Der Erste Weltkrieg bedeutete in vielfacher Hinsicht eine Zäsur. Zum ersten Mal stellten die Industriegesellschaften auf den Schlachtfeldern Europas die Zerstörungskraft ihrer Kriegsmaschinerien unter Beweis. Auch die Nachrichten von der Front besaßen eine neue Qualität: Erstmals erreichten bewegte Bilder, die ihre Inhalte als untrüglich authentisch auswiesen, die Bevölkerung fernab der Kriegsschauplätze. Seine Darstellung als erster “Medienkrieg“ – beziehungsweise als erstes massenmediales Ereignis der Moderne – prägt das Bild vom Ersten Weltkrieg bis heute. Gleichzeitig ist die Erinnerung überlagert von dem Eindruck späterer Konflikte im 20. Jahrhundert, die durch die rasante Verbreitung der Massenmedien ikonografische Dominanz erlangten. Rückblickend ist vor allem die Westfront als Sinnbild des Ersten Weltkrieges in Erinnerung geblieben: für eine beispiellose Materialschlacht und die Unmenschlichkeit eines Stellungskrieges, der seine jungen Soldaten als Kanonenfutter an den Feind verfeuerte.

Der "Sinn" des Krieges

Ein wesentlicher Grund für die Ikonografie des Ersten Weltkrieges war das Kino, das in den Kriegsjahren weltweit als Unterhaltungsindustrie prosperierte und in der breiten Bevölkerung auf großen Zuspruch stieß. Das Kino versprach, die Diskrepanz zwischen der Fronterfahrung der Soldaten und der Erfahrung der Angehörigen in der Heimat zu überbrücken und fungierte darüber hinaus als verbindendes Medium der Sinnstiftung quer durch alle Gesellschaftsschichten. In den vermeintlich objektiven Berichten von der Front sollte sich die leidgeplagte Bevölkerung ein Bild von der heroischen Leistung der Soldaten machen und sich vom Sinn des Krieges überzeugen.

Propaganda im Kino

Die suggestive Kraft des Filmbildes wurde für die kriegsführenden Nationen umso bedeutsamer, je länger der Krieg andauerte und die Zustimmung in der Bevölkerung sank. So wandelte sich die Rolle des Kinos innerhalb der Informationspolitik Deutschlands und der Entente nach Kriegsbeginn. Da sich das Publikum mit leidlich authentischen Wochenschauaufnahmen nicht länger zufrieden gab, wurde das aufkommende Massenmedium Film stärker in die zentral organisierte Zum Inhalt: Propaganda-Arbeit eingebunden. Sergej Eisenstein beschrieb 1924 die Wirkungsweise des Kinos für propagandistische Zwecke damit, “dass der Zuschauer in einer Aufführung mit dramatischer Wirkung nicht sofort in den Zustand einer neutralen Betrachtung zum Geschehen versetzt wird, sondern dass er mit einem Teil mitfühlt, sich dabei mit dessen Handlung identifiziert, sich schließlich dem anderen Part widersetzt (...).“

Die Erfindung des Genres Kriegsfilm

Zwei Entwicklungen lassen sich während der Kriegsjahre beobachten und in einen Zusammenhang bringen. Zum einen eignete sich das Kinopublikum durch die beständige Auseinandersetzung mit dokumentarischen Kriegsbildern (Glossar: Zum Inhalt: Dokumentarfilm) eine "Medienbildung" an, was dazu führte, dass die in vielen Fällen nachinszenierten Aufnahmen von der Front und von den Kämpfen sehr bald als Fälschungen und eben nicht mehr als authentische Zeugnisse wahrgenommen wurden. Die Folge war, dass die Schaltstellen der Propaganda dazu übergingen, die Berichterstattung in eine dramatische Form zu überführen, in der die "emotionale" Vermittlung der Informationspflicht übergeordnet war. So entstand noch in den Kriegsjahren das Zum Inhalt: Genre des Zum Inhalt: "Kriegsfilms", das sich zwar weiter auf seinen Realismus berief, aber auf komplexere erzählerische Formen als die bis dahin verbreiteten Nachrichtenbilder aus den Aktualitäten (Zusammenstellungen von Nachrichtenfilmen) und Wochenschauen zurückgriff. Die Entwicklung des Kinos zum Erzählmedium vollzog sich zeitlich parallel zum Ersten Weltkrieg.

Schwierige Überlieferungsgeschichte zeitgenössischer Filme

Aus heutiger Sicht lässt sich sagen, dass die Bildproduktion während des Ersten Weltkriegs untrennbar mit den Propagandabemühungen der Kriegsmächte verbunden war. Die Forschung zu diesem frühen Abschnitt der Kinogeschichte erwies sich jahrzehntelang vor allem deshalb als schwierig, weil viele Produktionen aus dieser Zeit als verschollen gelten oder die Besitzstände in den Archiven lange Zeit nicht öffentlich zugängig waren. Die Initiative European Film Gateway 1914 der europäischen Filmarchive hat in der Forschung zum Ersten Weltkrieg eine große Lücke geschlossen, da diese historisch bedeutsame Kinogeschichte zum ersten Mal überhaupt systematisch erschlossen und der Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt werden konnte. Die auf der Website des Projekts kostenlos bereit gestellten Filme liefern einen, wenn auch aufgrund der unvollständigen Überlieferung nicht zweifelsfrei repräsentativen, so doch zumindest differenzierten Einblick in die zeitgenössische Darstellung des Ersten Weltkrieges.

Alternatives Bildergedächtnis des Ersten Weltkriegs

So lässt sich anhand dieser nach langer Zeit erstmals wieder verfügbaren Filme ein besseres Verständnis vom Verhältnis von Kino und Propaganda einerseits, und Front und Heimat andererseits gewinnen – und damit auch ein alternatives Bildergedächtnis des Ersten Weltkriegs herausarbeiten. Die grundlegenden Prinzipien besitzen für die mediale Zum Inhalt: Inszenierung des Krieges bis heute Gültigkeit, weswegen ein neuer Blick auf den "historischen" Krieg durchaus lohnt. Denn wenn sich die Schlachtfelder im Laufe der Jahrzehnte auch gewandelt haben, sind die (Bild-)Medien noch immer ein feiner Seismograf für das Verhältnis einer Gesellschaft zum Krieg.

Mehr zum Thema