"Der Bruno geht jetzt in die Freiheit", sagt Bruno Stroszek feierlich über sich selbst und bläst bei der Entlassung aus der Haftanstalt in sein Signalhorn. Das wurde ihm im Rahmen umständlicher Formalitäten gerade ausgehändigt – nebst fünf Päckchen Zigaretten, einem Taschentuch, einem Akkordeon, einem Schlüssel und ein wenig Bargeld. Er wird noch ermahnt, nie wieder in eine Kneipe zu gehen, und spaziert vom Gefängnis aus schnurstracks in den Bierhimmel.

Die Zum Inhalt: Eröffnungssequenz von "Stroszek" skizziert in wenigen Minuten ein Leben, das so echt wirkt, weil es mit dem des Darstellers Bruno Schleinstein (hier: Bruno S.) viel gemein hat. Werner Herzog, einer der prominentesten Regisseure des Neuen Deutschen Films der 1970er-Jahre, hatte ihn zuvor für die Rolle des Findlings Kaspar Hauser in "Jeder für sich und Gott gegen alle" (BRD 1974) entdeckt. Schleinstein, geboren 1932, wuchs in Erziehungsheimen, Psychiatrien und sogenannten Besserungsanstalten auf. Er wurde körperlich misshandelt, unter dem NS-Regime auch Opfer medizinischer Experimente, und verließ das Heimsystem als gemachter Außenseiter. In Westberlin baute er sich fortan eine Existenz als Straßenmusiker und Arbeiter auf.

Wenn Sie diesen Drittanbieter-Inhalt von www.youtube-nocookie.com aktivieren, ermöglichen Sie dem betreffenden Anbieter, Ihre Nutzungsdaten zu erheben. Weitere Informationen zur Nutzung von Drittanbieter-Inhalten erhalten Sie in unserer Datenschutzerklärung.
Externer Link: Datenschutzerklärung anzeigen

Von dieser Existenz erzählt "Stroszek" nicht als Zum Inhalt: Biografie, sondern als poetisch verdichtete Aneignung von Schleinsteins Erfahrungen. In einer Art Filmballade, ähnlich den von Bruno in Hinterhöfen vorgetragenen Moritaten, bilden der Straßenmusiker, die Prostituierte Eva (Eva Mattes) und der kauzige Nachbar Scheitz (Clemens Scheitz) eine Schicksalsgemeinschaft. Vor gewalttätigen Zuhältern und dem Kreuzberger Elend fliehen die drei Sonderlinge in die USA. Scheitz hat im ländlichen Wisconsin, wo der Serienkiller Ed Gein und noch andere Mörder zu Hause sind, einen Neffen. Auf dessen Grundstück lässt sich das Trio auf Kredit ein mobiles Fertighaus in die unwirtliche Landschaft stellen. Eva träumt den Traum: "Da macht jeder sein Geld, das schaffen wir auch."

Werner Herzog ist heute berühmt für seine abenteuerlichen Filmdrehs auf der ganzen Welt, für die Porträts wahnwitziger Titanen, für sprachliches Pathos und symbolische Bilder. Die soziale Wirklichkeit, die "Stroszek" von Zum Inhalt: Berlin-Kreuzberg und vom Mittleren Westen seiner Wahlheimat USA zeichnet, und die tragikomisch-humanistischen Momente stechen deshalb hervor, speziell neben Herzogs anderen Werken der 1970er-Jahre. Die Laiendarsteller/-innen – neben Bruno S. auch Scheitz und etliche Nebenrollen –, und der mitunter Zum Inhalt: dokumentarisch wirkende Blick auf Menschen, die nach der Ölkrise von 1973 trotz Arbeit arm bleiben, bringen ungewohnt realistische Ansätze in sein Kino.

Es bleibt bei Ansätzen, denn Herzog sucht, ausgehend von seinen Figuren, stets nach dem allegorischen Potenzial in den Bildern. Er zitiert US-amerikanische Mythen wie das Zum Inhalt: Roadmovie und Outlaw-Filme, setzt seine Darsteller/-innen in metaphorisch-groteske Szenarien. So wird das Fertighaus, als das Geld nicht mehr reicht, von der Bank im unnachahmlichen Stakkato-Sprech einer Rinderauktion versteigert – für Herzog: "die Poesie des Kapitalismus". In der berühmt gewordenen Zum Inhalt: Schlussszene des Films dreht sich dann, wie Bruno bereits zu Beginn konstatiert, "alles im Kreis": ein brennendes Auto, ein tanzendes Huhn in einem Spielautomaten, der einsame Protagonist auf einem Skilift. Über Brunos Schicksal hinaus verweist der Film allegorisch auf das Scheitern (allen?) menschlichen Strebens. Fast wie eine Botschaft ans Publikum steht auf der Rückenlehne bei Brunos letzter Fahrt gen Himmel: "Is this really me?"

Der Text ist lizenziert nach der Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivs 3.0 Germany License.

Unterrichtsmaterial

Mehr zum Thema