Kategorie: Hintergrund
"Die Reifeprüfung" als Coming-of-Age-Film
Entfremdung von den Eltern, Sinnsuche, erster Sex und erste Liebe: Wie "Die Reifeprüfung" klassische Coming-of-Age-Motive in einer komplexen Filmsprache verhandelt.
Wie wenige andere Filme steht Zum Filmarchiv: "Die Reifeprüfung" für das Lebensgefühl der jungen Generation am Vorabend von 1968. Seine anhaltende Popularität verdankt Mike Nichols’ Klassiker aber wohl eher der Tatsache, dass er die im Grunde zeitlose Geschichte eines "großen Jungen" erzählt, dem es schwerfällt, sich von seinen Eltern zu lösen, der erste sexuelle Erfahrungen macht und seine erste Liebe erlebt. Trotz seines nicht mehr ganz jugendlichen Helden – Benjamin (im Film meist Ben genannt) ist Anfang zwanzig, sein Darsteller Dustin Hoffman war seinerzeit dreißig – ist "Die Reifeprüfung" in seinem Kern somit ein klassischer Zum Inhalt: Coming-of-Age-Film. Und eine besondere Qualität des Films liegt darin, dass er die Erfahrungen des Heranwachsens nicht nur auf der Zum Inhalt: Dialog- und Handlungsebene thematisiert, sondern sie auch auf gleichermaßen originelle wie subtile Weise filmisch vermittelt.
Entfremdung von der Elterngeneration
Die Entwicklung, die Ben im Verlauf des Films vollzieht, setzt Regisseur Mike Nichols visuell konsequent als Zugewinn an Handlungssouveränität um. Zu Beginn erscheint Ben noch völlig unfähig, selbstbestimmt zu agieren. Die Zum Inhalt: erste Einstellung zeigt ihn in Zum Inhalt: Großaufnahme, wie er starr ins Leere schaut, als blicke er in eine freudlose und vorbestimmte Zukunft. Als die Kamera Zum Inhalt: zurückzoomt, sehen wir ihn eingezwängt in einer Passagiermaschine: Ben sitzt buchstäblich im gleichen Flieger wie alle anderen. Dann folgt die bekannte Titelsequenz: In einer mit Simon & Garfunkels "The Sound of Silence" unterlegten Zum Inhalt: Parallelfahrt begleitet die Kamera Ben, der im Flughafen auf dem Rollband steht. Da die Kamera sich im Einklang mit dem Rollband nach links bewegt, scheint es, als fahre der junge Mann in Richtung Vergangenheit. Und in der Tat erwarten ihn die Eltern. Und mit ihnen ihre Vorstellungen von Karriere, Ehe und Eigenheim.
Der Eindruck, dass Ben wie fremdgesteuert durchs Leben geht, bestätigt sich sogleich. Auf der Begrüßungsparty von den Eltern und deren Bekannten nach seinen Zukunftsplänen befragt und mit gut gemeinten Plattitüden versorgt, wird er wie ein Staffelholz von einem zum anderen gereicht. Die Kamera folgt Ben dabei auf Schritt und Tritt und macht das ungelenke Verhalten, mit dem er sich durch die Erwachsenwelt bewegt, umso augenfälliger. Eine groteske Zuspitzung erfährt seine Entfremdung von der Elterngeneration, als er auf seiner Geburtstagsfeier vom Vater aufgefordert wird, den neuen Taucheranzug vorzuführen: Wie ein Alien stapft der gehorsame Sohn daraufhin an den elterlichen Freunden vorbei und lässt sich in den Swimmingpool fallen.
Ein junger Mann sucht sich selbst
Als sich Ben auf die Affäre mit Mrs. Robinson einlässt, scheint sich seine Verkrampfung angesichts der sexuellen Zerstreuung zu lösen. Sein Leben gewinnt äußerlich an Leichtigkeit, sein Auftreten an Lässigkeit. Nichols zeigt dies mit einer Zum Inhalt: Montagesequenz, die Bens Herumlungern im elterlichen Haus und Pool durch "fließende" Zum Inhalt: Schnitte und Zum Inhalt: Überblendungen, geschmeidige Kamerabewegungen und Zooms mit den heimlichen Treffen im Hotelzimmer verschmelzen lässt. Die Zum Inhalt: Sequenz endet, als er sich im Pool auf die Luftmatratze zieht und nach einem Schnitt unversehens auf der nackten Mrs. Robinson landet. Ben lässt sich treiben, sein Alltag ist bequem, zugleich aber ziellos und oberflächlich. Die Sonnenbrille, die er nun häufig trägt, steht symbolhaft dafür. Dass er sich tatsächlich in einer Sackgasse befindet, führt die für das berühmte Kinoplakat verwendete Einstellung vor Augen: Es zeigt Ben hinter Mrs. Robinsons verführerisch ausgestrecktem Bein, das ihn wie eine Schranke am Fortkommen zu hindern scheint.
