Gerhard Gundermann war seit den späten 1970er-Jahren Sänger, Gitarrist und Songschreiber der Band Brigade Feuerstein und später als Solokünstler in der DDR aktiv. In den 1990er-Jahren stieg seine Popularität, vor allem in den ostdeutschen Bundesländern, durch mehrere Alben mit seiner neuen Gruppe Seilschaft. Seine Tätigkeit als Inoffizieller Mitarbeiter (IM) für die Stasi wurde 1995 bekannt und sorgte für eine mediale Kontroverse. Zeit seines Lebens, selbst in seiner erfolgreichsten Phase als Musiker, arbeitete Gundermann aber auch als Baggerfahrer in einem Braunkohle-Tagebau in der Lausitz. Während des Schichtdiensts entstanden Ideen für seine Texte – metaphorisch dichte Alltagshymnen, Liebeslieder und Politlyrik. 1997 wurde er im Rahmen des Stellenabbaus in der Kohleindustrie entlassen. Ein Jahr später verstarb er im Alter von 43 Jahren an einem Schlaganfall.

"Gundermann Revier" zeichnet diese Biografie nicht in der hier skizzierten Chronologie nach, sondern nähert sich dem Porträtierten und seinem sozialen Umfeld motivisch. Songzeilen geben dem Film als Zwischentitel (Glossar: Zum Inhalt: Insert) seine Struktur. Der Zum Inhalt: Dokumentarfilm von Grit Lemke erscheint in einer Zeit, in der "Gundi" als identitätsstiftender Künstler der ostdeutschen Wende-Generation wiederentdeckt worden ist, spätestens seit dem vielfach prämierten Zum Inhalt: Biopic Zum Filmarchiv: "Gundermann" (D 2018) von Andreas Dresen. Lemke knüpft an diesen Diskurs und an vorherige dokumentarische Arbeiten an. Interviews (Glossar: Zum Inhalt: Talking Heads) mit dem Protagonisten entstammen etwa den Filmen "Gundi Gundermann" (DDR 1983) und "Inventur wegen Geschäftsaufgabe" (D/F 1990) sowie den TV-Archiven. Ehemalige Weggefährten und seine Frau Conny zeichnen in der Rückschau ein Bild des Musikers voller Wertschätzung und Bewunderung. Mit der visuellen Gegenwartsebene – Aufnahmen vom Tagebau in der Lausitz und der Stadt Hoyerswerda (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set), in der nach 1990 ganze Stadtteile abgerissen wurden – rückt in den Fokus, wie stark Gundermann als Repräsentant der ehemals sozialistischen Bergarbeiter/-innen-Region gelten kann. Lemke, selbst dort aufgewachsen, verstärkt diesen Eindruck noch mit einem persönlichen, von Erinnerungen geprägten Zum Inhalt: Voice-Over-Kommentar.

GUNDERMANN REVIER, Trailer (© Inselfilm Produktion)

Grundsätzliches Vorwissen zum Protagonisten wird Jugendlichen die Rezeption des Films erleichtern. Der Song Wer hat ein helles Licht bei der Nacht ist im Deutsch- und Musikunterricht ein guter Einstieg. Er vermittelt Gundermanns lyrische Stimme, seine Doppelrolle als Arbeiter und Musiker sowie die sozioökonomische Bedeutung des Bergbaus. Die junge Lokführerin eines Kohlezugs sagt im Film, das Lied gehöre noch immer zum "Pflichtprogramm" in der Schienengüterverkehr-Ausbildung. Nach der Sichtung kann das Thema Kohle auch vor dem Hintergrund aktueller Debatten zur Energiewende diskutiert werden, etwa anhand einer Talkshow- Zum Inhalt: Szene, in der Gundermann selbst den Imagewandel der Industrie anspricht. Die Enthüllung seiner Stasi-Tätigkeit bleibt im Vergleich zu Dresens Spielfilm "Gundermann" in Lemkes Film ein Nebenaspekt. Ein größeres Augenmerk liegt hingegen auf dem Wandel der Region: In der DDR noch von ökonomischer Relevanz, gilt die Lausitz heute als "strukturschwach". Inwiefern bezieht sich der Künstler auch darauf, wenn er sich zu einer "übersprungenen Generation" zählt? "Gundermann Revier" gelingt es, den Zusammenhang zwischen den strukturellen Auswirkungen der Einheit und individuellen Lebensläufen am Beispiel einer besonderen Persönlichkeit sichtbar zu machen.

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