerverfilmung nach dem Fragment von Georg Büchner, recht nahtlos ins Stummfilmschema. Allerdings treiben hier ungewohnt starre Einstellungen den gelegentlich Zum Inhalt: tableauartigen Bildaufbau anderer Filme Herzogs bis ins Theatralische. In verblüffendem Kontrast dazu steht die äußerst filmische Auflösung der finalen Mord Zum Inhalt: szene durch eine Zum Inhalt: Zeitlupe. Hingegen streift Zum Filmarchiv: "Stroszek" (BRD 1977) gar den in den 1970er-Jahren populären sozialen Realismus. Die Geschichte eines haftentlassenen Außenseiters, der vor der Brutalität seiner Berliner Umgebung in die USA flüchtet, schwankt souverän zwischen tiefer menschlicher Tragik und grotesker Komik. In seiner Kritik des "American Dream" greift Herzog zwar auch hier zu teils drastischer Symbolik, doch insgesamt zeichnet sich der Film durch eine größere Lebensnähe und auch klassische Figurenzeichnung aus.
Inszenierte Wirklichkeit im Dokumentarfilm
Bemerkt man in Herzogs Spielfilmen in der Regel das Dokumentarische, wozu sich auch seine Arbeit mit Laiendarsteller/-innen zählen lässt, zeigen seine Dokumentarfilme umgekehrt ein hohes Maß an Zum Inhalt: Inszenierung. "Fata Morgana" (BRD 1971), ein zentrales Werk der Frühphase, ist ein psychedelischer Zum externen Inhalt: Experimentalfilm (öffnet im neuen Tab), in dem er Landschaftsaufnahmen einer Afrika-Reise verarbeitet. Der Zum Inhalt: Off-Kommentar stellt nicht etwa politisch-historische Zusammenhänge her, sondern verwebt die Wüstenbilder assoziativ mit dem von Lotte Eisner verlesenen Schöpfungsmythos der südamerikanischen Maya. Der ursprüngliche Plan, Herzogs poetische Sicht auf Aufstieg und Untergang der menschlichen Zivilisation einem Außerirdischen in den Mund zu legen, wurde später in seinem Zum Inhalt: Science-Fiction-Essay "The Wild Blue Yonder" (D, F, UK, USA 2005) umgesetzt.
Aufgrund von Herzogs freimütigem Umgang mit historischen Fakten, Quellen und Zitaten gerade in Dokumentarfilmen empfiehlt es sich, diese eher als Zum externen Inhalt: Essayfilme (öffnet im neuen Tab) zu verstehen. Herzog ist als Autorenfilmer stets erkennbar, er beobachtet nicht neutral, ob er nun in "Wo die grünen Ameisen träumen" (BRD, AUT 1984) den Raubbau am heiligen Land der australischen Aborigines anprangert oder in der Golfkriegs-Dokumentation "Lektionen in Finsternis" (D, F, UK 1992) eine – so die Kritik – "Ästhetisierung des Grauens" betreibt. So agitiert Herzog auch regelmäßig gegen das " Zum Inhalt: Cinéma verité", dem er einen falschen Wahrheitsanspruch vorwirft. Gleichwohl verbindet sein dokumentarischer, oft ethnografisch genannter Stil viel mit Chris Marker, Jean Rouch, Agnès Varda und anderen Essayfilmern dieser Filmrichtung.
Zwischen Distanz und Nähe: Herzogs körperliche Präsenz in Dokumentarfilmen
Feine Unterschiede zeigen sich auch in jenen Dokumentarfilmen, in denen er selbst auftritt. Hier stellt seine körperliche Präsenz als Beobachter, Interviewer und Autor die fragile Balance von Distanz und Nähe vor neue Herausforderungen. So erscheint er in dem Skispringer-Porträt "Die große Ekstase des Bildschnitzers Steiner" (BRD 1974) als rasender Sportreporter, dessen aufgekratzte Superlative ("der größte Skiflieger, den es je gegeben hat") in interessantem Missverhältnis zum bescheidenen Extremsportler Walter Steiner stehen, dem Objekt seiner Bewunderung.
Dass der Filmemacher seine Liebe zu Rausch, Gefahr und Höchstleistung auch zurücknehmen kann, beweist sein pietätvoller Auftritt in "Grizzly Man" (USA 2005). Herzog hat das Grauen und den Blick in den Abgrund, das belegen auch seine Gespräche mit zum Tode Verurteilten in der Serie ("On Death Row" , USA, UK, AUT 2012-13), nie gescheut. Doch der Tod des Naturforschers Timothy Treadwell, der in Alaska einem Bären zum Opfer fiel, berührt sein eigenes Verhältnis zur Natur. Man bemerkt es an seiner Stimme, die er wie ein Instrument zu nutzen versteht. Mit ihrem eigenwilligen Tonfall hat sie nicht nur, gerade in den letzten Jahren, seine Popularität wesentlich begründet. Indem sie das Gesehene gewissermaßen bezeugt, verdeutlicht diese Stimme, nicht weniger als seine Bilder, das subjektive Empfinden des Autors, das persönliche Prinzip des Filmemachers Werner Herzog.