Kategorie: Filmbesprechung
"Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa"
Zarafa
Die tatsächliche Geschichte der Giraffe Zarafa, die dem französischen König 1827 geschenkt wurde, ist Inspirationsquelle für einen fantasiereichen Animationsfilm, der das Ereignis als eigenständiges Märchen anlegt.
Unterrichtsfächer
Thema
Freundschaft zwischen Mensch und Tier
Frühes 19. Jahrhundert in Afrika : In vielen Regionen schreitet die Kolonialisierung voran, der Sklavenhandel ist für zahlreiche Europäer ein einträgliches Geschäft. Zwei afrikanische Kinder, Maki und Soula, liegen in den Ketten des französischen Sklavenhändlers Moreno gefesselt. Eines Nachts kann Maki jedoch entkommen. Auf der Flucht schließt der Waisenjunge Freundschaft mit der jungen Giraffe Zarafa. Kurz darauf wird sie jedoch von dem Beduinen Hassan eingefangen: Sie soll als diplomatisches Geschenk dem französischen König übergeben werden. Doch Maki lässt seine vierbeinige Freundin nicht im Stich, hat er doch Zarafas sterbender Mutter versprochen, auf sie aufzupassen. Quer durch die Wüste folgt er Hassan und der kleinen Giraffe. So beginnt eine abenteuerliche Reise vom Sudan über das Mittelmeer und die schneebedeckten Alpen bis nach Paris, eine Reise, auf der Maki sein Leben riskiert und Freundschaft mit dem Beduinen Hassan, dem Luftschiffer Malaterre und der Piratin Bouboulina schließt. Die Ankunft des exotischen Tiers in Paris ist eine Sensation. Aber Maki erkennt schnell, dass Zarafa mit dem Leben hinter Gittern nicht zurechtkommt. Ihm selbst ergeht es ähnlich: In Paris gerät er wieder in die Fänge des skrupellosen Sklavenhändlers Moreno und muss bei ihm – wie seine Freundin Soula – als Hausdiener arbeiten. Maki ist fest entschlossen, alle wieder in die Freiheit zu führen, vor allem Zarafa. Denn er will unbedingt sein Versprechen einlösen und die die Giraffe in ihre afrikanische Heimat zurückbringen.
Erzählsituation: Märchen oder Biografie?
Das titelgebende Abenteuer wird von einer Rahmenhandlung umklammert, in der die Kinder eines afrikanischen Dorfes der Erzählung eines weisen alten Mannes lauschen. Einen durchgehenden Spannungsbogen gibt es in den episodenhaften Zum Inhalt: Rückblenden dieser epischen Erzählung kaum. Stattdessen schlittern die Reisenden von einer Turbulenz in die nächste und werden neben humorvollen Begegnungen auch mit gefährlichen Situationen, ungemütlichen Antagonisten, dem Tod und dem Scheitern konfrontiert. Das ist – wenngleich wohldosiert und kindgerecht visualisiert – bisweilen recht emotional, spannend und bedrohlich. Allerdings unterbricht der Erzähler in besonders aufwühlenden Momenten den Erzählfluss, um seinem jungen Publikum durch beruhigende Worte oder spannungsauflösende Vorausdeutungen ausreichend Distanzierungsmöglichkeiten und Atempausen einzuräumen. Am Ende darf gerätselt werden, ob der alte Weise außen stehender Märchenonkel oder der alt gewordene Maki selbst ist, der in wacher Erinnerung seine Freundschaft zu Zarafa, seine Bindung an ein Versprechen, seinen Kampf um Freiheit – und nicht zuletzt die Entstehungsgeschichte des Dorfes – in einer ebenso humanistischen wie tierfreundlichen und moralischen Parabel aufleben ließ.
