Kategorie: Hintergrund
Beate Völcker über ihr Drehbuch zu "Fritzi"
Die Drehbuchautorin Beate Völcker hat das Kinderbuch "Fritzi war dabei" von Hanna Schott für die Leinwand adaptiert. Dabei hat sie die Geschichte zum Teil für den Film verändert und prägnante Szenen für das Leben in der DDR gefunden.
Die im Text hervorgehobenen Worte werden im Glossar Zum Inhalt: "Begriffe aus dem historischen Kontext von "Fritzi" " erklärt.
Um eine Romangeschichte kinotauglich zu machen, müssen sich Zum Inhalt: Drehbücher immer auch von der literarischen Vorlage lösen. Die Dramaturgin und Filmpädagogin Beate Völcker erklärt im Folgenden, wie sie das Kinderbuch "Fritzi war dabei" von Hanna Schott adaptiert hat. Der Artikel basiert auf einem Gespräch, das kinofenster.de-Autor Stefan Stiletto mit der Drehbuchautorin geführt hat. Für Zum Filmarchiv: "Fritzi – Eine Wendewundergeschichte" (Ralf Kukula, Matthias Bruhn, DE/BE/LU/CZ 2019) wurde Beate Völcker bereits 2012 beim Internationalen Trickfilmfestival Stuttgart mit dem Deutschen Animationsdrehbuchpreis prämiert.
Für mich ist das Bemerkenswerte an Hanna Schotts Buch Fritzi war dabei, dass es sich einer großen Authentizität verschreibt. Als Tatsachenroman hat es den Anspruch, historisch korrekt zu erzählen und ein genaues Bild der Zeit zu zeichnen. Zugleich setzt es wichtige Ereignisse rund um die Montagsdemonstrationen gekonnt in einem dramaturgischen Sinne ein, um daraus eine Art Spannungsbogen zu entwickeln.
Im Buch ist die Hauptfigur Fritzi eine Beobachterin. Sie erlebt die Friedliche Revolution an der Seite ihrer Mutter. Sie geht – vor dem entscheidenden 9. Oktober 1989 – ein einziges Mal mit ihr in die Nikolaikirche. Ab diesem Zeitpunkt berichtet Fritzi, was ihre Mutter ihr erklärt oder was sie aus den Gesprächen Erwachsener aufnimmt. Fritzi denkt darüber nach, aber sie ist im Grunde nicht selbst involviert. Im Lesefluss ist das wunderbar, aber in einem Spielfilm sollte die Hauptfigur in eine dramatische Handlung verwickelt werden. Sie muss eine eigene Geschichte haben.
Die Romanfigur Fritzi wird zur Filmfigur
Zunächst habe ich Fritzi älter gemacht. Im Roman ist sie zehn Jahre alt, im Film zwölf. Dafür gibt es zwei Gründe. Zum einen war es nötig, dass sie als Filmfigur unabhängiger von ihren Eltern agieren und auch alleine auf eine Demonstration gehen kann. Zum anderen ist sie am Anfang ein Kind, das relativ wenig weiß über die politischen Verhältnisse in seinem Land, am Ende aber ein ganz gutes Verständnis davon gewonnen hat, wo es lebt. Um das glaubwürdig zu erzählen, braucht es eine gewisse kognitive Reife.
Dann habe ich sie mit einem eigenen Ziel versehen, das sie unmittelbar in Konflikt mit den gesellschaftspolitischen Verhältnissen in ihrem Land bringt. Wir erzählen das dadurch, dass Fritzis beste Freundin Sophie, die im Buch nur eine kleine Nebenrolle spielt, nach den Sommerferien nicht mehr in die Schule zurückkommt. Sophies Mutter ist mit ihrer Tochter in den Westen geflüchtet. Aber Sophies Hund Sputnik ist in Fritzis Obhut geblieben, weil auf dem Campingplatz in Ungarn angeblich keine Hunde erlaubt waren. Fritzi empfindet das als einen ganz großen Verrat der Erwachsenen. Sie ist überzeugt, dass Sophie nichts davon wusste. Und vor allem weiß sie, wie sehr Sophie ihren Hund vermisst, und setzt nun alles daran, dass Sputnik zurück zu Sophie kann. Fritzi nutzt eine Klassenfahrt zu einer Jugendherberge in der Nähe der Grenze, um Sputnik von dort aus zu Sophie zu bringen. Das scheitert. Sie wird an der Grenze aufgegriffen. Aber das ist der Moment, in dem Fritzi begreift, dass sie de facto wie in einem Gefängnis lebt.
