Kategorie: Filmbesprechung
"Das große Rennen – Ein abgefahrenes Abenteuer"
The Race
Mary tut alles dafür, um einmal Rennfahrerin zu werden - eine abenteuerliche und doch realistische Geschichte über ein Mädchen, das seine Wünsche gegen alle Widerstände behauptet.
Unterrichtsfächer
Thema
Seinen Traum behaupten
Wenn die elfjährige Mary aus der Schule auf den Bauernhof in der irischen Provinz zurückkehrt, muss sie ihren Eltern bei der Arbeit helfen. Sie hat es nicht leicht, weder in der Schule, wo sie als "Landei" gehänselt wird, noch zu Hause, wo es zwischen ihren Eltern mächtig kriselt. Während der Vater um das wirtschaftliche Überleben des alteingesessenen Hofs kämpft,
ist ihre Mutter, die sich ihre Glücksträume bewahrt hat, des harten Landlebens überdrüssig. Marys ganzer Stolz ist die selbst gebaute Seifenkiste. Sie träumt davon, eine erfolgreiche Autoingenieurin und Rennfahrerin zu werden. Schon jetzt tut sie alles dafür, damit dieser Wunsch einmal wahr wird und lässt sich bei den regelmäßigen Rennen mit ihrem Freund Tom auch von kleineren Unfällen auf den holprigen Wegen nicht unterkriegen. Bei ihrem starrsinnigen Vater und den Jungs aus der Schulclique um den Sohn eines neureichen Landbesitzers erntet sie anfangs nur Hohn und Spott, als sie sich an einem öffentlichen Seifenkistenrennen beteiligen will. Nachdem Mary auch noch Toms Wegzug verkraften muss, erhält sie jedoch unerwartet väterliche Unterstützung beim Bau eines neuen Gefährts für das große Rennen. Während sie sich als einziges Mädchen mutig gegen die Konkurrenten in den Edel-Karts durchsetzt und das Glück der Siegerin auskostet, ist ihre Mutter schon unterwegs zu neuen Ufern.
Wunsch, Abenteuer und an der Realität orientiertes Drama
Wie andere Kinderfilme mit einprägsamen Mädchenfiguren greift auch "Das große Rennen" das Abenteuermotiv kinogerecht "bigger than life" als Wunschprojektion auf. Auf fast märchenhafte Weise ist Mary am Ende ihrem Wunsch, Rennfahrerin zu werden, näher gekommen. Dennoch bleibt der Film auf Augenhöhe mit der Protagonistin und dicht an ihren alltäglichen Erfahrungen. Panoramaschwenks (Glossar: Zum Inhalt: Kamerabewegungen) mit Postkartenidyllen von der immergrünen Hügellandschaft
wechseln mit nah erfassten individuellen und sozialen Problemen, die sich atmosphärisch dicht in Gesichtern und Gesten der Akteure/innen spiegeln. Das erinnert nicht zufällig an das sozialrealistische englisch-irische Kino mit seinen "Helden des Alltags": Einer ihrer Prototypen ist Colm Meaney, der aus Filmen wie "Fish & Chips" (The Van, Großbritannien 1996) von Stephen Frears bekannt ist, und hier Marys Vater verkörpert. Die Konflikte dominieren jedoch nie den ansteckend zupackenden Eigensinn, die Abenteuerlust und die Zielstrebigkeit der pfiffigen Heldin, die sich durch nichts und niemanden ihre Wünsche vereiteln lässt. Mit Hilfe von Action-Slapstick werden auch die spannenden Szenen bei den Seifenkistenrennen konsequent aus ihrer Perspektive inszeniert, immer wieder dramatisierend unterstützt von ansonsten zurückhaltend eingesetzter Streichermusik (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik).
Stimmige Charaktere, glaubwürdige Geschichte
André F. Nebes in Nordirland gedrehtes Spielfilmdebüt basiert auf einem Originalstoff. Mit seiner Erzählung aus der Perspektive eines geradezu altmodisch begeisterten Mädchens, das seine Wünsche und Träume gegen Rollenklischees und Widerstände behauptet, wird das Geschichten- und Figurenrepertoire des Kinderfilms um eine originelle Variante bereichert. Die sommersprossige Niamh McGirr darf als Entdeckung gelten. Neben der Protagonistin gewinnen auch die glaubwürdig gezeichneten Eltern und der Freund die Sympathien jüngerer und älterer Zuschauer/innen. Die Außenseiterin Mary entwickelt in Abgrenzung und Nähe zu ihren Eltern, in der Auseinandersetzung mit Vorurteilen und durch Freundschaft ihre innere Stärke. Dass allen Widrigkeiten zum trotz positive Erfahrungen möglich sind, ist nicht zuletzt der differenzierten Figurengestaltung zu verdanken. Die Rolle der unglücklichen Mutter, die sich in einen anderen Mann verliebt hat und ihre eigenen Wege gehen will, gleitet nicht zum Hassobjekt ab, ebenso wenig wie die des knorrigen Vaters, der sich vom anfänglichen Fiesling zum Freund wandelt. Selbst die weniger sympathieträchtigen Nebenfiguren erscheinen nicht über Gebühr stereotyp gezeichnet.
Die Kraft, den eigenen Weg zu gehen
Aus der Sicht der jungen Protagonistin sind die Eltern sowohl Vertrauenspersonen als auch "Antagonisten". Vor allem der Vater missachtet zunächst die unkonventionellen Wünsche der Tochter. Unaufdringlich genau zeigt der Film, wie das Kind die Dynamik des elterlichen Beziehungskonflikts wahrnimmt – sei es in der offenen Konfrontation bei Tisch, sei es beim unbemerkten Belauschen von Wortgefechten. Die Eheprobleme ihrer Eltern kann Mary natürlich nicht lösen, doch auch jüngere Zuschauer/innen können die Figuren am Ende als durch die Geschichte gereifte Persönlichkeiten erleben: Die Beziehung zur Mutter löst sich mit dem Lesen ihres Abschiedsbriefs einfühlsam und verständlich – gänzlich ohne "volles" Happy End. Der Vater schenkt seiner Tochter die notwendige Anerkennung und entdeckt mit ihr seine eigenen Träume wieder. Mary selbst wächst in der Stunde der Trennung über sich hinaus – auch weil sie weiß, dass sie die Kraft hat, ihre Wünsche zu verwirklichen und ihren eigenen Weg zu gehen.