Wann begann sie wohl, die erfolgreiche, aber auch von Flops begleitete, manchmal umstrittene, mitunter von Zufällen bestimmte große Liebe von Volker Schlöndorff zum Film? Vielleicht 1960,

Volker Schlöndorff am Set

Kinowelt

als der damals 21-Jährige von Louis Malle, später von Alain Resnais und Jean-Pierre Melville als Regieassistent engagiert wurde und von diesen Meisterregisseuren der Nouvelle Vague lernen durfte? Womöglich ja in der Cinémathèque française in Paris, in der sich der Jura-Student Schlöndorff allabendlich einen Film ansah und noch einen Film hinterher? Vielleicht gab die Freundschaft mit Bertrand Tavernier, seinem Tischnachbarn in der Pariser Eliteschule Lycee Henri IV, wo er sein Abitur gemacht hatte, den Ausschlag? Oder war es noch davor, als Austauschschüler in einem französischen, von Jesuiten geführten Internat, in dessen Filmclub regelmäßig Kinoklassiker vorgeführt wurden?

Frühe Liebe

Tatsächlich begann sie sogar noch früher, vielleicht bevor Volker Schlöndorff überhaupt einen Film gesehen hatte. Denn seine Leidenschaft für das Kino ist nur zu erklären durch eine andere Leidenschaft, die vielleicht nicht größer ist, aber früher da war und universeller ist. "Selbsterlebtes erschien mir nicht immer wichtig", hat er einmal erzählt, "Leseerlebnisse waren dagegen Offenbarungen". Schlöndorffs Liebe zur Literatur, zu Geschichten und Charakteren entfachte sich früh, als er noch im provinziellen Taunus-Örtchen Schlangenbad zur Schule ging. Er war ein stilles Kind, Sohn eines konservativen Hals-Nasen-Ohren-Arztes, die Mutter nach einem Haushaltsunfall verstorben. "Lesen", erzählt er in seiner Autobiografie, hieß "zu erfahren, wie andere Menschen sind und wie sie leben". Der Ohrensessel im väterlichen Haus wurde "zum Fluchtvehikel aus der Enge unseres Tales".

Erfolge und Niederlagen

Später, als Regisseur von mehr als 30 Filmen, waren es häufig berühmte Texte, oft Weltliteratur, die Pate standen für seine Arbeiten: Von seinem Debüt "Der junge Törless" (BRD 1966) nach Robert Musils Klassiker Die Verwirrungen des Zöglings Törleß (1906) über seinen ersten internationalen Erfolg Zum Filmarchiv: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" (BRD 1975), der Verfilmung von Heinrich Bölls gleichnamiger Erzählung aus dem Jahr 1974, bis hin zu seinem künstlerisch wie kommerziell

Eine Liebe von Swann

größten Triumph Zum Filmarchiv: "Die Blechtrommel" (BRD, F 1979) nach dem Roman von Nobelpreisträger Günter Grass (1959). Auch Niederlagen gehörten dazu. "Eine Liebe von Swann" (BRD 1983), nach dem gleichnamigen Kapitel aus Marcel Prousts Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, bezeichnete er selbstkritisch als "weitgehend gescheitert". Bei der geplanten Verfilmung von Die Päpstin, dem historischen Bestseller von Donna Woolfolk Cross, sollte Schlöndorff eigentlich die Regie übernehmen, wurde jedoch 2008 von der Produktionsfirma entlassen: Er hatte öffentlich kritisiert, dass Die Päpstin in zwei Fassungen, einmal für das Kino, einmal als Fernsehmehrteiler, gedreht werden sollte. Dies würde zum "Schludern" und "Pfuschen" führen. Schlöndorff wollte wohl nicht geschmeidig genug sein für die neuen ökonomischen Realitäten. Statt seiner übernahm der 20 Jahre jüngere Sönke Wortmann das Kommando bei den Dreharbeiten, die im vergangenen Jahr begannen.

Politischer Filmemacher

Schlöndorff hat stattdessen sein Leben rekapituliert. Licht, Schatten und Bewegung heißt die vor wenigen Monaten erschienene Autobiografie: Ein künstlerischer und privater Rückblick ist sie geworden, eine kurzweilige Anekdotensammlung, aber auch eine Standortbestimmung als Filmemacher. Denn Schlöndorff ist ein politischer Mensch und seinen Filmen war das meist anzusehen: Ob er in Zum Filmarchiv: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" – eine gemeinsame Inszenierung mit seiner damaligen Ehefrau Margarethe von Trotta – die bleierne Zeit der Terroristenhatz beschrieb, in Zum Filmarchiv: "Die Blechtrommel" den heraufziehenden Nationalsozialismus oder in Zum Filmarchiv: "Strajk – Die Heldin von Danzig" (D, PL 2006) das Ende des real existierenden Sozialismus in Polen.

