Der Film Zum Filmarchiv: "Fritzi – Eine Wendewundergeschichte" (Ralf Kukula, Matthias Bruhn, DE/BE/LU/CZ 2019) spielt 1989 in der DDR und erzählt unter anderem auch davon, wie die Kindheit in den staatlichen Institutionen schon früh durch eine politisch-ideologische Schulung geprägt wurde. Das folgende Begriffsglossar erklärt einige der in "Fritzi" sowie in den kinofenster.de-Artikeln zum Film vorkommenden Ausdrücke und Abkürzungen, die heute jungen Zuschauerinnen und Zuschauern nicht mehr geläufig sind. Das Glossar kann insbesondere Lehrenden helfen, Kindern den historischen Kontext des Films zu erläutern.

Glossar zum Film von A–Z:

Antifaschistischer Schutzwall

"Antifaschistischer Schutzwall" lautete in der DDR die offizielle Bezeichnung für die 1961 erbaute Berliner Mauer, die den Westteil der Stadt vollständig umschloss. Der Begriff bezieht sich auf die Eigendefinition der DDR als "antifaschistischer Staat" und verweist auf die Systemkonkurrenz zur Bundesrepublik während des Kalten Krieges. Die Bezeichnung verschleiert, dass eine wesentliche Funktion der Mauer darin bestand, DDR-Bürger/-innen an der Ausreise und –> Flucht zu hindern. In "Fritzi – Eine Wendewundergeschichte" erklärt ein Grenzsoldat der Schulklasse: "Der antikapitalische Schutzwall schützt uns vor den imperialistischen Bestrebungen des kapitalistischen Westens." In der DDR-Propaganda wurden die Bezeichnungen "kapitalistisch", "imperialistisch" und "faschistisch" in begrifflicher Unschärfe den Staaten des Westens zugeschrieben.

Fahnenappell

Zu besonderen Anlässen, beispielsweise dem ersten und letzten Schultag im Jahr, versammelten sich Schüler/-innen und Lehrer/-innen auf dem Hof, der Aula oder der Turnhalle. Die Schüler/-innen trugen Pionier- oder FDJ-Kleidung. Während dieser Zeremonie mit militärischen Elementen (Ein- und Ausmarschieren der Klassen sowie Kommandos wie "Stillgestanden") wurden künstlerische Beiträge zu bestimmten Themen (etwa Frieden) vorgetragen und schulische, gesellschaftliche oder sportliche Leistungen der Schüler/-innen gewürdigt.

Flucht/"Republikflucht"

Dreieinhalb Millionen Menschen flüchteten zwischen 1945 und 1961 aus der Sowjetischen Besatzungszone und späteren DDR in die Bundesrepublik. Politische, wirtschaftliche oder familiäre Gründe konnten Motive für eine "Republikflucht" sein, so die Bezeichnung im Strafgesetzbuch der DDR ab 1957 (ab 1968: "ungesetzlicher Grenzübertritt"). Nach dem Bau der Berliner Mauer 1961 und einer verstärkten militärischen Absicherung an der innerdeutschen Grenze war eine Flucht aus der DDR oftmals mit Lebensgefahr verbunden. Mindestens 140 Menschen wurden zwischen 1961 und 1989 an der Berliner Mauer getötet oder kamen in unmittelbarem Zusammenhang mit dem DDR-Grenzregime ums Leben (Statistik: Chronik der Mauer, Weblink in der rechten Spalte). Mehr als 40.000 Menschen gelang die Flucht über die Grenzbefestigungen. Auf anderen Fluchtwegen gelangten Personen über Staaten wie Ungarn oder Bulgarien in den Westen, 1989 auch über die Botschaften der Bundesrepublik in Polen und in der Tschechoslowakei. Beim –> Paneuropäischen Picknick gelangten im August 1989 zwischen 600 und 700 DDR-Bürger/-innen über die Grenze nach Österreich. In der Folge versuchten immer mehr Menschen die Flucht über Ungarn, das am 11. September seine Grenze endgültig für DDR-Bürger/-innen öffnete.

