Kategorie: Hintergrund
Ohne Worte: Nonverbale Kommunikation in "In meinem Kopf ein Universum"
Zwischenmenschliche Kommunikation besteht aus mehr als Sprache. Anhand ausgewählter Szenen des Films "In meinem Kopf ein Universum" beleuchtet der Hintergrundartikel, wie sich Menschen ohne Worte verständigen können.
Mateus ist noch ein Kind, als eine Ärztin die Diagnose stellt, die sein Leben bis ins Erwachsenenalter hinein beeinträchtigen wird: "Der Junge ist geistig behindert", erklärt sie, während Mateus im Bildvordergrund seinen Kopf zur Seite kippt, als wolle er dem Gespräch lauschen. Da er unter einer zerebralen Bewegungsstörung leidet, kann er sich weder artikulieren noch kontrolliert bewegen. Während die Ärztin über den Jungen redet, als wäre er nicht anwesend, wird dieser immer unruhiger. Mateus schnaubt, wirft den Kopf nach hinten, seine Hände verkrampfen. "Was ist, Söhnchen?", fragt die besorgte Mutter. Seine Körpersprache spricht Bände, doch dafür hat die Ärztin kein Auge: "Sie können sich nicht mit ihm verständigen", so ihr Urteil. "Niemals."
Die Sprache des Körpers
Die Eltern sind hingegen von der Intelligenz ihres Sohnes überzeugt. Sie versuchen in seinen Augen zu lesen, studieren seine Gesichtsausdrücke, interpretieren seine Gesten und Bewegungen. So richtet Regisseur Maciej Pieprzyca in Zum Filmarchiv: "In meinem Kopf ein Universum" (Polen 2013) den Fokus auf Mateus und zeigt, wie dieser auf seine Umwelt reagiert oder Bedürfnisse und Gefühle vermittelt: ein aufgeregtes Glucksen etwa als Ausdruck von Freude. Ist er wütend, bäumt er sich in seinem Rollstuhl auf und gibt unartikulierte Geräusche von sich. Immer wieder erkundet die Kamera sein Gesicht: die kleinsten Regungen, das angestrengte Mahlen seines Mundes, als wolle er Worte herauspressen, ein Anflug von Lächeln oder aufgeregtes Zwinkern. Nicht umsonst zeigt ihm sein Vater, wie man "als echter Kerl" auf den Tisch haut, wenn man die Nase voll hat – eine Geste, die wohl jeder versteht.
Auch Schweigen ist Kommunikation
Tatsächlich findet unsere alltägliche zwischenmenschliche Kommunikation überwiegend auf einer nonverbalen Ebene statt. Sprache wird in Bezug auf Beziehungen zwar als wichtigster Teil angesehen, da sie Inhalte vermittelt. Doch in jeder Begegnung werden zusätzlich zu den Worten paraverbale (also Stimmlage und Tonfall betreffende) und nonverbale Signale ausgesandt: durch Blicke, Mimik und Gestik, die Körpersprache und Berührungen. "Wir können nicht nicht kommunizieren", hat der US-amerikanische Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick einmal gesagt, denn jedes Verhalten – auch ein Schweigen – hat kommunikativen Charakter. Nonverbale Kommunikation wird deshalb auch als aussagekräftiger gewertet als die verbale, weil erstere oft unbewusst abläuft und schwerer kontrollierbar ist als Sprache. Wer bei Aufregung errötet, kann nichts dagegen tun.
Die nonverbalen Ausdrucksmöglichkeiten von Mateus sind aufgrund seiner Behinderung allerdings eingeschränkt und müssen daher – mehr noch als in der verbalen Kommunikation – ständig interpretiert werden. Im Park schaut er seine Mutter einmal so intensiv an, dass sie sicher ist, er wolle ihr etwas sagen. Nur was? Ist es Hunger? Durst? Ein Ausdruck von Liebe? Nach dieser Szene bricht Mateus – zumindest für die Zuschauenden – sein Schweigen, da er aus dem Zum Inhalt: Off das Geschehen zu kommentieren beginnt. Der innere Monolog erinnert an den Protagonisten in Julian Schnabels (Frankreich, USA 2007), der nach einem Schlaganfall am Locked-in-Syndrom leidet.