Die verlorene Ehre der Katharina Blum

Universal

Am deutlichsten wird dieses Engagement natürlich in Zum Filmarchiv: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum". 1975, zur Zeit von Terrorangst und Rasterfahndung nach den Mitgliedern der Roten Armee Fraktion (RAF) geriet der Film zum politischen Pamphlet, für das Schlöndorff von der Springer-Presse massiv angegriffen und von der CSU als "hauptverantwortlicher Informationsstratege der RAF" diffamiert wurde. Über Zum Filmarchiv: "Die verlorene Ehre der Katharina Blum" sagte er noch kürzlich: "Eigentlich diktiert einem die Gesellschaft den Film, den man zu machen hat." Schlöndorff beschränkte sich aber nie nur auf den künstlerischen Kommentar, er wurde auch politisch aktiv. In den 1970er-Jahren saß er als SPD-Delegierter im Vorstand der Filmförderungsanstalt, engagierte sich zusätzlich für verurteilte RAF-Täter/innen und behandelte das Thema Terrorismus in Deutschland 1999 erneut in seinem Film . Jahrzehnte später schließt sich der Kreis, als Schlöndorff sich für eine Begnadigung von Christian Klar einsetzt und damit eingreift in eine Diskussion, die ohne die frühere Terrorhysterie geführt wird und damit auch zeigt, wie sich dieses Land verändert hat – eine Veränderung, zu der Schlöndorff künstlerisch beigetragen hat.

Protagonist des Neuen Deutschen Films

Seine Leistung für den deutschen Film, dessen künstlerisches Vorankommen, seine Emanzipation und sein internationales Renommee ist groß. Unter den damals jungen deutschen Regisseuren war er dem filmischen Aufbruch in Frankreich am nächsten gewesen. Dem sich daran orientierenden Neuen Deutschen Film konnte er also Erfahrungen aus erster Hand weiter geben. Papas Kino, gegen das Alexander Kluge, Wim Wenders oder Rainer Werner Fassbinder dereinst angetreten waren, schien endlich abgeschafft, als mit Schlöndorff einer der ihren 1980 den Oscar® gewann für Zum Filmarchiv: "Die Blechtrommel". Es war der Moment, in dem der Neue Deutsche Film auch grenzübergreifend gewürdigt wurde für den künstlerischen Neuanfang im Nachkriegsdeutschland, der so bitter nötig gewesen war. Aber auch der Moment, in dem der Neue Deutsche Film erkennen musste, dass er selbst nun angekommen war in dem Establishment, das er doch eigentlich bekämpft hatte.

Prägende Figur deutscher Kulturpolitik

Schlöndorff war nun endgültig nicht mehr wegzudenken aus dem deutschen Film. Auch wenn mancher seiner Filme seitdem künstlerisch nicht zu überzeugen wusste, auch wenn sein langjähriges Wirken als Geschäftsführer der Filmstudios Babelsberg von steter Kritik begleitet war: Er ist zur Institution geworden, lehrt als Dozent und Professor, reist als Jury-Präsident zum Filmfestival nach Teheran, schreibt in der Presse Grundsätzliches zur Globalisierung des Kinos und schüttelt immer mal wieder einem Regierungschef die Hand. Noch immer ist Schlöndorff Akteur und prägende Figur der Kulturpolitik und des Filmgeschäfts in Deutschland. Nach wie vor auch ist die Literatur ein wichtiger Bestandteil seiner Arbeit und seines Lebens. 1991 verfilmte er "Homo Faber" von Max Frisch aus dem Jahr 1957 und mit dem Schweizer Schriftsteller verband ihn bis zu dessen Tod auch eine Freundschaft. Für seinen Regiekollegen und Freund Peter Fleischmann zog er über die Bühnen der Republik, um dessen ersten Roman Die Zukunftsangst der Deutschen zu bewerben. Und erst vor wenigen Wochen schrieb er einen Text über das Buch, das ihn "in Bewegung gesetzt" hat. Dank Bruce Chatwins Traumpfade (1998) habe er einst mit dem Laufen begonnen. Heute läuft er schon mal einen Marathon. Das wird dann wohl die dritte Liebe des Volker Schlöndorff sein.