Friedliche Revolution

Erinnerungspolitisch ist der Begriff "Friedliche Revolution" weit verbreitet für die gewaltfreien Proteste in der DDR von 1989. Geprägt wurde der Ausdruck von Walter Momper, dem Regierenden Bürgermeister von West-Berlin, in einer Rede am Tag nach der Maueröffnung (10.11.1989). Der letzte SED-Generalsekretär Egon Krenz sprach kurz darauf von "friedlicher Revolution" in einer öffentlichen Stellungnahme vom 17.11.1989. Der Begriff "Revolution" war auf den Protesten zuvor nur selten präsent gewesen. Der Ausdruck bestimmt heute die Sprache der politischen Bildungsträger wie die des staatlichen Gedenkens.

Grenze

Die innerdeutsche Grenze war 1400 Kilometer lang und wurde auf dem Staatsgebiet der DDR durch massive Befestigungsanlagen gesichert. Die Anlagen bestanden aus einer Sperrzone, einem Stacheldraht- oder Metallgitterzaun sowie Wachtürmen; teilweise wurden Selbstschussanlagen und Landminen in der Sperrzone platziert. Die Grenzsicherung unterschied sich in dieser Hinsicht von der Berliner Mauer. Die Grenzanlagen hinderten DDR-Bürger/-innen an der (illegalen) Ausreise. Bürger/-innen der Bundesrepublik konnten über Transitstrecken nach West-Berlin oder mit einem entsprechenden Visum in die DDR einreisen.

Montagsgebete/Montagsdemonstrationen

In der –> Nikolaikirche in Leipzig versammelten sich seit 1982 Friedens-, Umwelt- und Menschenrechtsgruppen zu sogenannten Friedensgebeten. Am Montag, den 4. September 1989 kam es nach dem Gottesdienst erstmals zu einer Demonstration von etwa 1.000 Menschen; sie forderten Reisefreiheit und demonstrierten gegen die Stasi. In den folgenden Wochen entwickelten sich die Proteste zu wöchentlichen Massendemonstrationen; am 9. Oktober etwa demonstrierten in Leipzig etwa 70.000 Menschen für Meinungsfreiheit und politische Reformen. Von Leipzig ausgehend fanden im Herbst 1989 auch in anderen Städten wie Dresden, Halle oder Karl-Marx-Stadt Montagsdemonstrationen statt.

Neues Forum

Die Bürger/-innenbewegung wurde im September 1989 gegründet. In dem am 10. September veröffentlichten Aufruf "Die Zeit ist reif – Aufbruch 89" wurde die gestörte "Kommunikation zwischen Staat und Gesellschaft" hervorgehoben. Zu den Erstunterzeichnern des Aufrufs gehörten zahlreiche Intellektuelle, die die Regierung der DDR zum Dialog mit den Bürger/-innen und zu Reformen aufforderten. Bis Ende 1989 schlossen sich dem Aufruf 200.000 Unterzeichner/-innen an. Ein Teil des Neuen Forums ging nach 1990 in der Partei Bündnis 90/Die Grünen auf.

Nikolaikirche

Die Nikolaikirche ist die älteste und größte Kirche in der Innenstadt von Leipzig. Die Kirche war ein Treffpunkt für verschiedene oppositionelle Gruppen in der Stadt, die sich dort bereits seit 1982 zu –> Montagsgebeten und im Herbst 1989 zu wöchentlichen –> Montagsdemonstrationen für freie Wahlen, Meinungs- und Reisefreiheit trafen.

"Okkupationsmaschinerie"

Mit Bezug auf die Zeit nach 1989 spricht einer der Protagonisten im Zum Inhalt: Kinofenster-Video über Leipzig vor und nach der Wende von einer "Okkupationsmaschinerie". Der normative Ausdruck ist im Kontext der kontroversen Debatte um die Währungsunion und Deutsche Einheit 1990 zu verstehen und verweist unter anderem auf die bis heute diskutierte Arbeit der Treuhandanstalt von 1990 bis 1994. Diese neu gegründete Anstalt des öffentlichen Rechts hatte die Aufgabe, die Volkseigenen Betriebe der DDR in die soziale Marktwirtschaft zu integrieren. Etwa 80 Prozent der Betriebe, insbesondere Großbetriebe, wurden von der Treuhand an westdeutsche Investoren verkauft (Quelle: fluter.de, Weblink in der rechten Spalte). Die ostdeutsche Wirtschaft fiel bei der Transformation von der Plan- zur Marktwirtschaft in eine schwere Rezession, in deren Folge viele Menschen ihre Arbeitsplätze verloren.