Die Grenze als prägnantes Symbol der DDR
Es war ein Balanceakt, eine kinotaugliche, abenteuerliche und spannende Geschichte zu entwickeln, zugleich aber auch die historischen Fakten glaubwürdig zu erzählen. Aus der Psychologie der Hauptfigur heraus und im Rahmen eines Kinofilms ist es total glaubwürdig, dass ein Kind auf die Idee kommt: "Ich mache das einfach, ich bringe den Hund über die Grenze." Als Kind hat man die Fantasie, dass man da schon irgendwie rüberkommt. Es war mir wichtig, die Grenze zu erzählen. Wie verdeutlicht man Kindern sonst, was die DDR war? Was eine Diktatur ist, was es heißt, in Unfreiheit zu leben, nicht reisen zu können, nicht sagen zu können, was man denkt? Die Grenze ist dafür ein prägnantes Symbol, das unmittelbar nachvollziehbar und verständlich ist. Sie musste im Film gezeigt werden. Im Buch taucht sie in dieser Form nicht auf.
Die geschichtlichen Ereignisse in einen Film einzubauen, war gar nicht so einfach. In dieser Hinsicht war Hanna Schotts Roman hilfreich: Er erzählt von drei Montagsdemonstrationen und nutzt sie dramaturgisch (Glossar: Zum Inhalt: Dramaturgie). Das haben wir auch im Film so gemacht. Im Roman findet Fritzi den Weg in die Nikolaikirche zu den Montagsdemonstrationen an der Hand ihrer Mutter. Im Film ist Bela, der im Buch mit seiner Familie in den Westen flieht, für Fritzi die Brücke. Wir erzählen ihn als einen Jungen, dessen Vater in der Bürgerrechtsbewegung aktiv ist und regelmäßig zu den Montagsgebeten geht. Über Bela findet Fritzi den Kontakt zu Menschen, die in der DDR etwas verändern wollen und die dafür schließlich auf die Straße gehen.
Drehbuchschreiben ist ein langer Prozess
Bestimmte Abweichungen von der Buchvorlage standen in der allerersten Phase der Stofffindung fest. Dazu gehören Sophie und Sputnik. Erst in späteren Fassungen dazugekommen – insgesamt haben wir acht Fassungen geschrieben – ist die Verhaftung von Fritzis Vater. Auch das Schulausschlussverfahren gegen Fritzi nach der Aktion an der Grenze, wenn der Klassenrat am Ende eine andere Entscheidung als die politisch erwünschte fällt, wurde erst spät hinzugefügt.
Beim Drehbuchschreiben ist es normal, Konflikte erst zu etablieren und danach zu vertiefen, sie auszuloten: Welche Konsequenzen kann es haben, wenn ich mich in der DDR politisch betätige? Das konnte dazu führen, dass man verhaftet wird. Diese Zum Inhalt: Szenen waren also nicht der Versuch, möglichst viel Spannung in die Geschichte zu bringen, sondern sehr ernsthaft die Folgen aufzuzeigen, die bestimmte Haltungen und Handlungen zu dieser Zeit haben konnten.
Die Klassengemeinschaft spiegelt die Gesellschaft
Fritzi hat zu Beginn nicht viele Freunde. Nachdem Sophie weg ist, ist sie in der Klasse ein bisschen alleine. Sie begreift aber, dass sie für das, was sie tun möchte, Verbündete braucht. Als sie Sputnik über die Grenze bringen will, braucht sie Bela, der ihr hilft, den Hund unbemerkt in die Jugendherberge zu schmuggeln. Als das schief geht, merkt sie, dass sie eigentlich auch Unterstützung in ihrer Klasse braucht. Wo sind die, die mich verstehen und vielleicht auch richtig finden, wie ich mich verhalten habe? Verbündete wie Birgit oder Kai aus dem Klassenrat, die ihre Haltungen überdenken und sich überzeugen lassen durch Argumente.
Im Kleinen spiegelt das den großen Prozess auf der gesellschaftlichen Ebene. Es musste ja erst eine kritische Masse derer geben, die auf die Straße gehen, um eine Veränderung bewirken zu können. Fritzi merkt, dass man den Mut haben muss, aufzustehen. Aber dass man eben auch die vielen anderen braucht, die mit einem zusammen aufstehen.
Weiterführende Links
- External Link Offizielle Webseite zum Film
- External Link Informationen zum Film vom Verleih
- External Link Vita der Autorin Beate Völcker
- External Link Buchvorlage: "Fritzi war dabei" von Hanna Schott
- External Link bpb-Mediathek: Leipzig im Herbst
- External Link Hanisauland.de: DDR – erklärt für Kinder
- External Link Hanisauland.de: Flucht- und Bürgerbewegungen in der DDR