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Es war einmal … - Märchen im Film
"Merida – Legende der Highlands" liegt mit seiner nach Selbstbestimmung strebenden weiblichen Titelfigur ganz im Trend aktueller Märchenfilme, die tradierte Rollenmuster oft uminterpretieren.
Prinzessinnenhaft? Das ist die weibliche Titelfigur im Zum Inhalt: Animationsabenteuer Zum Filmarchiv: "Merida – Legende der Highlands" (Brave, Brenda Chapman, Mark Andrews, Steve Purcell, USA 2012) ganz und gar nicht. Zum Leidwesen ihrer Mutter macht der Zum Inhalt: rote Lockenkopf aus den schottischen Highlands lieber all das, was sonst Jungen vorbehalten ist und kann zudem mit den trotteligen Prinzen, die ihr als mögliche künftige Gemahle vorgestellt werden, nichts anfangen. So wie in Zum Filmarchiv: "Merida" ist in Märchenfilmwelten mittlerweile einiges anders, als es einmal war. Der Reiz an den teilweise Jahrhunderte alten Geschichten ist dennoch ungebrochen. Nach wie vor entstehen Adaptionen der bekannten Volksmärchen oder der Kunstmärchen, die von Autoren wie Wilhelm Hauff oder Hans Christian Andersen verfasst wurden. Unzählige Filme greifen aus diesem Fundus einzelne Elemente und Motive auf, die ihnen märchenhaften Charakter verleihen – vom Aschenputtel-Thema in der Hollywood-Romanze "Pretty Woman" (Garry Marshall, USA 1990) bis zu den Kinowelten von Filmemacher Tim Burton, in dessen Filmen häufig – man denke an (Big Fish, USA 2003) – die Grenzen zwischen Märchen und Fantasy verwischen.
Märchenboom im Kino
Hollywood erlebt derzeit einen regelrechten Märchenboom. Erst kürzlich kamen die zwei Schneewittchen-Filme "Spieglein Spieglein - Die wirklich wahre Geschichte von Schneewittchen" (Mirror Mirror, Tarsem Singh, USA 2012) und (Rupert Sanders, USA 2012) ins Kino. Im nächsten Jahr wird sich der Trend unter anderem mit "Hänsel und Gretel: Hexenjäger" (Hansel and Gretel: Witch Hunters, Tommy Wirkola, Deutschland, USA 2013) fortsetzen. Zudem wurden gleich zwei neue Cinderella-Varianten angekündigt. Dass diese Geschichten im Kino oft Kassenmagneten sind und die Filmindustrie wiederholt auf sie zurückgreift, hat eine Reihe von Gründen: So alt die Geschichten auch sein mögen, so zeitlos sind sie und stellen aufgrund ihrer Bekanntheit ein reduziertes wirtschaftliches Risiko für die Produzenten/innen dar. Zudem haben ihre moralischen Botschaften und Werte wie Ehrlichkeit und Mut bis heute Gültigkeit. Besonders reizvoll für Kinoadaptionen ist dabei, dass Märchen Tore zu Welten aufstoßen, in denen das Reale und das Übersinnliche selbstverständlich nebeneinander existieren und die so mit üppigen visuellen Schauwerten und aufwändiger Zum Inhalt: Ausstattung aufwarten
Klassiker der Märchenfilmwelt
Das Kino hat die Märchen früh für sich entdeckt. Bereits 1906 entstand in Deutschland eine erste zweiminütige Verfilmung von Frau Holle. Aber auch über die Stummfilmzeit hinaus dienten sie vielfach als Leinwandvorlagen: In Frankreich drehte Jean Cocteau nach der Geschichte von Die Schöne und das Biest sein poetisches Meisterwerk "Es war einmal" (La Belle et la Bête, 1946), das ebenso zu den großen Märchenklassikern zählt wie Zum Filmarchiv: "Der Zauberer von Oz" (The Wizard of Oz, Victor Fleming, USA 1939). In den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden zahlreiche Märchenadaptionen in der UdSSR, der Tschechoslowakei und der DDR. Diese zeichnen sich – anders als viele Produktionen aus der Bundesrepublik in den 1950er- und 1960er-Jahren – durch ihre effekt- und liebevollen Inszenierungen aus, die meist den sozialen Aspekt des Märchens betonten. Märchenfilme wie "Das kalte Herz" (Paul Verhoeven, DDR 1950) oder (Wolfgang Staudte, DDR 1953) erlangten auch jenseits des Eisernen Vorhangs Popularität. In den USA waren Märchen Grundlage für Disney-Zeichentrickerfolge wie Zum Filmarchiv: "Schneewittchen und die sieben Zwerge" (Snow White and the Seven Dwarfs, David Hand, USA 1937) oder" Dornröschen" (Sleeping Beauty, Clyde Geronimi, USA 1959). Dabei hielten sich nicht nur bei Walt Disney die Verfilmungen an viele Koordinaten der Märchenvorlagen: Sie führten in eine vorindustrielle Welt, in der die Abgrenzungen zwischen Gut und Böse scharf gezogen waren und die häufig bevölkert wurde von Prinzen und Prinzessinnen, Zwergen, Riesen und allerlei übernatürlichen Wesen – von sprechenden Tieren bis hin zu den bösen Antagonisten, den Hexen und Zauberern. Weder Zeit noch Ort der Handlung ist in den meisten Fällen genauer bestimmt und am Ende der Geschichte steht ein Happy End: Das Böse wird besiegt. Das Gute und die Liebe triumphieren.