Paneuropäisches Picknick

Am 19.08.1989 veranstaltete die Paneuropa-Union, eine europäische Einigungsbewegung, und das Ungarische Demokratische Forum, eine konservative Oppositionsbewegung, eine Friedensdemonstration an der östereichisch-ungarischen Grenze nahe der Stadt Sopron. Mit amtlicher Genehmigung sollte es am Nachmittag ein Picknick und einen improvisierten Grenzübertritt als Symbol der Völkerverständigung geben. DDR-Bürger/-innen, die sich in Ungarn aufhielten, erfuhren durch Flugblätter von der Aktion; ungarische Grenzsoldaten ließen 600 bis 700 von ihnen an diesem Tag die Grenze nach Österreich überqueren – die größte Anzahl von DDR-Flüchtlingen an einem Tag seit dem Bau der Berliner Mauer. Die Nachricht der Grenzöffnung verbreitete sich auch in der DDR, sodass in der Folge immer mehr Menschen den –> Fluchtweg über Ungarn in den Westen wählten.

Pionierorganisation "Ernst Thälmann"

Die politische Massenorganisation wurde 1948 nach sowjetischem Vorbild gegründet. Offiziell war die Mitgliedschaft freiwillig. In der Praxis sah es jedoch so aus, dass die Schule den Eintritt der Klassenverbände in die Pionierorganisation organisierte und Eltern aktiv werden mussten, um die Mitgliedschaft zu verhindern. Pioniernachmittage und Arbeit in Gremien wie dem Gruppen- und Freundschaftsrat sollten auf den späteren Alltag in sozialistischen Massenorganisationen vorbereiten. Jeder Pionier erhielt einen Pionierausweis, in dem die Gebote der Organisation standen. Kinder der ersten bis dritten Klasse galten als Jungpioniere. Ihre Kleidung bei feierlichen Anlässen (beispielsweise Fahnenappell oder Zeugnisausgabe) bestand aus einer weißen Bluse mit dem Emblem der Pionierorganisation auf dem linken Ärmel. Dazu trugen sie ein blaues Halstuch und ein Käppi in der gleichen Farbe. Ab der vierten bis zur siebten Klassen waren die Kinder "Thälmann"-Pioniere, die statt des blauen ein rotes Halstuch trugen.

Pioniergruß ("Seid bereit!")

Die Pioniere hatten eine eigene Losung, die vor allem beim Fahnenappell oder zu Beginn einer Unterrichtsstunde im Chor gesprochen wurde. Lehrer/-in oder Freundschaftsratsvorsitzende forderten auf: "Für Frieden und Sozialismus: Seid bereit!" (im Unterrichts-Kontext in der Regel verkürzt: "Seid bereit!"). Die Pioniere zeigten ihre Bereitschaft, indem sie den rechten Arm hoben und die flache Hand über den Kopf hielten und anschließend "Immer bereit" antworteten.

Staatsapparat

Der Begriff beschreibt die Gesamtheit der staatlichen Verwaltungsstrukturen in der DDR. Als Organisationsprinzip galt im politischen System der DDR der "Demokratische Sozialismus" nach sowjetischem Vorbild. Nach diesem Prinzip sollten alle Grundfragen der staatlichen Leitung zentral entschieden und von hierarchisch jeweils nachgeordneten Organen durchgeführt werden. Die Einbindung der Bürger/-innen in staatliche Strukturen war ausdrückliches Ziel des "Demokratischen Sozialismus" und wurde bereits für Personen im Kindheitsalter durch Massenorganisationen wie die –> Pionierorganisation "Ernst Thälmann" gewährleistet.

