Wichtiger Hinweis:

Die im Text hervorgehobenen Worte werden im Glossar Zum Inhalt: "Begriffe aus dem historischen Kontext von "Fritzi" " erklärt.

Alle scheinen es zu wissen, nur Fritzi hat es noch nicht verstanden. "Die Hippies haben rübergemacht in den Westen", sagt ihr Mitschüler Benni zu Fritzi auf dem Schulhof. Die 12-Jährige aber will nicht glauben, dass ihre beste Freundin einfach von ihr weggegangen ist. "Sophie macht nur länger Ferien", sagt sie und drückt den Jungen an die Hauswand, dann dampft sie wütend ab.

Ein Jahr des Wandels in der DDR

Es ist Sommer 1989 in Leipzig. Die Ferien sind gerade vorbei, das neue Schuljahr beginnt, Fahnenappell auf dem Schulhof, Pioniergruß, das normale Leben geht weiter, eigentlich. Denn im Grunde – und das zeichnet sich langsam ab – ist nichts mehr wie vorher. Im Sommer 1989 flüchteten beim Paneuropäischen Picknick an der österreichisch-ungarischen Grenze hunderte DDR-Bürger/-innen in den Westen. Die Grenze war nur kurzzeitig geöffnet worden, ein Vorbote des Mauerfalls, der sich nur wenige Monate später ereignen sollte. Diese erste kleine Fluchtwelle wird im Film nur durch Nachrichtenbilder angerissen, die sich Fritzis Mutter im Fernsehen anschaut. Fritzi aber will kein Fernsehen gucken, sie will nur wissen, ob ihre Mutter von der Flucht der Freundin gewusst hat.

Fritzi – Eine Wendewundergeschichte, Trailer (© Weltkino Filmverleih)

Langsam fällt es ihr nämlich wie Schuppen von den Augen: Dass Sophie ihren Hund Sputnik nicht mitnehmen durfte, die vielen Koffer, die fehlende Ansichtskarte. Hat Sophie ihr diese endgültige Reise wirklich verheimlicht? Kurz vor ihrer Abreise hatten die beiden noch gemeinsam in dem wunderschönen Baumhaus im Hinterhof ihrer Leipziger Altbauwohnung zusammen gespielt. "Ich war noch nie im Ausland", hatte Fritzi fast neidisch gesagt und ihrer Freundin die Mundharmonika mitgegeben, damit sie nach den Ferien gemeinsam spielen könnten.

Die Friedliche Revolution – aus der Kinderperspektive

Die Regisseure Ralph Kukula und Matthias Brun haben das Kinderbuch Fritzi war dabei von Hanna Schott adaptiert Glossar: Zum Inhalt: Adaption) und reflektieren mit ihrem Zum Inhalt: Animationsfilm ein wichtiges Stück deutsch-deutscher Geschichte. Exakt 30 Jahre nach dem Mauerfall erzählen sie in leichter und kindgerechter Weise vom Weg zur Wende in der DDR und von der Friedlichen Revolution. Wie kamen die Proteste ins Rollen und welche Konsequenzen brachten sie für die politisch aktiven Bewohner/-innen des Landes? Erzählweise und Stil bleiben stets in der Kinderperspektive, weil Fritzi alles am eigenen Leib erfährt: den Verlust der Freundin, den unfreiwilligen Kontakt zur Staatssicherheit (Stasi) und die Teilnahme an den Protesten. Durch ihre Neugier saugt das junge Mädchen die Aufbruchsstimmung im Land geradezu in sich auf. Sputnik, Sophies Hund, führt Fritzi zufällig in die Nikolaikirche und danach auf jene Demonstrationen, die einen bedeutenden Anteil auf dem Weg zum Mauerfall hatten. Die Menschen in Leipzig erheben bei den Demonstrationen ihre Stimme, weil sie sich eingesperrt fühlen in ihrem Land, sie wollen frei reisen und ihre Meinung äußern dürfen.

Auch wenn die Zeichnungen sehr einfach und reduziert sind, bleiben sie realitätsnah: Nichts ist verfremdet oder überspitzt. Das großgewachsene, schmale Mädchen mit den halblangen blonden Haaren, das sich bewusst mit der Gesellschaft auseinandersetzt, in der sie lebt, beweist Mut und Durchsetzungskraft, auch gegen die eigene Familie. Denn die Eltern sind keine politisch aktiven Menschen. Im Gegenteil, vorsichtig und in Sorge beobachten sie, wie Fritzi, auch durch die langsam wachsende Freundschaft zu ihrem neuen Klassenkameraden Bela, Kontakt zur Oppositionsbewegung aufnimmt. Sie haben Angst – ein Gefühl, das Fritzi nicht teilt.

Fritzi – Eine Wendewundergeschichte, Szene (© Weltkino Filmverleih)

Wendegeschichten: Differenzierung und Vereinfachung

Als Kind hat sie an der DDR erstmal nichts auszusetzen. "Hier ist es doch auch schön", sagt sie gleich am Anfang zu ihrer Freundin Sophie, die sich mit "echter" Cola oder Bananen die Sogwirkung des Westens erklärt. Aber was war die DDR nun eigentlich für ein Land, und warum wollten es viele Menschen damals verändern oder von dort weg? Diese Frage beantwortet der Film mit seinen scharf gezogenen Charakteren: die misstrauische Frau im Reisebüro oder die charakterlosen Männer der Staatssicherheit, die Sophies Wohnung durchsuchen. Böse und unnachgiebig erscheinen die, die das Land verwalten. "Wer sich heute nicht für den Staat einsetzen will, kann nicht erwarten, dass der Staat sich morgen für ihn einsetzen wird", sagt die linientreue Lehrerin von Fritzi. Doch am Ende ist die Realität meist weniger schwarz-weiß als die Zum Inhalt: Dramaturgie eines Films. Nicht alle Lehrer/-innen waren dem Staat treue Untertanen und nicht alle, die für die Staatssicherheit arbeiteten, taten das freiwillig und mit Überzeugung.

Vor allem aber endet der Film mit einem Happy End, an dem die Wendegeschichte eigentlich differenzierter wird: nach dem Mauerfall. Das war auch die Zeit, in der die im Film gezeigte Euphorie plötzlich schwand, in der Fritzis Eltern vielleicht ihre Arbeit verloren hätten, wie so viele DDR-Bürger/-innen. Dennoch macht der Film die Atmosphäre einer innerlich erodierenden Gesellschaft und den Weg zur Friedlichen Revolution für Kinderaugen gut erfahrbar – naiv und gleichzeitig fordernd.

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