Axel Ranisch absolvierte parallel zum Abitur eine Ausbildung als Medienpädagoge, die er 2004 abschloss. In der Folgezeit unterrichtete er an zahlreichen Berliner Schulen Film und studierte parallel Zum Inhalt: Regie an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf. 2011 kam sein erster, langer Zum Inhalt: Spielfilm "Dicke Mädchen" ins Kino. Ranisch arbeitete ebenso als Zum Inhalt: Schauspieler und europaweit als Opernregisseur. Sein aktueller Film Zum Filmarchiv: "Orphea in Love" (DE 2023) bringt das Kino und die Oper mit einer Modernisierung des Orpheus-Mythos zusammen.

kinofenster.de: Woher rührt Ihr Interesse am Orpheus-Stoff?

Axel Ranisch: Der Stoff hat eine wichtige Bedeutung für die Entwicklung des europäischen Musiktheaters. Die erste Oper, die je geschrieben wurde, handelte von Orpheus. Es gibt unzählige Adaptionen des Stoffes, das Interesse der Komponist/-innen daran hat bis ins 21. Jahrhundert nicht nachgelassen. Welcher Stoff wäre für einen Opernfilm also besser geeignet gewesen?

kinofenster.de: Wie kamen Sie darauf, einen Opernfilm zu drehen?

Axel Ranisch: Serge Dorny, der Intendant der Bayerischen Staatsoper München, kam mit der Idee auf mich zu, einzelne Arien als Zum Inhalt: Kurzfilme zu verfilmen und rannte bei mir förmlich offene Türen ein. Ich inszeniere Opern und Filme gleichermaßen. Das Zum Inhalt: Genre des Opernfilms gibt es schon lange. Meist handelt es sich um Verfilmungen (Glossar: Zum Inhalt: Adaption) ganzer Opern, wie Walter Felsensteins "Hofmanns Erzählungen" (DDR 1970) oder Carlos Sauras "Carmen" (ES 1983). Eine Ausnahme stellt der Film "Aria" (IT/FR/BRD 1987) dar, in dem zehn Regisseure wie Derek Jarman oder Robert Altmann zehn Arien aus verschiedenen musikalischen Epochen verfilmt haben. Diese Idee, habe ich für meinen Film adaptiert. Ich fand es aber spannender, eine Geschichte mit einem roten Faden zu erzählen.

kinofenster.de: Warum haben Sie sich entschlossen, im Film aus Orpheus eine weibliche Orphea zu machen?

Axel Ranisch: Ich habe nach einem Sänger mit der schönsten Stimme und dem größten Schauspieltalent gesucht und ich habe Mirjam Mesak gefunden. Sie verkörperte Jolanthe, eine blinde Prinzessin, in meiner Inszenierung der gleichnamigen Oper von Peter Tschaikowski im Jahr 2019 an der Münchner Staatsoper. Zwei schauspielerische Aspekte fand ich an ihr bemerkenswert: Nachdem ich mir lange den Kopf zerbrochen hatte, wie wir die Blindheit der Figur sensibel und überzeugend darstellen können, kam sie mit einem ausgearbeiteten Rollenkonzept zur Probe. Beim Einstudieren der Gesangsrolle hatte sie geübt, wie der Blick ins Leere geht und auf keine visuellen Reize reagiert. Beim Sichten des Materials für die DVD-Produktion wurde deutlich, wie detailversessen sie agierte. In einer 20-minütigen Passage, in der sie nicht dran war, setzte sie das Spiel unheimlich präzise fort. Sie blieb in jedem Augenblick in ihrer Rolle. Ich wusste sofort, dass ich einen Film mit ihr drehen möchte.

kinofenster.de: Auch Kolya wird von keinem klassisch ausgebildeten Schauspieler verkörpert. Guido Badalamenti ist Tänzer.

Axel Ranisch: Das wollte ich unbedingt. In der Rezeptionsgeschichte des Stoffes ist die Eurydike selten interessant oder facettenreich gezeichnet. Im Gegenteil: Oft ist sie nur eine Randfigur. Sie versteht nicht, dass sich Orpheus nicht umdrehen darf und fängt dann an, herumzuquengeln und an der Liebe zu zweifeln. Vorher taucht sie kaum auf. Das wollte ich nicht reproduzieren. Mir schwebte eine starke Figur vor. Wie geht das dramaturgisch? In der Regel, indem die Figur mehr Text erhält. Ich entschied mich aber genau für den umgekehrten Weg und nahm sämtlichen Text weg. Somit spricht Kolya nur mit dem Körper. Das macht ihn viel interessanter und geheimnisvoller.

kinofenster.de: Wie konturenreich waren die Figuren zu Beginn der Dreharbeiten?

