Wege aus dem Alltag

Schwere Zeiten für den sensiblen Philipp "Lippel" Mattenheim aus dem bayerischen Passau: Da sein alleinerziehender Vater als Sternekoch geschäftlich in die USA reist, muss der Elfjährige eine Woche allein mit

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der neuen Haushälterin Frau Jakob verbringen. Diese entpuppt sich als Kinderschreck und schikaniert ihn mit kleinkarierten Verboten. Höhepunkt ist die Beschlagnahmung von Lippels Märchenbuch mit den Erzählungen aus Tausendundeiner Nacht, das ihm der Vater als Trostpflaster hinterlassen hat. Doch Lippel entkommt ihrer Tyrannei, indem er sich – inspiriert von der Märchenlektüre – nachts in ein orientalisches Abenteuer hineinträumt, in das er seine Alltagserlebnisse verwebt. Frau Jakob agiert hier als böse Tante zweier Königskinder. Beim Erwachen wird Lippel klar, dass sich Alltag und Traum nicht allzu sehr unterscheiden. Als es im fantastischen Orient gelingt, Frau Jakob buchstäblich in die Wüste zu schicken, setzt Lippel alles daran, seinen Traum Wirklichkeit werden zu lassen.

Seelenlandschaften

Morgenland und Abendland, unendliche Wüstenweiten und enge Kleinstadt, grenzenlose Fantasie und reglementierter Alltag, Traum und Wirklichkeit – die kontrastreich visualisierten Welten versinnbildlichen Lippels psychische Disposition, ohne die digitale Trickkiste überzustrapazieren. Das dauerverregnete Passau reflektiert als Seelenlandschaft das Innere des Protagonisten: Einsamkeit, Langeweile und Unbehagen. In den charmanten Altstadtgässchen wird durch das strenge Regiment von Frau Jakob eine erdrückende Atmosphäre geschaffen. Dahingegen artikuliert sich Lippels kindliche Sehnsucht nach Abenteuer und freier Entfaltung im exotisch-poetischen Traumszenario mit sonnigen Wüstenpanoramen, prunkvollem Sultanzelt und freundschaftlichem Zusammenhalt.

Traum und Wirklichkeit

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Für Lippel sind Traum und Wirklichkeit so eng miteinander verbunden, dass er sie manchmal selbst kaum trennen kann, zumal markante Personen aus seinem Alltag in der Traumwelt in märchenhaften Figurenrollen wieder auftauchen. Im Orient herrscht Lippels Vater als König, die neuen türkischen Klassenkameraden Arslan und Hamide treten als Königskinder auf und Frau Jakob entwendet in der Rolle der intriganten Tante ein dem König heiliges Märchenbuch und lässt dessen Kinder als schuldige Diebe in der Wüste aussetzen. Die hilfsbereite Wirtstochter Serafina hat ihr reales Pendant in der Restaurantassistentin, die heimlich in Lippels Vater verliebt ist und das Happy End des Abenteuers bewirkt. Selbst der Straßenhund Muck spielt seine Rolle in beiden Welten. Angeregt durch die Lektüre seines Märchenbuches findet Lippel kreative Auswege aus seinen Problemen. Er träumt die angelesene Geschichte eigenständig weiter und überträgt letztlich das im Traum geglückte Handlungsmuster auf die Realität. So verwebt "Lippels Traum" Film, Literatur, Fantasie. Traum und Wirklichkeit sind zu einem dichten Erzählteppich verwoben.

Kinderbuchverfilmung

Der Einbruch des Fantastischen in die kindliche Alltagswelt und eine sich dadurch eröffnende, heilsame Traumwelt durchzieht das literarische Werk des erfolgreichen Kinder- und Jugendbuchautors Paul Maar. Nach Zum Inhalt: Das Sams – Der FilmDas Sams (Ben Verbong, Deutschland 2001) und (Ben Verbong, Deutschland 2006) findet mit "Lippels Traum" ein weiterer Kinderbuchklassiker aus seiner Feder den Weg auf die Leinwand. Bereits 1991 war das Mutmachstück, in der die verspottete Figur des Träumers rehabilitiert wird, als Kinostoff entdeckt worden. Maar distanzierte sich jedoch von der allzu klamaukhaften Adaption und legte für die Neuverfilmung nun selbst Hand ans Drehbuch. Entstanden ist eine auf den Erzählkern konzentrierte Literaturverfilmung, die Spannung und kindlichen Humor gekonnt miteinander verbindet und mit sicherem Gespür für das ausgestattet ist, was Kinder in Lippels Alter bewegt.

Kreative Kraft des Träumens

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Lippel hat Sorgen und Nöte, die wohl jedes Kind kennt: Er will sich nicht vorschreiben lassen, wie er zu sein oder was er zu tun und zu lassen hat, er hat Angst vor der Dunkelheit, dem Alleingelassensein und vor Hänseleien in der Schule. Und er ekelt sich vor Tomaten und Haut auf dem Kakao. Doch Lippel ist niemand, der die Realität nicht bewältigt und sich ihr deshalb im Traum entzieht. Vielmehr nutzt er die Möglichkeiten der Traumwelt, um auf der Ebene einer zweiten, imaginären Existenz seine Probleme zu bewältigen. So lässt sich das Träumen auch als unbewusste therapeutische Maßnahme begreifen. In seinen märchenhaften Abenteuern reift der schüchterne Junge immer mehr zum mutigen Helden und wird schließlich auch im realen Alltag aktiv: Er verjagt das ungeliebte Kindermädchen mit Streichen und legt dem Rektorensöhnchen Herrmann, der ihn allmorgendlich mit Tannenzapfenattacken schikaniert, das Handwerk. "Lippels Traum" ist eine Emanzipationsgeschichte für Kinder und ein Plädoyer für das Träumen, das zum wertvollen Schlüssel und zur treibenden Kraft wird, um Kreativität frei zu setzen, Mut zu entwickeln und selbstbewusste Lösungsansätze für die kleinen und großen Herausforderungen im wirklichen Leben zu finden.

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