Kategorie: Hintegrund
Vom Ersten Weltkrieg bis heute: Propaganda im Film
Das Kino veränderte die Mechanismen der Propaganda. Im Ersten Weltkrieg entdeckten die kriegsführenden Nationen den Einfluss des neuen Mediums auf die Zivilbevölkerung. Allianzen zwischen Militär und Filmindustrie gibt es bis heute.
Wird der Erste Weltkrieg rückblickend oft als "Materialschlacht" bezeichnet, so gilt dies ebenso für die Bildproduktion jener Jahre. Die britische Karikatur des affenartigen "Hunnen" mit Pickelhaube und Keule, der sich als grausame Verkörperung des deutschen Militarismus seinen Weg durch Europa bahnt, findet sich noch heute in deutschen Geschichtsbüchern. Um gegen diesen Gegner zu mobilisieren, veröffentlichte etwa das britische War Propaganda Bureau allein im ersten Kriegsjahr über 2,5 Millionen Bücher und Broschüren in 17 Sprachen.
Der Film: ein neues Medium findet sein Publikum
Eine zentrale Rolle war hierbei dem Film zugedacht, sowohl in dokumentarischen Wochenschauen als auch im Zum Inhalt: Spielfilm. Das Kino entwickelte sich zu Kriegsbeginn langsam zu einem einflussreichen Massenmedium und war bereits ein globaler Wirtschaftsfaktor: Von weltweit 60.000 Kinos standen 16.000 in den USA, 6.000 in Großbritannien und immerhin 2.500 im Deutschen Reich. Das Publikum maß dem bewegten Bild in diesen frühen Jahren des Kinos nahezu uneingeschränkt Authentizität bei – eine Haltung, die sich zu Beginn des Krieges rasch wandeln sollte. Das gemeinsame Filmerlebnis im abgedunkelten Saal versprach eine neue Dimension wenn nicht der Massensuggestion, so doch der Aufmerksamkeitslenkung und Konsenserzeugung. Hier konnte die emotionale Verbindung von Front und Heimat vollzogen werden.
Widerstand gegen das Massenmedium
Zunächst gab es gegen das neue Medium jedoch Vorbehalte. Mit dem hehren Auftrag patriotischer Gewissensbildung war das billige Massenvergnügen Kino, so die Einschätzung der herrschenden Eliten in Militär und Politik, kaum zu vereinbaren. So erlebte der erste britische Zum Inhalt: Propagandafilm "Britain Prepared" erst am 29. Dezember 1915, 17 Monate nach Kriegsbeginn, seine Premiere in London. Die Zum Inhalt: Dokumentation über die englische Kriegsmaschinerie, teilweise in dem damals noch neuen Farbsystem Kinemacolor gedreht, war gegen die Widerstände aus Militärkreisen durchgesetzt worden und besaß für zukünftige Produktionen eine Vorbildfunktion.
Einen Sonderfall stellte Frankreich dar, wo selbst die Filme der eigenen Filmabteilung SCA (Section Cinématographique de l’Armée francaise) einen pazifistischen Ton anschlugen. Schon während des Krieges fand die militärische Bildproduktion Frankreichs unter dem Gesichtspunkt der "Erinnerung" statt. Die Bilder von den Schlachtfeldern (allein 31 Zum Inhalt: Kurzfilme behandelten die Schlacht von Verdun im Jahr 1916) sollten in erster Linie der Dokumentation, nicht der Mobilmachung dienen. Nicht dokumentarisch, aber ein glänzendes Beispiel für ein pazifistisches Werk ist Abel Gances epischer Anti-Kriegsfilm "J’accuse" (FR 1919), in dem sich die Toten zur Anklage vom Schlachtfeld erheben. Der Film wurde teilweise vom französischen Militär finanziert, wohl weil man einen Zum Inhalt: Propagandafilm gegen den Erzfeind Deutschland erwartet hatte.
Der Krieg in den Wochenschauen
Der dringende Wunsch in der Bevölkerung nach dokumentarischen Bildern von der Front stieß jedoch schnell an Grenzen – einerseits weil die Filmteams in dem unwegsamen Gelände unter Einsatz ihres Lebens arbeiteten. Andererseits verzögerte die obligatorische Zensur, im Deutschen Reich zunächst Sache der lokalen Polizeibehörden, die Aufführung oft um mehrere Wochen. Die Folge waren meist belanglose Aufnahmen aus dem Hinterland, Bilder von Soldaten beim Essen oder bei der Vorbereitung des Kriegsgeräts für die kommende Schlacht. Publikum und Kritik zeigten sich ernüchtert. Die Zeitschrift Der Kinematograph urteilte 1919 rückblickend über die deutschen Wochenschauen: "Sie waren langweilig und verdienten meist ihre Bezeichnung gar nicht, weil sie zu oft nicht den Krieg widerspiegelten, sondern gestellte Bilder brachten. Im übrigen wusste das das Publikum ganz genau."
