Kategorie: Hintergrund
Dokumentarfilme über Politiker/innen
Politiker/innen sind Medienprofis und darin geübt sich in einem positiven Licht zu präsentieren. Wie nähern sich Dokumentafilmer/innen ihrem Sujet an, ohne sich vereinnahmen zu lassen?
Protagonisten/innen mit Einfluss
Porträts von Politikern/innen stellen für Filmschaffende ein Wagnis dar. Nicht selten treffen in diesem kleinen Untergenre des Zum Inhalt: DokumentarfilmDokumentarfilms hoch dekorierte Regisseure/innen, als kritische Journalisten/innen jedoch ungeübt, auf gewiefte Medienprofis. Um solche handelt es sich zweifellos im Falle von Otto Schily und Hans-Christian Ströbele, zwei der drei Protagonisten von Zum Filmarchiv: "Die Anwälte – Eine deutsche Geschichte" (Birgit Schulz, Deutschland 2009). Die gelernten Juristen sind nach einer jahrzehntelangen Karriere im Politikgeschäft den Umgang mit der Kamera gewohnt. Persönliches lassen sie sich kaum entlocken. Ihr nüchterner Stil ist ein – durchaus aussagekräftiger – Teil ihrer Selbstdarstellung.
Eine Frage der Inszenierung
Filmemacher/innen versuchen in der Regel ihrerseits, diesen Schutzschild zu durchbrechen und sich nicht etwa als Propagandawerkzeug missbrauchen zu lassen. Für die Analyse solcher Dokumentationen sind nicht zuletzt die technischen Produktionsbedingungen entscheidend: Welchen Einfluss hatte die porträtierte Person auf ihr Bild? Durfte sie unvorteilhafte Passagen entfernen? Inwiefern wurde das Gezeigte eigens für den Film inszeniert? Wie wurde der/die Porträtierte in Szene gesetzt? Dazu kann die Regie dem Publikum, etwa durch Texttafeln, wichtige Informationen liefern. Häufig aber verzichtet sie darauf und verlangt so vom Publikum ein hohes Maß an Medienkompetenz und zeitgeschichtlicher Vorbildung.
In der Rolle des Beobachters
Als vorbildliche Annäherung an einen Politiker gilt Robert Drews "Primary" (USA 1960). Drew beobachtet darin den künftigen US-Präsidenten John F. Kennedy während der amerikanischen Vorwahlen zur Kandidatur innerhalb der demokratischen Partei. Im Vordergrund stehen nicht große Reden, sondern Begegnungen mit dem umworbenen Wahlvolk. Momente angespannter Nervosität werden nicht ausgespart. "Primary" macht weniger Propaganda für den Kandidaten als für die Demokratie. Es lässt sich aber auch beobachten, wie sich hier ein neuer Politikstil durchzusetzen beginnt: Der bodenständige, inhaltsorientierte Gegenkandidat Hubert Humphrey unterliegt dem jung-dynamischen Kennedy. Drews Film war wegweisend für den neuen, vermeintlich objektiven Stil des Direct Cinema, der sich unter anderem durch das Fehlen eines Kommentars und den Versuch, mit möglichst wenig Einfluss das Geschehen zu filmen, auszeichnet.
Die Faszination der Macht
Kennedys außenpolitischer Erzfeind Fidel Castro ist Jahrzehnte später der Gegenstand von Oliver Stones gründlich misslungenem Diktatorenporträt Comandante (USA, Spanien 2003). Immerhin erläutert der Hollywood-Regisseur seine Vorgehensweise: Laut Vorspann hatte der kubanische Staatspräsident volle Verfügungsgewalt über das gefilmte Material, nahm davon aber "keinen Gebrauch". Schon dieser Hinweis belegt Stones Sympathie für seinen Interviewpartner, neben dem er sich immer wieder selbst ins Bild rückt. Der brillante Rhetoriker Castro spannt den amerikanischen Freund für seine Zwecke ein und lässt ihn seine Herrschaft in ein leuchtendes Licht setzen. Es ist zweifelhaft, ob er mit kritischeren Fragen hätte aus der Fassung gebracht werden können; Stone allerdings unterlässt jedes Nachhaken und verstärkt durch eine aufwändige Zum Inhalt: MontageSchnitttechnik die ohnehin beeindruckende Präsenz des gealterten Revolutionärs noch zusätzlich. Durchschaut man dieses Spiel, ist "Comandante" ein interessantes Paradebeispiel für die verführende Kraft der Macht.