Stasi

Der Ausdruck Stasi war (und ist) die umgangssprachliche Abkürzung für "Staatssicherheit", eigentlich Ministerium für Staatssicherheit. Die Stasi war zugleich Geheimdienst und Geheimpolizei der DDR. Ihre Mitarbeiter/-innen konnten geltende Rechte missachten und Bürger/-innen abhören, einschüchtern oder verhaften. Offiziell waren 100.000 Personen im Ministerium angestellt. Vor allem für den Einsatz im Inland gab es bis 1989 zusätzlich etwa 200.000 "inoffizielle Mitarbeiter/-innen", die in der Regel Mitmenschen aus ihrem persönlichen Umfeld bespitzelten und Berichte für die Stasi erstellten. Diese Art der Überwachung konnte jeden treffen, zum Beispiel wegen politischem oder religiösem Engagement, abweichendem Sozialverhalten oder der Rezeption von Fernsehen oder Musik aus dem Westen.

VoPo

Die Polizei war in der DDR zentralistisch als Deutsche Volkspolizei organisiert, umgangssprachlich abgekürzt als VP oder VoPo (offiziell: DVP). Sie gliederte sich in Schutz-, Verkehrs-, Kriminal- und Transportpolizei, Feuerwehr sowie Pass und Meldewesen. Während der Demonstrationen im Jahr 1989, die Reformen in der DDR forderten, kam es zu Schikanen und Übergriffen durch Volkspolizisten auf Demonstranten. Erst nach dem 7. Oktober 1989 wurde auf diese Praxis verzichtet.

Wende

Der umgangsprachlich heute weit verbreitete Begriff beschreibt den politisch-gesellschaftlichen Umbruch in der DDR im Herbst 1989 bis hin zur Deutschen Einheit am 3. Oktober 1990. Der Ausdruck hat eine komplexe Begriffsgeschichte. Der DDR-Schriftsteller Volker Braun trug im Herbst 1989 mehrfach ein bereits ein Jahr zuvor verfasstes Gedicht mit dem Titel "Die Wende" vor und bezog sich damit unter anderem auf die Reformen von Michail Gorbatschow. In der Bundesrepublik machte "Der Spiegel" den Begriff mit einem Titelcover vom 16.10.1989 zum geflügelten Wort. Nur zwei Tage später reklamierte der letzte SED-Generalsekretär Egon Krenz den Ausdruck für sich: "Mit der heutigen Tagung des Zentralkomitees werden wir eine Wende einleiten, werden wir vor allem die politische und ideologische Offensive wieder erlangen." Schon im zeitgenössischen Diskurs wurde der Bergiff deshalb kritisch diskutiert; er bleibt aber auch im historischen Diskurs heute weiterhin sehr präsent.

Westfernsehen

Mit diesem umgangssprachlichen Ausdruck bezeichneten DDR-Bürger/-innen alle Fernsehprogramme aus der Bundesrepublik Deutschland. Die Sender ARD und ZDF konnten mithilfe von Antennen fast im gesamten Staatsgebiet der DDR empfangen werden, in vielen Regionen auch die Dritten Programm des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sowie ab den 1980er-Jahren einige Privatsender. Das Schauen von "Westfernsehen" war von der SED-Führung zwar nicht erwünscht, wurde aber spätestens ab den 1970er-Jahren weitgehend geduldet und gehörte für die meisten Familien zum Alltag. Manchen Berufsgruppen (etwa Angestellten der –> Volkspolizei und der –> Stasi) war der Empfang von "Westfernsehen" gesetzlich verboten; 1988 gab es jedoch auch für einige dieser Berufsgruppen eine gesetzliche Lockerung.

"Wie in China"

"Wir sind zunächst nicht zu den Demonstrationen gegangen aus Angst, dass dort ähnliche Verhältnisse eintreten könnten wie in China", sagt einer der Protagonisten im Zum Inhalt: Kinofenster-Video über Leipzig 1989. Im Juni 1989 wurde in der Volksrepublik China die Protestbewegung vom Tian'anmen-Platz gewaltsam niedergeschlagen, zahlreiche Menschen wurden getötet – die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt. Sozialistische Staaten hatten in der Vergangenheit mehrfach Proteste gewaltsam niedergeschlagen, etwa in der DDR 1953, in Ungarn 1956 und in der Tschechoslowakei 1968. Aufgrund der hohen Zahl an Teilnehmer/-innen entschied sich die SED-Führung im Herbst 1989 gegen eine gewaltsame Auflösung der Proteste.