Die Gründung des BuFa
Bereits im August 1916 hatte die Produktionsfirma Messter-Gesellschaft ein Pamphlet mit dem Titel Der Film als politische Kampfschrift veröffentlicht. Doch die deutsche Heerführung unter General Erich von Ludendorff änderte erst spät ihre skeptische Haltung. Die Gründung des Bild- und Filmamts (BuFa), dem unter anderem die militärischen Film- und Presseabteilungen sowie das Filmbüro des Auswärtigen Amtes unterstanden, war im Januar 1917 der erste Schritt hin zu einer gelenkten Berichterstattung jenseits der Zensur und zugleich eine Reaktion auf die oft sensationsheischenden Produktionen aus der Privatwirtschaft. Der neben den auf Wochenschauen spezialisierten Produktionsgesellschaften Messter und Eiko wichtigste kommerzielle Produzent war die Deutsche Lichtbild-Gesellschaft (DLG, später Deulig), ein von nationalkonservativen Großindustriellen gegründeter Dachverband zur Imagewerbung im In- und Ausland. 150 eigene Filme produzierte die DLG in den Jahren 1917/18, darunter auch Kriegsfilme gegen den ausdrücklichen Wunsch sowohl des BuFa als auch der Obersten Heeresleitung, die der Ansicht waren, dass die militärische Berichterstattung und die politische Propaganda staatlich gelenkt werden sollten.
Schlacht der Filme: "The Battle of the Somme" vs. "Bei unseren Helden an der Somme"
Der erste große Beitrag des BuFa war "Bei unseren Helden an der Somme" (DE 1916) – eine direkte Antwort auf den Erfolg des britischen Propagandafilms "The Battle of the Somme" , mit der das deutsche Militär versuchte, die verheerende Schlacht von 1916 nachträglich als Sieg zu verkaufen. Ludendorffs neue Koordinationsstelle verstand sich als Gegenpol zu den alliierten "Hetzfilmen", eine erstaunlich defensive Strategie, die sich in dem Dreiakter gut beobachten lässt. Gemächliche, teils offensichtlich gestellte Bilder werden wie im Vorbild in einer rudimentären Stummfilmdramaturgie (Glossar: Zum Inhalt: Stummfilm und Zum Inhalt: Dramaturgie)angeordnet. Deutsche Soldaten begutachten zunächst vom Gegner zerstörte Kulturgüter und helfen der Zivilbevölkerung. Mit Zwischentiteln (Glossar: Zum Inhalt: Insert) wie "Wer sind die Barbaren?" wird der gängige Vorwurf umgekehrt. Es folgt eine stellenweise lebhafte Darstellung der Kriegshandlungen. Das gewünschte Bild eines sauberen und gut organisierten Kriegs scheitert aber an ungünstigen Kamerapositionen, eindeutig propagandistischen Textpassagen und vorenthaltenen Informationen.
Qualitativ reicht die deutsche Produktion nicht an "The Battle of the Somme" heran. Der von zwei professionellen Kameramännern gedrehte Film zeigt die britische Armee aus nächster Nähe, oft in starken Massenszenen, in stets konzentrierter Aktion. 20 Millionen Zuschauende allein in den ersten sechs Wochen nach der Veröffentlichung im August 1916 konnten sich dieser Identifikation nicht entziehen und machten den Film zum Kassenschlager. Damit war offensichtlich, dass der deutsche Propagandafilm zwei Jahre nach Kriegsbeginn den anderen Nationen abgeschlagen hinterherhinkte.
Die Gründung der UFA
In einem Brief an das Königliche Kriegsministerium vom 4. Juli 1917 schrieb Ludendorff: "Der Krieg hat die überragende Macht des Bildes und Films als Aufklärungs- und Beeinflussungsmittel gezeigt." Eine "Vereinheitlichung der deutschen Filmindustrie" sah er als gebotenes Mittel, den Vorsprung der Gegner aufzuholen und der privaten Konkurrenz den Rang abzulaufen. In diesem inoffiziellen Gründungsdokument der Universum Film AG (UFA) formuliert der Militär Ludendorff einige zentrale Wesenszüge staatlicher Propaganda. Vor allem müsse sie, um die gewünschte Wirkung zu erzielen, unerkannt bleiben. Für die tatsächliche Beeinflussung des Kriegsverlaufs allerdings kam die Gründung der UFA zu spät. Die kommende Speerspitze des Weimarer Kinos verschlang eine Menge Geld, produzierte jedoch kaum Kriegsfilme. Die BuFa versorgte bis zum Ende des Krieges etwa 900 Frontkinos mit Filmen.