Ohne Standpunkt
Allerdings erweist sich im Unterschied zu Stones Distanzlosigkeit gerade eine zur Schau gestellte Objektivität mitunter als Selbsttäuschung. Errol Morris' The Fog of War (The Fog of War: Eleven Lessons from the Life of Robert S. McNamara, USA 2003) ist dafür ein besonders problematisches Beispiel. Der ehemalige US-Verteidigungsminister Robert McNamara bereut darin seine Rolle im Vietnamkrieg. Wie in Polit-Dokus heutzutage üblich, werden die Interviewpassagen mit Nachrichtenbildern aus dem Archiv angereichert. Interessant ist die Sprecherposition: McNamara scheint direkt zum Kinopublikum zu sprechen. Man hat den Eindruck eines Privatvideos, zu dem Morris nur die Stichworte liefert. Sprechpausen, die Unsicherheit verraten könnten, werden – gegen jede Gepflogenheit und für jeden sichtbar – mit Hilfe von Zum Inhalt: Jump CutJump-Cuts getilgt. So erhält der 86-Jährige Gelegenheit, mit belehrendem Selbstbewusstsein seine moralische Reue zu präsentieren. Diese nachträgliche Einsicht, nicht der mörderische Krieg, soll sein Vermächtnis sein. Der mit einem Oscar® belohnte Regisseur muss sich vorwerfen lassen, dieser Seelenreinigung keinen eigenen Standpunkt entgegengesetzt zu haben.
Der Mensch hinter der Maske
Dass man auf Porträts "aktueller" Politiker – mit Ausnahme von Diktatoren wie etwa Castro, der keinen Wahlkampf zu befürchten hat – warten muss, ist den Zwängen des Politikbetriebs geschuldet: Zu groß ist die Gefahr, sich vor der Kamera unnötig zu entblößen. So geschieht es dem aussichtslosen Bundestagskandidaten in (Andreas Dresen, Deutschland 2002). Der Wahlkampf in trostlosen Fußgängerzonen zeigt: Henryk Wichmann ist kein Kennedy des Ostens – und auch kein Medienprofi wie Harvey Milk, dessen Weg zum ersten offen bekennend homosexuellen Stadtrat San Franciscos bis zu seiner Ermordung im Jahr 1978 Rob Epstein in "Wer war Harvey Milk?" (The Times of Harvey Milk, USA 1984) schildert. Regisseur Dresen steht dagegen vor dem Dilemma, in seinem Film einen Politiker vor sich selbst schützen zu müssen, er läuft mit seinem Protagonisten nicht wie einiger seiner Kollegen/innen Gefahr, der Selbstdarstellung der Mächtigen unkritisch zuzuarbeiten. Geradezu demaskierend wirkt hingegen Klaus Sterns Langzeit-Reportage (Deutschland 2008). Sie zeigt einen ehrgeizigen Lokalpolitiker beim Versuch, in seiner Gemeinde das größte Ferienressort Europas hochzuziehen. Die zähen Verhandlungen mit Bürokratie und Investoren sind voller peinlicher Momente, die Stern ungeschönt wiedergibt. Am Ende scheitert nicht nur das Projekt, sondern auch die offenkundige Absicht des Bürgermeisters, den Film für seine hochfliegenden Pläne nutzbar zu machen. Erfolgreiche Politiker/innen sind nicht zuletzt auch Schauspieler/innen, die zwischen Persönlichkeit und öffentlichem Bild zu unterscheiden wissen. Ein guter Dokumentarfilm ermöglicht es seinem Publikum, den Menschen hinter der Maske zu erkennen.