Zarafa – die erste Giraffe Frankreichs
Die Handlung des Zeichentrickfilms basiert auf historischen Begebenheiten. Die "Giraffomanie" brach aus, als die erste Giraffe namens Zarafa (arabisch für "Giraffe") im Jahr 1827 nach einer über zweijährigen Fuß- und Schiffsreise französischen Boden betrat. Das Jungtier aus der Wüste von Kordofan im heutigen Sudan war ein Geschenk des Vizekönigs von Ägypten, Muhammad Ali Pascha, an den französischen König Charles X. Es sollte nicht nur den jüngst in Paris eröffneten Jardin des Plantes als Attraktion bereichern, sondern auch die politische Beziehung zu der Kolonialmacht im Sinne Ägyptens beeinflussen, das sich aus dem Griff des Osmanischen Reiches befreien wollte. Im Europa des frühen 19. Jahrhunderts wusste kaum jemand etwas über das langhalsige Tier aus Afrika. Und so strömten die Besucher/innen in den Pariser Zoo – und fielen in einen kuriosen Giraffentaumel: Frauen frisierten ihre Haare turmhoch "à la girafe", Männer konterten mit emporragenden "Giraffique"-Hüten, Giraffenlieder wurden gesungen, Giraffengebäck verspeist, auf Möbeln, Geschirr und Gemälden prangten Abbilder der gefleckten Wiederkäuerin. Als der ägyptische Pascha jedoch auch an andere Zoos in Europa Giraffen sandte, verlor Zarafa ihre Einzigartigkeit. Sie verbrachte achtzehn Jahre im Pariser Zoo und wurde nach ihrem Tod für die Nachwelt erhalten. Sie ist bis heute im naturhistorischen Museum in La Rochelle zu sehen.
Fakten, Fiktion und Klischees
Die tatsächliche Geschichte von Zarafa war Inspirationsquelle für den französisch-belgischen Zum Inhalt: Animationsfilm, der historische Begebenheiten, Personen und Orte mit fiktiven Elementen paart, um ein fantasiereiches und ganz eigenständiges Märchen zu spinnen. In diesem werden die Themen Freundschaft und Verantwortung, die Suche nach einem Vater, die Stellung des Menschen in der Natur sowie die Kritik an den Auswüchsen des Kolonialismus aufgegriffen. Zudem wird – zuweilen recht unkritisch – mit nationalen Klischees wie etwa feilschende Araber/innen, rassistische Europäer/innen oder gar tibetanischen Wunderkühen, die nach einem Slapstick-Sturzflug aus dem Heißluftballon unversehrt auf einem Schiff landen, gespielt.
Hinter solchen bisweilen cartoon- wie klischeehaften Momenten verfolgt der in 2D produzierte und vollständig handgezeichnete Trickfilm (Glossar: Zum Inhalt: Animationstechniken) jedoch einen durchaus wirklichkeitsnahen Ansatz: So kreieren nicht nur die detailliert gezeichneten Hintergrundpanoramen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) durchreister Städte und Landschaften ein naturalistisches Abbild der Welt. Auch die Tierwelt des Films zeigt sich weitgehend so, wie sie ist, wird also nicht auf problematische Weise vermenschlicht, sondern behält trotz märchenhafter Ausnahmen überwiegend ihre natürliche Verhaltensweise. Dem wird der Verzicht auf sprechende Tiere ebenso gerecht wie das wilde Raubtierverhalten eines ausgehungerten Wolfrudels, das in den schneebedeckten Alpen eine der Milchkühe reißt.
Freiheit und Verantwortung
Nicht minder ungeschönt präsentiert der Film die sozialhistorische Realität im kolonialen Afrika, wo der Erschließungs- und Eroberungstrieb der europäischen Invasoren mit Gewalt, Machtmissbrauch und Sklaverei, verdeutlicht an der Figur des französischen Sklavenhändlers Moreno, einhergeht. Dabei verschränkt der Film das Schicksal von Maki und Zarafa, von versklavtem Mensch und freiheitsberaubtem Tier, und verweist auf die Verantwortung, die der Mensch für den Schutz der Tiere trägt. Als leise erzählter Abenteuerfilm, der Spannung, Emotionalität und beeindruckende Naturszenarien verbindet, kann "Die Abenteuer der kleinen Giraffe Zarafa" insbesondere ein junges Publikum ansprechen und für den Gedanken des Natur- und Artenschutzes sowie der Freiheit als wichtigstem Gut im Leben sensibilisieren.