Propaganda nach 1918 – Unterschiedliche Systeme, unterschiedliche Lehren
Seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs hat der Begriff der Propaganda einen starken Bedeutungswandel erfahren, er ist aufgrund der Erfahrungen im Ersten Weltkrieg negativ konnotiert. Der Grund liegt in zwei gänzlich gegenläufigen Entwicklungen. Galt die staatliche Massenagitation seitens der Siegermächte schnell als diskreditiert, zog der Nationalsozialismus völlig andere Lehren aus der Geschichte. Hitler und Propagandaminister Goebbels sahen in der defensiven Propagandastrategie im Ersten Weltkrieg eine Ursache der Niederlage. Gleichzeitig war mit der mächtigen UFA ein wichtiger Grundstein zur Gleichschaltung der Filmindustrie gelegt. Diese gipfelte im Ausbau des 1937 verstaatlichten Konzerns zum Monopolisten im Jahr 1942. In Goebbels Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda wurden sämtliche Filme abgesegnet oder in Auftrag gegeben, darunter direkte NS-Propaganda und die große Masse des "unpolitischen Unterhaltungsfilms". Unser heutiger Begriff der Propaganda mit seinem negativen Beiklang speist sich nicht zuletzt aus dieser Entwicklung.
Propaganda im Kalten Krieg
In den Nachkriegsjahren standen propagandistische Bemühungen ganz im Zeichen des Kalten Krieges. Das ideologische Säbelrasseln zielte in den 1950er- und 1960er-Jahren in erster Linie darauf ab, die Überlegenheit des eigenen politischen Systems zu demonstrieren. Ein Resultat des sogenannten "Stalin-Kults" war Micheil Tschiaurelis "Der Fall von Berlin" aus dem Jahr 1950, der die Rolle der sowjetischen Führung während des Zweiten Weltkriegs in ein positives Licht rückte. Im US-amerikanischen Kino jener Jahre manifestierte sich der Kalte Krieg vor allem in anti-kommunistischer Paranoia, die sich parabelhaft in Zum Inhalt: Horrorfilmen wie "Die Dämonischen" ("Invasion of the Body Snatchers" , Don Siegel, USA 1956) und im Polit- Zum Inhalt: Thriller á la "Botschafter der Angst" ("The Manchurian Candidate" John Frankenheimer, USA 1960) niederschlug. Ost-West-Feindbilder wurden bevorzugt im Zum Inhalt: Genre des Spionagefilms in Stellung gebracht. In "For Eyes Only – Streng geheim" (DDR 1963) von János Veiczi etwa vereiteln ostdeutsche Agenten einen Plan der NATO, die politische Führung der DDR zu stürzen.
Der Anti-Kriegsfilm nach dem Zweiten Weltkrieg
Als Gegenbewegung zur Mobilisierung ideologischer Kräfte erlebte der Antikriegsfilm ab den 1950er-Jahren eine erneute Blütephase. Stanley Kubricks "Wege zum Ruhm" ("Paths of Glory" bezog sich 1957 sogar noch einmal auf die Schlachtfelder des Ersten Weltkriegs, während osteuropäische Filme wie Zum Filmarchiv: "Ich war neunzehn" (DDR 1968) von Konrad Wolf und Elem Klimows erschütterndes Drama "Komm und Sieh" ("Idi i smotri" , UdSSR 1985) die Erfahrung des Zweiten Weltkriegs thematisierten. Der Vietnam-Krieg war in den USA der Auslöser für eine weitere Welle von Anti-Kriegsfilmen, die sowohl die Fronterfahrung als auch das Schicksal der Rückkehrer beschrieben. Diese Welle setzte sich mit Oliver Stones Zum Filmarchiv: "Platoon" (USA 1986) und "Full Metal Jacket" (USA 1987) von Stanley Kubrick bis weit in die 1980er-Jahre fort, als sich der politische Wind in den USA längst gedreht hatte. In dieser Phase militärischer Aufrüstung entdeckte die US-Regierung auch das Kino als Werbeplattform wieder.
