Nach dem Abschluss seines Chemiestudiums 1974 begann David Walsh für das Zum externen Inhalt: Imperial War Museum (IWM) (öffnet im neuen Tab) in London zu arbeiten. Dort leitete er wenig später die Abteilung für Restauration und Zum Inhalt: Digitalisierung des Filmarchivs und parallel dazu bis 2016 die Technical Commission of the International Federation of Film Archives (FIAF). Von Seiten des Museums war er an der Entstehung des Projekts Zum Filmarchiv: "They Shall Not Grow Old" (Peter Jackson, GB/NZ 2018) beteiligt. Mittlerweile wirkt er als Berater für die Digitalisierung beim IWM und lehrt bei der FIAF Restauration.

kinofenster.de: Herr Walsh, wie kam das Projekt "They Shall Not Grow Old" zustande?

David Walsh: Das Imperial War Museum (IWM) hatte den Plan, einen Film zu verwirklichen, der sich dem Gedenken an den Ersten Weltkrieg widmet und in dem das vorliegende Material des Museums verwendet wird. Regisseur Peter Jackson wurde bereits vor einigen Jahren kontaktiert, und er nahm das Projekt an. Letztlich dauerte es drei Jahre von der Bereitstellung des Materials bis zum fertigen Films.

kinofenster.de: Welche ethischen und ästhetischen Richtlinien gab es für Peter Jackson und sein Team?

David Walsh: Es gab diesbezüglich keine Festlegung. Er hatte freie Hand, das Material so zu nutzen, wie er es für richtig hielt.

kinofenster.de: Aus wie vielen Stunden Filmmaterial basiert "They Shall Not Grow Old" ?

David Walsh: Das Museum besitzt ungefähr 350 Stunden Filmmaterial aus dem Ersten Weltkrieg, etwa ein Drittel davon wurde Peter Jackson und seinem Team zur Verfügung gestellt. Dieses wurde zuvor im Rahmen des Projektes Zum externen Inhalt: European Filmgate 1914 (öffnet im neuen Tab) digitalisiert.

kinofenster.de: Was ist über die Entstehung des Filmmaterials bekannt?

David Walsh: Das ist gut dokumentiert. Es gab nur wenige Kameramänner, die eine Drehgenehmigung der britischen Regierung hatten. Geoffrey Malins und E.G. Tong waren die ersten, die im November 1915 offiziell filmten. Später wirkten an der Westfront eine Handvoll Kameramänner: H C Raymond, Bertram Brooks-Carrington, Frank Bassill, Walter Buckstone und Frederick Wilson. Hinzu kamen Kollegen aus Australien und Kanada. Deren Arbeit ist ebenfalls Teil der IWM-Sammlung. Sämtliches Material, das in "They Shall Not Grow Old" verwendet wird, war in der Vergangenheit Teil von Filmen oder von Newsreels. Man muss sich immer vor Augen führen, dass während der Zeit des Ersten Weltkriegs eine redaktionelle Bearbeitung des Materials erfolgte. Die ungeschnittenen Originalbänder sind leider nicht erhalten.

kinofenster.de: Mit welchem Hintergrund entstanden die Aufnahmen?

David Walsh: Ausschließlich zu Propagandazwecken (Glossar: Zum Inhalt: Propagandafilm). Einer der ersten Zum Inhalt: Dokumentarfilme während des Ersten Weltkriegs war "The Battle of the Somme" (GB, 1916). Danach änderte sich der Fokus. Es ging nicht mehr darum, eine einzelne Schlacht zu beleuchten, sondern das Wirken und den Alltag von Regimenten an der Front. Es gibt keine Aufnahmen, die einzelne Kämpfe während einer Schlacht dokumentieren.

kinofenster.de: Bedeutet das, dass in "They Shall Not Grow Old" auch Zum Inhalt: Einstellungen vorkommen, die inszeniert sind?

David Walsh: Wenn man genau hinschaut, enthält der Film keine Kampfszenen. Natürlich gibt es Artilleriegeschütze, die abgefeuert werden und Soldaten, die schießend nach vorne stürmen. Diese Zum Inhalt: Szenen wurden nicht nachgestellt, aber sie entstanden nicht während einer Schlacht. Die Aktionen wurden lediglich für die Kamera ausgeführt.

kinofenster.de: Woher stammen die Tonspuren?

David Walsh: Obwohl es im Abspann des Films den Eindruck erweckt, es handele sich dabei um die einzige Quelle, muss darauf hingewiesen werden, dass nur ein Teil aus einer BBC-Dokumentarserie stammt, die 1964 ausgestrahlt wurde. Für den Großteil wurde das Archiv des IWM benutzt. Es gibt dort zahlreiche Aufnahmen mit Zeitzeugen.

kinofenster.de: Welche technischen Prozesse durchlief das Filmmaterial?

David Walsh: Es wurde eingescannt und damit digitalisiert. Sämtliche Flecken und Kratzer wurden entfernt und die Körnigkeit reduziert. Anschließend wurde die Geschwindigkeit angepasst – aus den ursprünglich circa 16 Bildern pro Sekunde wurden 24, was einen realistischen Bewegungsfluss erzeugt. Schließlich erfolgten die Kolorierung des Materials und die 3D-Bearbeitung (Glossar: Zum Inhalt: 3D-Technik/Stereoskopie).

kinofenster.de: Handelt es sich bei "They Shall Not Grow Old" noch um eine klassische Filmrestaurierung?

David Walsh: Nein. Es geht darüber deutlich hinaus. Das betrifft nicht nur die Bearbeitung des Originalmaterials, sondern auch die Form der Zum Inhalt: Montage, die im Film zur Anwendung kommt. Letztlich ist "They Shall Not Grow Old" – und so war es auch gewollt – das Ergebnis eines künstlerischen Prozesses.

kinofenster.de: Wie waren die Reaktionen innerhalb des Imperial War Museums?

David Walsh: Unterschiedlich, nicht nur wohlwollend. Mein Kollege Matthew Lee, Leiter der Filmabteilung, fand einige kritikwürdige Punkte. Zum einen, dass der Film sich zu sehr auf die Westfront konzentriert und den Eindruck vermittele, dass ausschließlich männliche Weiße in das Kampfgeschehen involviert waren. Die im Film verwendeten Stimmen stammen ausschließlich von Veteranen, allerdings nahm man ihre Eindrücke etliche Jahre nach dem Kampfgeschehen auf. Und schließlich betont Lee, dass der Film keine neuen historischen Erkenntnisse oder eine neue Perspektive liefere.

kinofenster.de: Was können Schülerinnen und Schüler durch den Film "They Shall Not Grow Old" dennoch lernen?

David Walsh: Der Film vermittelt, wie sich die Soldaten während des Ersten Weltkriegs fühlten. Das Material illustriert darüber hinaus, dass es sich um junge Menschen handelte, die keine Vorstellung davon hatten, was sie im Krieg erwartet und die darüber auch keine Kontrolle hatten.

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