Zeichen der Zuneigung
Lernt Mateus in seiner Familie, wie soziale Beziehungen im Alltag ablaufen, eröffnet ihm die Bekanntschaft mit dem Nachbarsmädchen Anka erstmals den gesellschaftlichen Raum samt einer neuen sozialen Rolle. Schon bei ihrer ersten Begrüßung wird das Mädchen zu seinem Sprachrohr: "Hallo Anka, ich bin Mateus. Du bist ein nettes Mädchen." Sie erkennt Mateus neugierig und vorurteilsfrei als gleichwertiges Gegenüber, das ebenso sensibel und einsam ist wie sie. Die gemeinsamen Unternehmungen – Besuche im Zoo oder im Panoptikum, wo ihre Figuren im Zerrspiegel miteinander verschmelzen – holen Mateus raus aus seinem eintönigen Alltag in der elterlichen Wohnung. Er erfährt dabei fernab der Familie eine andere Form der körperlichen Nähe und Ansprache, die auf Zuneigung basiert. "Zum ersten Mal in meinem Leben war ich für jemanden ein Mann", erklärt Mateus, wenn Anka ihren Kopf auf seine Schulter legt.
Mateus éducation sentimentale setzt sich ausgerechnet in dem Heim fort, in das er nach einem Unfall der Mutter eingewiesen wird. Die Institution entpuppt sich als Verwahranstalt, in der Mateus als vermeintlich geistig behinderter Mensch keinerlei Anregung für wert befunden wird. Erst die Praktikantin Magda bricht diese Isolation auf. Bereits bei der ersten Begegnung – seinen Blick auf ihr Dekolleté registriert sie mit einem Lächeln – erkennt sie in Mateus einen Menschen mit wachem Verstand und eigenen Bedürfnissen. Als sie ihn füttert, wischt sie seinen Mund mit ihrer Hand statt mit dem Löffel ab. Eine intime Berührung, die er nur von seiner Mutter kennt.
"Wenn ich mit ihm rede, reagiert er. Er versteht mich", erklärt Magda dem Stationsarzt, der offenbar auch Gefallen an der jungen Frau gefunden hat. "Manchmal sind Worte nicht nötig. Man schaut in die Augen und weiß es", sagt sie und küsst Mateus vor den Augen des Vorgesetzten auf die Stirn. Echte Zuneigung oder nur ein Machtspiel? Um Mateus zumindest ist es geschehen und so sehen wir Magda wiederholt auch mit seinen Augen: wie sie ihn anlächelt oder mit ihm im Rollstuhl tanzt. Einmal erlaubt sie Mateus sogar, ihre Brüste zu berühren – wohl wissend um seine heimliche Leidenschaft. Doch Signale, sprachlich oder nonverbal, können missverstanden, manchmal auch missbraucht werden.
Bereitschaft der Mitmenschen
"In meinem Kopf ein Universum" zeigt in verschiedenen Lebenssituationen, wie Mateus durch Blicke und Lautsprache Kontakt mit seiner Umwelt aufnimmt und auf diese Weise von seinen Mitmenschen eine Beziehung einfordert. Immer jedoch ist er dabei auf die Bereitschaft seiner Mitmenschen angewiesen, sich auf ihn einzulassen und ihm vorurteilsfrei zu begegnen. In der Familie und im Heim erlebt er hingegen immer wieder, dass seine Kommunikationsversuche als Anfälle missverstanden werden. Ähnlich wie in Zum Filmarchiv: "Die Sprache des Herzens" (Frankreich 2014) über das taubblinde Mädchen Marie ermöglicht Mateus erst die Zeichensprache, die ihm eine Therapeutin beibringt, dass er sich verständigen und am sozialen Leben teilhaben kann.