Militär und Unterhaltung
Hatte die Geschichte des Ersten Weltkriegs bereits das komplexe Geflecht von staatlichen, militärischen und kommerziellen Interessen, in dem sich Propaganda bewegt, aufgezeigt (1915 wurde unter anderem D.W. Griffiths Bürgerkriegsfilm "Geburt einer Nation/Birth of a Nation" vom Militär unterstützt), gehört die Kooperation zwischen Filmindustrie und Politik heute zur gängigen Praxis. Viele größere Produktionen wären etwa ohne die Mithilfe von US-Armee und State Department – den berüchtigten "Filmbüros" des Pentagons – kaum realisierbar. Der Pilotenfilm "Top Gun" (Tony Scott, USA 1986) gilt als Wendepunkt der militärischen Selbst- und Außendarstellung. Im politischen Klima der Reagan-Jahre, in denen alte Ost-West-Feindbilder reaktiviert wurden, fand das Militär wieder Erfüllungsgehilfen in der US-Filmindustrie. Der Schulterschluss von Militär und Unterhaltungsindustrie, der sogenannte "military-entertainment-complex", veränderte die Ikonografie filmischer Propaganda: weg von ideologischer Einschwörung, mit einem neuen Augenmerk auf der Fetischisierung eines militärischen Lifestyles und dessen Hardware. In "Top Gun" ähnelte die Kriegserfahrung bereits der Simulation in einem Computerspiel. Die für ihre Zeit bahnbrechenden Learjet-Aufnahmen der Luftkämpfe bedienten den Wunsch nach erhöhtem Realismus und glorifizierten die Vorstellung eines sauberen Krieges. Der Werbeeffekt verfehlte seine Wirkung nicht: Nach dem Kinostart schnellten die Bewerberzahlen der US-Navy um 500 Prozent in die Höhe.
Eine neue Ikonografie des Kriegsbildes
Eine neue filmische Qualität erreichte diese Zusammenarbeit Anfang der 2000er-Jahre mit dem Zum Inhalt: Kriegsfilm "Black Hawk Down" (Ridley Scott, USA 2001), der die militärische Produktplatzierung schon im Titel führt. (Black Hawk ist der Name eines Kampfhubschraubers) "Black Hawk Down" zeigte die soldatische Erfahrung in einem schonungslosen Realismus und versetzte das Publikum durch den Einsatz von wendigen Handkameras (Glossar: Zum Inhalt: Steadicam) und schnellen Zum Inhalt: Montagen zwischen die unscharfen Frontlinien. Diese Entwicklung zeigt, dass sich die Methoden der Einflussnahme und daraus resultierend auch die Ikonografie des filmischen Kriegsbildes mit dem Charakter moderner Kriege verändern. Ein Wandel lässt sich ebenfalls an der Ästhetik militärischer Imagefilme ablesen. So wirbt die sechsteilige Filmreihe "Operation Afghanistan - Die Bundeswehr im Einsatz" (BRD 2008) einerseits mit der technischen Überlegenheit des Heeres, legt gleichzeitig aber großen Wert auf die humanitären Aspekte des Einsatzes.
Die Immersions-Strategie, das Publikum mit den Mitteln audio-visueller Fiktion am Kriegserlebnis "teilhaben" zu lassen, findet heutzutage Entsprechung im verstärkten Einsatz von Computersimulationen in der Soldaten-Ausbildung. Der deutsche Videokünstler Harun Farocki zeigt in seiner Arbeit "Ernste Spiele" (BRD 2009-2010), dass das US-Militär Point-of-View-Computersimulation, wie man sie aus sogenannten Ego-Shootern kennt, inzwischen auch in der Behandlung posttraumatischer Belastungsstörungen bei amerikanischen Soldaten einsetzt. So werden die Grenzen von Einflussnahme und Unterhaltung durch die enge Verzahnung von offiziellen Stellen und der Privatwirtschaft immer durchlässiger. Mit zentral organisierter Propaganda, wie sie im Ersten Weltkrieg erfunden wurde, hat die moderne militärische Lobbyarbeit nichts mehr zu tun. Ihre Urheber tauchen heute – wenn auch gut versteckt – in den Film-Credits auf. Das Ziel hingegen ist immer noch dasselbe: das Publikum vom Sinn einer Sache zu überzeugen, oft gegen innere Widerstände, aber selten gegen dessen eigenen Willen.
Weiterführende Links
- External Link bpb.de: Der Erste Weltkrieg als Medienkrieg
- External Link filmportal.de: Der Weg zur Ufa - "Der Ludendorff-Brief"
- External Link Zentrum der Filmpropaganda Kurt Laser
- External Link New York Times: Militär und Unterhaltung I
- External Link Movieline.com: Militär und Unterhaltung II
- External Link bpb: Materialsammlung zum Film "For Eyes Only – Streng geheim"