Kategorie: Filmbesprechung
"Ernest Cole: Lost and Found"
Chronist der Apartheid: Raoul Pecks Filmessay würdigt den 1990 verstorbenen Fotografen Ernest Cole.

Unterrichtsfächer
Thema
Bildungsrelevant, weil der Dokumentarfilm Bilder des vergessenen Fotografen Ernest Cole zu einer beeindruckenden Geschichte des südafrikanischen Apartheid-Regimes montiert.
Die Geschichte: Tragische Biografie eines schwarzen Künstlers in zwei Ländern
Der schwarze Fotograf Ernest Cole ging 1966 ins Exil in die USA und erlangte mit einem Fotoband über seine Heimat Südafrika (House of Bondage) kurzzeitige Bekanntheit. Er starb 1990 verarmt und vergessen in New York, wenige Tage nach der Freilassung Nelson Mandelas. Regisseur Raoul Peck (Zum externen Inhalt: "I am Not Your Negro" (öffnet im neuen Tab), FR/USA 2016) stützt seinen beeindruckenden Filmessay auf 60.000 Fotografien, die 2017 – unter mysteriösen Umständen – in einem schwedischen Banktresor auftauchten. Die mehreren hundert Fotos seiner Montage, meist schwarz-weiß, geben einen starken, schmerzhaften Einblick in die Realität des Apartheid-Regimes. In Coles Bildern der USA zu einer Zeit, in der die Rassentrennung noch immer nachwirkte, finden sich dazu ebenso bestürzende Parallelen.
Filmische Umsetzung: der verstorbene Fotograf als Ich-Erzähler
Wer war Ernest Cole? Warum fand er in den USA kaum mehr Beachtung? Aus den wenigen Selbstzeugnissen des Künstlers, Berichten ungenannter Zeitzeug/-innen und eigenen Überlegungen formt Peck einen subjektiv-poetischen Kommentar (Glossar: Zum Inhalt: Voiceover) zur Erörterung solcher Fragen. Dabei schlüpft der Filmemacher gewissermaßen in Coles Haut und lässt ihn als Ich-Erzähler des eigenen Lebens wieder auferstehen. In dieser Funktion kommentiert Pecks "Cole" die abgebildeten Fotografien, beklagt Fehlinterpretationen seines Werks und nimmt auch politisch Stellung. Angesichts drastischer Bilder von Diskriminierung und Polizeigewalt etwa ist die Kritik am nur halbherzigen Südafrika-Boykott, zu dem sich Teile der Weltgemeinschaft Mitte der 1980er-Jahre durchrangen, mehr als verständlich. Doch wo endet die Dokumentation, wo beginnt Pecks eigene Interpretation? In der auch durch die Zum Inhalt: Montage suggerierten Überblendung schwarzer Leben in Südafrika und den USA wird offensichtlich, wie sehr sich der schwarze Filmemacher selbst mit Coles leidvoller Erfahrung identifiziert.
Thema: aus Südafrika ins US-amerikanische Exil – der Rassismus bleibt
Dass der Film sich einem schwarzen Künstler widmet, der trotz seiner historisch bedeutsamen Arbeit in Vergessenheit geriet, macht die schwarze Erfahrung rassistischer Unterdrückung noch plastischer. Vor allem mit den Bildern zur Geschichte des Apartheid-Alltags in Südafrika füllt der Film eine Lücke. In den USA interessiert Raoul Peck darüber hinaus die Voreingenommenheit, nach der die Kunst eines schwarzen Fotografen wie Cole geradezu automatisch als politische Propaganda bewertet wurde.
Kritische Aspekte: die Frage der Authentizität
Der wie schon in Pecks gefeierter Dokumentation über den Schriftsteller James Baldwin Zum Filmarchiv: "I am Not Your Negro" von einem Schauspieler verlesene Kommentar macht seine Quellen nicht eindeutig kenntlich. Seine stark subjektive Prägung ist zugleich Stärke und Schwäche des Films, der in der zweiten Hälfte ein wenig an Fokus verliert.
Fragen für ein Filmgespräch
Welche Erfahrungen macht Ernest Cole in Südafrika und später in den USA? Mit welchen Mitteln verdeutlicht der Film Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen beiden Ländern?
Aus welchen Quellen hat der Filmemacher Raoul Peck seinen Kommentar konstruiert? Empfandet ihr seine Methode als legitim? An welchen Stellen, meint ihr, macht er sein Vorgehen transparent?
Wie würdet ihr, ähnlich wie Ernest Cole, euren Alltag fotografieren? Welche Motive würdet ihr dafür wählen?