Axel Ranisch: Normalerweise schreibe ich die Figuren den Schauspieler/-innen auf den Leib. Mirjam Mesak und Guido Badalementi haben beide ihre Figuren mitgestaltet und somit auch Einfluss auf die Handlung genommen. Gleiches gilt übrigens für meinen Kameramann Dennis Pauls, der einen Großteil der Schauplätze (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) vorgeschlagen hat.

kinofenster.de: Nach welchen Kriterien wurden Schauplätze ausgewählt?

Axel Ranisch: Er machte mir deutlich, dass die Zum Inhalt: Musik andere Schauplätze braucht als Plattenbauten im Winter, die sonst für meine Filme typisch sind (lacht). Dennis Pauls suchte Orte in und um München sowie an der Ostsee. Für uns war klar, dass es visuelle Brüche zur Musik geben muss. Denn wir erzählen eine Liebesgeschichte mit Musik. Das müssen die Schauplätze nicht auch noch illustrieren. Die Drehorte haben dann wiederum die Handlung mitgestaltet: Wir haben Geschichten um die Orte herumgeschrieben. Das Zum Inhalt: Drehbuch entstand somit im Ping-Pong-Spiel zwischen meinem Co-Autor Sönke Andresen, Dennis Pauls, den Schauspieler/-innen und mir.

kinofenster.de: Worauf basiert die Auswahl der Arien? Welche Bedeutung haben diese für die Figuren?

Axel Ranisch: Die Musik spiegelt das Innenleben der Figuren: Nachdem Kolya angefahren wurde, singt Nele eine Arie aus La Wally von Alfredo Catalani. Darin zieht sich die Protagonistin in die Berge zurück. Deswegen fällt bei uns Schnee. Auch Neles Leben vollzieht an dieser Stelle einen Bruch. Sie beschließt, sich den inneren Dämonen zu stellen. Dafür muss sie einen Vertrag mit dem Teufel eingehen. Das drückt sich mit der Wolfsschlucht- Zum Inhalt: Szene aus Der Freischütz von Carl-Maria von Weber aus. Später ist Nele bereit, ihr Trauma sinnbildlich zu umarmen. Ihr geht es an dem Punkt ähnlich wie Desdemona in Otello – ihr gelingt ein friedvoller Abschied von ihrem alten Leben. Erst jetzt kann sie ein Neues beginnen.

kinofenster.de: Inwieweit unterscheidet sich die Arbeit als Film- und Opernregisseur?

Axel Ranisch: Gar nicht so sehr. Es geht bei beiden Gattungen um das Erzählen von Geschichten und Gestalten von Figuren, deren Schicksal fesselt.

kinofenster.de: Kann eine filmische Umsetzung ein breiteres und vielleicht weniger opernaffines Publikum erreichen und für die Oper begeistern?

Axel Ranisch: Das würde ich mir wünschen. Bei den bisherigen Vorstellungen des Films habe ich das auch so gehört: "Ich gehe eigentlich nicht in die Oper, aber das war toll." Das macht mich sehr glücklich. Ich möchte den Menschen Vorbehalte oder Angst vor der Oper nehmen. Letztlich kann Musik die Hörer/-innen verzaubern. Oper kann auch ohne Vorbildung genossen werden. Sie ist in der Lage, gesellschaftliche- oder Standesgrenzen einzureißen. Oper steht gemeinhin für ein intellektuelles Bildungsbürgertum. So war das für mich nie. Ich bin als kleiner, dicker Junge im Plattenbau auf die Klassik gekommen und sie hat mich begeistert und mein Leben bereichert.

kinofenster.de: Sie sind Regisseur – und Medienpädagoge. Warum ist Filmbildung wichtig?

Axel Ranisch: Für mich gibt es unterschiedliche Aspekte. Als Medienpädagoge habe ich mehrere Jahre lang an verschiedenen Schulen unterrichtet. Im Fokus stand stets die Vermittlung, wie Film funktioniert. Einerseits ging es um die technische Umsetzung, beispielsweise mit welchen Tricks (Glossar: Zum Inhalt: Spezialeffekt gearbeitet wird. Das führt dann rasch zur Thematisierung, wie uns Bilder, die Zum Inhalt: Montage und die Musik manipulieren können. Film zeigt nie die Realität. Es ist wichtig zu hinterfragen, was auf der Leinwand zu sehen ist. Das ist aber auch zugleich die Stärke des Mediums: Mit dem Bewegtbild lässt sich ausdrücken, was sonst nur umständlich verbal formuliert werden kann. Auch das ist in der Filmbildung wichtig: Ästhetik zu vermitteln. Das würde ich mir gerade im Unterricht wünschen: Dass Film nicht nur als das schwächere Pendant zur Literatur gesehen wird, denn Film ist in jeglicher Hinsicht ein zauberhaftes Medium.

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