Lust am Makabren

Einen andächtigen Augenblick verweilt die Kamera am Grab des Chansoniers Georges Brassens, bevor sie in gemächlicher Ruhe über den idyllischen Friedhof Zum Inhalt: Kamerabewegungenschwenkt und sich schließlich auf einen Steilhang zu bewegt. Wieder hält sie einen Moment inne, und die Meeresklippe gibt den Blick auf ein ausgebranntes Autowrack frei, dessen verkohlter Fahrer das Lenkrad noch in Händen hält, obwohl er samt Sitz auf den Strand geschleudert wurde. Mit den ersten Bildern seines Films frönt der französische Regisseur Claude Chabrol wieder einmal seiner Lust am Makabren. Dieses Mal dient sie ihm als groteskes Vorspiel zu einem ansonsten aufreizend unspektakulär inszenierten Kriminalfall.

Beschaulich inszenierte Kriminalgeschichte

Nach der Titelsequenz überrascht die Kamera den berühmten Kommissar Bellamy beim Fernseh-Nickerchen und lässt erahnen, wie dessen beachtliche Leibesfülle das gemächliche Tempo des Films bestimmen wird. In den zahlreichen Dialogszenen begnügt sich Chabrol meist mit

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klassischen Zum Inhalt: Schuss-Gegenschuss-TechnikSchuss/Gegenschuss-Einstellungen, die Zum Inhalt: MontageMontage passt sich der beschaulichen Urlaubsstimmung an, wenngleich Bellamy seinem Beruf auch in den Ferien nicht entkommt. Ein Mann gesteht ihm einen Mord, den er nicht begangen hat, und weckt gerade damit das Interesse des Kommissars. Schnell findet Bellamy heraus, dass ihm der Unbekannte eine falsche Identität vorspiegelt und in Wahrheit ein gesuchter Versicherungsbetrüger ist. Um mit seiner Geliebten ein neues Leben anfangen zu können und gleichzeitig seine Ehefrau nicht unversorgt zu lassen, täuschte er seinen Tod bei jenem Autounfall vor, dessen grausigen Ausgang das Publikum bereits in der Eingangssequenz erfuhr. Und weil sich die Versicherung nicht überlisten ließ, versucht er nun Bellamy als Komplizen zu gewinnen.

Verkörperung des Filmwerks Chabrols

Chabrol lehnt seinen Kommissar gekonnt an Georges Simenons berühmte literarische Figur Maigret an. Bellamy ist ein brummiges Instinktwesen, das weniger auf polizeiliche Ermittlungstechniken vertraut als auf seine Menschenkenntnis, und damit auch ein wenig dem von Chabrol unter anderem in "Hühnchen in Essig" (Paulet au vinaigre, F 1985) eingesetzten Inspektor Lavardin ähnelt. Alles in allem lässt sich in ihm die perfekte Verkörperung des Filmwerks Chabrols erkennen: Auf seine Weise ist Bellamy ebenfalls ein Chronist der bürgerlichen Doppelmoral, ein altgedienter Ermittler, dem nichts Menschliches fremd ist und der durchaus Verständnis für diejenigen entwickelt, die er mit Ausdauer und Beharrlichkeit zur Strecke bringt.

Schmaler Grat zwischen Sicherheit und Absturz

Im Vergleich zu anderen Chabrol-Filmen wie "Die Fantome des Hutmachers" (Les fantômes du chapelier, F 1982) oder (Au coeur du mensonge, F 1999)

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scheinen die moralischen Abgründe dieses Mal nicht bodenlos. Am Ende bleibt sogar ungewiss, ob überhaupt ein Mord geschehen ist, und doch lässt der etwas unspektakuläre "Kommissar Bellamy" tief in verzweifelte Seelen blicken. Wie schmal in der gutbürgerlichen Gesellschaft der Grat zwischen Sicherheit und Absturz ist, zeigt das Doppelgängermotiv des Films: Der mutmaßliche Mörder wechselt auf der Flucht nicht nur die Identität, sondern hat sich unter den örtlichen Clochards auch einen Stellvertreter ausgesucht, der ihm wie aus dem Gesicht geschnitten ist. Und weil dieser ebenfalls aus bürgerlichen Verhältnissen stammt, erscheint sein Schicksal wie ein Menetekel.

Tradition des französischen Kriminalfilms

Mit "Kommissar Bellamy" schreibt Claude Chabrol eine Tradition des französischen Kriminalfilms fort, in der Mordfälle weniger dramaturgischer Selbstzweck sind als Türöffner in das Milieu,

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in dem sie sich ereignen. Sie begann mit dem bürgerlichen "Cinéma de Qualité", wie es die Regisseure Marcel Carné, Jean Renoir und René Clair verkörperten, sowie zahlreichen Simenon-Verfilmungen und wurde später unter anderem von Claude Miller ("Das Auge" , Mortelle randonnée, F, D 1983) maßgeblich geprägt. Chabrol ist dabei das Kunststück gelungen, seine sozio-psychologischen Kriminalfilme quasi als eigenes Subgenre zu etablieren. In ästhetischer Hinsicht genügt ihm bereits die kleinste Irritation der bürgerlichen Normalität, um ein Unheil anzukündigen: Wenn Bellamy bei einem Hausbesuch auf eine achtlos am Boden liegende Gießkanne stößt, wundert es nicht, dass er kurz darauf die Hausfrau selbst tot über dem Blumenkasten liegend entdeckt.

Schuld und Sühne

Chabrol treibt die Merkmale des sozio-psychologischen Kriminalfilms in "Kommissar Bellamy" auf die Spitze, indem er die Fragen von Schuld und Gerechtigkeit in der Schwebe

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lässt und die Grenze zwischen Beruflichem und Privatem konsequent verwischt. Das Familienleben des Ermittlers wird ausdrücklich in die Erkundung des verbrecherischen Milieus einbezogen. So erfährt Bellamy beim Abendessen mit dem Zahnarzt seiner Frau aufschlussreichen Klatsch und Vertrauliches aus den Ermittlungsakten. Zugleich beanspruchen die Konflikte mit seinem zu Besuch weilenden Halbbruder immer mehr Raum. Am Ende zeigt sich, dass es auch in dieser persönlichen Beziehung um Schuld und Sühne geht, und man staunt, wie lange sich unter der bürgerlichen Oberfläche scheinbar unvereinbare Gegensätze verbergen lassen.

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