Erst Elaine erweckt Ben aus seiner Orientierungslosigkeit und Lethargie. Indem er seine Gefühle für sie entdeckt, begreift Ben, wie wichtig es ist, sich Ziele zu setzen, Risiken einzugehen und nach den eigenen Überzeugungen zu handeln. Diesen Zum Inhalt: genretypischen Reifungsprozess visualisiert Nichols, indem er Ben eine ungekannte Zielstrebigkeit und Dynamik verleiht. So vermittelt die ikonographische Einstellung, in der er im roten Cabrio über die Bay Bridge nach Berkeley fährt, um Elaine zurückzugewinnen, das Gefühl eines euphorischen Aufbruchs: Vom Auto zieht die Kamera mit einem Schwenk nach rechts auf, bis das breite Zum Inhalt: Cinemascope-Format ein herrliches Panorama der Brücke über der Bucht von San Fransisco einfängt. Bens Zukunft scheint nun offen vor ihm zu liegen. Doch ihren Abschluss findet seine Entwicklung erst, als er im Finale sämtliche Hemmungen ablegt und versucht, Elaines Heirat zu verhindern. Nichols inszeniert dies als dramatisches Wettrennen gegen die Zeit, in dessen Verlauf Ben sogar sein Auto – ein weiteres Geschenk seiner Eltern – mit leerem Tank zurücklässt. Sein Ziel erreicht er indes zu Fuß. Der Wechsel der Fortbewegungsmittel – Flugzeug, Rollband, Auto und schließlich eigene Beine – steht so sinnbildlich für Bens Emanzipation.
Begrenzungen und Befreiungen: Die Bildsprache von Mike Nichols
Nichols' anspielungsreiche Zum Inhalt: Mise-en-Scène offenbart sich auch in der Verwendung von Wasser als traditionellem Lebenssymbol. So dupliziert Bens Aquarium, in dem eine kleine Taucherfigur stellvertretend seinen Platz einnimmt, gewissermaßen seine von elterlichen Vorgaben und sozialen Konventionen begrenzte Existenz. Das Schwimmbecken im heimischen Garten erscheint komplementär dazu wie das Sinnbild eines beschränkten bürgerlichen Lebensentwurfs. Dass der Vater seinen erwachsenen Sohn mit Taucheranzug und Harpune in dieses sterile Biotop springen lässt, verdeutlicht mit absurder Komik, wie resolut die Eltern darauf bedacht sind, Ben vor den "Untiefen" des Lebens zu schützen – und ihn damit zugleich daran hindern, es in all seinen Möglichkeiten selbst zu entdecken. Die Wassersymbolik bekommt eine neue Facette, wenn Ben den elterlichen Schutzraum verlässt und im strömenden Regen zu Elaine rennt, um ihr die Affäre mit ihrer Mutter zu gestehen. Erstmals wird er mit den Härten des Lebens konfrontiert: Elaine weist ihn nach dem Geständnis zurück.
Anders als die Differenzen zwischen den beiden Liebenden zeigt der Film die Distanz zwischen der jungen und der alten Generation als unüberbrückbar. So isoliert Nichols seinen Helden von Anfang an in der Zum Inhalt: Bildkomposition: Immer wieder befindet sich Ben in einem anderen Zum Inhalt: Schärfebereich als die Älteren, verweist die Zum Inhalt: Kadrage auf die ungleichen Machtverhältnisse zwischen den Generationen. Auf Augenhöhe befindet sich Ben einzig mit Elaine – was das Partnerschaftliche ihrer Beziehung betont. Mehrfach nimmt die Kamera auch den Zum Inhalt: Blickwinkel des Protagonisten ein: Einmal schauen wir mit Ben durch die Taucherbrille, ein andermal durch seine Sonnenbrille – beide Male ist es ein irrealer Moment, in dem die Erwachsenen fremd und bedrohlich erscheinen. Am Ende überträgt sich diese Perspektive auf Elaine, als sie in die aggressiven und feindseligen Gesichter der Eltern und Verwandten blickt. Das Happy End des jungen Paares gleicht so einer Flucht, die für die eigene Emanzipation unerlässlich scheint.