Vertauschte Rollen
Unter Berücksichtigung dieser Traditionen haben sich die von Generation zu Generation weitergegebenen Geschichten für das Kino als äußerst strapazierfähige Stoffe erwiesen, die ausreichenden Spielraum für Neuinterpretationen lassen. Dies zeigt sich an den zwei bereits oben erwähnten aktuellen Schneewittchen-Verfilmungen: Gemeinsam haben sie, dass Schneewittchen längst nicht mehr nur die unschuldige Schönheit ist, die sich um den Haushalt der Zwerge kümmert und auf ihren royalen Retter wartet. Im düsteren wird Schneewittchen zur durchsetzungsstarken Kriegerin, die einen Feldzug gegen die Stiefmutter anführt und diese im Zweikampf besiegt. Und auch im ebenso bildgewaltigen, jedoch eher verspielten Designmärchen "Spieglein Spieglein" nimmt Schneewittchen ihr Schicksal selbst in die Hand – mit Unterstützung der sieben Zwerge, einer multiethnischen Banditenbande aus dem Wald.
Auffällig ist in beiden Filmen nicht nur, dass die vom Schönheitswahn besessenen Stiefmütter mehr in den Vordergrund treten. So wie hier verkehrt sich mittlerweile auch häufiger das klassische Rollenbild von Prinz und (künftiger) Prinzessin. Die weiblichen Protagonistinnen müssen nicht mehr zwangsläufig darauf warten, von einem Fluch oder aus ihrem ärmlichen Dasein befreit zu werden. Stattdessen werden sie häufiger als trotzige, mutige, starke Heldinnen gezeichnet, während der Prinz – einst festgelegt auf den Part des strahlend-schönen Retters – mitunter hilflos, eitel oder ungeschickt daherkommt. Einer der ersten Filme, der die in Märchen vorherrschenden Rollenbilder aufbrach, entstand bereits 1973 in der Tschechoslowakei mit dem Klassiker "Drei Nüsse für Aschenbrödel" (Tri orísky pro Popelku, Václav Vorlícek).
Neue Erzählstile
Über die Figurenzeichnung hinaus nehmen sich die modernen Produktionen viele Freiheiten, um die Konventionen der Märchenfilmwelt durcheinander zu schütteln. Filme wie das Zum Inhalt: Animationsmärchen (Shrek, Andrew Adamson, Vicky Jenson, USA 2001) bedienen sich aus dem Figuren- und Motivfundus zahlreicher Märchen, um sie mit bissig ironischem Humor und einem stinkenden Oger als Held wider Willen zu persiflieren. Von der Betulichkeit, die manch alte Adaption ausstrahlte, ist dabei nichts mehr zu spüren. Überhaupt haben die aktuellen Real- und Zum Inhalt: Animationsfilme, die sich häufig durch Filmgeschichte und Popkultur zitieren, nicht nur an Erzähltempo zugelegt. Auch der Humor ist vor allem in den Zum Inhalt: Trickfilmen – etwa (Hoodwinked!, Cory Edwards, Todd Edwards, USA 2005) oder (Tangled, Nathan Greno, Byron Howard, USA 2010) – oft schnell und slapstickhaft.
Filme für die ganze Familie
Immer noch gibt es auch Märchenfilme, die sich – wie bis in die 1930er-Jahre noch üblich – primär an ein nicht-kindliches Publikum richten. Eine Modernisierung wie zeigt, dass ein Märchen die Grundlage für einen epischen Actionfilm im Blockbusterformat abgeben kann. Und vor allem Rotkäppchen-Interpretationen wie Neil Jordans alptraumhafte Initiationsgeschichte einer 16-Jährigen in "Die Zeit der Wölfe" (The Company of Wolves, Großbritannien 1985) beschäftigten sich (tiefen-)psychologisch mit Deutungen des sexuellen Subtextes der Vorlage: mit Unschuld, Triebhaftigkeit und Verlangen. Die Mehrheit der Märchenverfilmungen richtet sich jedoch – mit einer kindgerechten Umsetzung und (Humor-)Ebenen, die sie auch für erwachsene Zuschauer/innen interessant machen – an ein breites Familienpublikum.