Kategorie: Film
"Simpel"
Nach dem Tod ihrer Mutter machen sich zwei ungleiche Brüder auf dem Weg zur Selbstbestimmung
Unterrichtsfächer
Thema
Die Mutter der beiden Brüder ist schon lange schwer krank, der Vater hat sich seit 15 Jahren nicht mehr blicken lassen. Für den inzwischen 22-jährigen, geistig behinderten Barnabas, den alle Simpel nennen, weil er auf der Entwicklungsstufe eines Kindes stehen geblieben ist, befindet sich der Vater auf "Geschäftsverreise". Seit jener Zeit blieb Simpels Bruder Ben nichts Anderes übrig, als sich unablässig und aufopferungsvoll um Simpel zu kümmern. Er tut das gerne, denn er liebt den Bruder über alles, selbst wenn sein eigenes Leben dadurch zu kurz kommt. Als die Mutter unerwartet stirbt und Simpel auf Veranlassung des Vaters in ein Heim eingewiesen werden soll, brennen bei Ben alle Sicherungen durch. Er flüchtet mit Simpel vor den Behörden nach Hamburg, um den Vater, der längst eine neue Familie gegründet hat, zur Rede zu stellen. Auf ihrer abenteuerlichen Reise erfahren die Brüder, dass das Leben mehr zu bieten hat, als sie sich vorstellen konnten.
Regisseur (Glossar: Zum Inhalt: Regie) Markus Goller und Drehbuchautor (Glossar: Zum Inhalt: Drehbuch) Dirk Ahner haben die literarische Vorlage (Glossar: Zum Inhalt: Adaption) von Marie-Aude Murail, die 2008 mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichnet wurde, stark verändert. Die Handlung wurde von Frankreich nach Norddeutschland verlegt und der Figur von Ben und seiner Bruderliebe deutlich mehr Raum gegeben. David Kross als Simpel und Frederick Lau als Ben meistern ihre Rollen mit Bravour, auch wenn die Authentizität darunter leidet, dass Simpels geistige Behinderung nur "gespielt" ist, wie so oft in Filmen, in denen es um Behinderung geht. Dramaturgisch (Glossar: Zum Inhalt: Dramaturgie) aufgebaut als Zum Inhalt: Roadmovie, bei dem die Protagonisten auf ihrer Reise vor Bewährungsproben gestellt sind, gelingt dem Film die schwierige Balance zwischen Spannung und Humor, Anspruch und Unterhaltung. Allerdings stören kleine dramaturgische Schwächen, wie die reichlich stümperhaft wirkende Verfolgung der Brüder durch die Polizei und insbesondere die Figur des Vaters ist zwar gut gespielt, aber in der kompletten Ablehnung des behinderten Sohnes allzu eindimensional als Antagonist angelegt.
Da die französische Originalvorlage und die deutsche Übersetzung verfügbar sind, bietet sich im Deutsch- und/oder Französischunterricht ein Vergleich zwischen Buch und Film an. Dieser kann neben den unterschiedlichen Schwerpunkten, Handlungsorten (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) und Figurenzeichnungen auch landestypische Nuancen und medienspezifische Eigenschaften beinhalten und die grundsätzliche Problematik der Darstellung von Behinderten im Film aufgreifen. In Ethik und den gesellschaftskundlichen Fächern bietet der Film zahlreiche Anknüpfungspunkte, um Vorurteile oder gar offene Ablehnung gegenüber geistig Behinderten zur Sprache zu bringen, mehr Verständnis und Toleranz im Umgang mit ihnen zu wecken, für ihre besonderen Sichtweisen zu sensibilisieren und die Chancen einer inklusiven Gesellschaft zu erkennen. Diskutiert werden kann in diesem Zusammenhang auch, welches Selbstbestimmungsrecht Menschen wie der Titelfigur Simpel eingeräumt werden kann oder sollte. Anhand der Figuren von Ben und seinem Vater lässt sich herausarbeiten, welche Verantwortung man gegenüber sich selbst hat und inwieweit es gerechtfertigt ist, Entscheidungen über die Köpfe der Betroffenen hinweg zu fällen.