Der pummelige Hans-Peter hat mal wieder ein Wettrennen gegen die anderen Kinder aus seiner Klasse verloren. Außer Atem schleppt er sich die Straße zum Elternhaus entlang, da ruft ihm seine Großmutter Änne schon aus 100 Metern Entfernung zu, so laut, dass es die ganze Nachbarschaft hören kann: "Hans-Peter, willzen Pferd?" Der Junge ist irritiert. Aber ja, natürlich will er ein Pferd. Dann muss er ja nicht mehr laufen. Und so kaufen die beiden auf einem Reiterhof zwei Stuten und noch eine Kutsche obendrauf – einfach, um mal im Pferdegespann ganz Recklinghausen (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) neidisch zu machen. "Wenne weißt, watte willz", verrät die "Omma" dem Enkel ihr Lebensmotto, "dann machet einfach."

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Caroline Links Zum Inhalt: Biopic Zum Filmarchiv: "Der Junge muss an die frische Luft" über die Kindheit des Komikers Hape Kerkeling, der in den frühen 1970er-Jahren im Ruhrgebiet aufgewachsen ist, ist voll von solchen kleinen, skurrilen Zum Inhalt: Szenen in der regionalen Umgangssprache. Die Sprache der Figuren unterscheidet sich merklich von einer elaborierten Hochsprache und hat hier mehrere Funktionen: Zum einen sollen die Dialoge auf Ruhrdeutsch die Figuren authentisch erscheinen lassen; Hans-Peters Verwandte sind Leute aus einfachen Verhältnissen, sie reden deshalb auch im Film so, wie Menschen im Ruhrpott auf der Straße oder im Tante-Emma-Laden eben reden. Zum anderen werden manche Figuren durch ihre regionale Sprechweise zu Typen stilisiert, mit denen der Film eine komische Wirkung erzielt. Diese Typen (die tratschende Nachbarin, der "witzige" Onkel etc.) dienen Hans-Peter als Material für seine Parodien – und verweisen auf das spätere Werk von Hape Kerkeling, der stets mit Charakterkomik und sprachlichen Akzenten spielt.

Ein Heimatfilm im ruhrdeutschen Regiolekt

In der Linguistik stuft man Ruhrdeutsch nicht als Dialekt, sondern als Regiolekt ein, also als umgangssprachliche Varietät des Hochdeutschen. Darin finden sich Einflüsse der nieder- und mittelfränkischen Mundarten des Rheinlands, der niederdeutschen Dialekte aus Westfalen sowie migrationsbedingt geringere slawischsprachige und jiddische Anteile. Im Gegensatz zu diesen jahrhundertealten Dialekten entstand das heutige Ruhrdeutsch erst Ende des 19. Jahrhunderts. Letztlich sind die grammatikalischen und lexikalischen Abweichungen vom Hochdeutschen überschaubar, so dass Ruhrdeutsch in der Regel im ganzen deutschsprachigen Raum verstanden wird.

"Der Junge muss an die frische Luft" unterscheidet sich deshalb von tatsächlichen Dialektfilmen – etwa in der bairischen Mundart von Marcus H. Rosenmüller ("Wer früher stirbt, ist länger tot" , DE 2006; "Beste Zeit" , DE 2007) –, die sich eher an ein regionales Publikum richten und von Dialektunkundigen meist nur mit Untertitelung geschaut werden können. Den Film von Caroline Link kann man im Vergleich dazu als urbanen Heimatfilm betrachten. Er erzählt eine Familiengeschichte mit spezifischem Lokalkolorit, beschwört einen nostalgischen Ruhrpott und spricht durch den bekannten Protagonisten und die allgemein verständliche Regionalsprache ein bundesweites Publikum an.

"Vatta is auf Montage": Milieuschilderung in der Sprache

Die Sprache der Filmfiguren trägt vor allem durch eine weitgehend authentische Intonation zum Lokalkolorit des Films bei. Nur wenige werden heraushören können, dass der junge Hauptdarsteller Julius Weckauf eigentlich aus Jüchen am Niederrhein kommt (die dortige Umgangssprache ist phonetisch ähnlich). Das Zum Inhalt: Drehbuch von Ruth Toma verzichtet zwar auf einen spezifischen Wortschatz, der außerhalb des Ruhrgebiets nicht vorausgesetzt werden kann, bedient sich aber durchweg der syntaktischen und morphologischen Eigenheiten. Alle Figuren sprechen die im Ruhrgebiet typischen Schmelzwörter ("hömma", "hasse", "willze" etc.) und in der Regel ein t statt s am Wortende ("dat", "wat", "et"). Außerdem werden manche Präpositionen und die Fälle Dativ und Akkusativ anders als im Hochdeutschen verwendet (einen Genitiv gibt es gar nicht).

Der Junge muss an die frische Luft, Szene (© Warner Bros.)

Die stärkeren Regiolekt-Sprecher/-innen werden durch mehrfach wiederholte Kalauer, Floskeln oder Binsenweisheiten als kleinbürgerlich charakterisiert. So macht sich Onkel Kurt bei jedem Treffen mit dem gleichen, verstaubten Witz über seine Schwester, eine Nonne, lustig: "Lisbeth, hamwa schon Karneval?" Während Hans-Peters Familie bedauert, dass Vater Heinz ständig "auf Montage" ist, weiß Oma Änne, dass man die Handwerker im eigenen Haus "rauswohnen" muss. Und Frau Rädecker wird als Stereotyp der tratschenden Nachbarin gezeichnet, wenn sie über die unglücklichen Liebesbeziehungen einer Bekannten sagt: "Dat liecht doch anse selba und ihre komische Art."

Period Picture über eine vermeintlich sorglose Zeit

Zur Figurensprache kommen weitere Aspekte der Milieuschilderung wie Zum Inhalt: Ausstattung, Zum Inhalt: Requisite, Zum Inhalt: Soundtrack, Zum Inhalt: Masken- und Zum Inhalt: Kostümbild hinzu, die den Film als sogenanntes period picture über die frühen 1970er-Jahre zu erkennen geben. Das zeigt sich am typischen Zeitungskiosk vor dem Haus der Kerkelings und am Kino in ihrer Straße, wo gerade "Alfred, die Knallerbse" (F 1972) und die Bud-Spencer-und-Terrence-Hill-Komödie "Zwei Himmelhunde auf dem Weg zur Hölle" (I 1972) gezeigt werden. Auf der familiären Karnevalsfeier läuft einmal der Schlager "Fiesta Mexicana" von Rex Gildo, ebenfalls aus dem Jahr 1972. Es sind solche hintergründigen Details der Zum Inhalt: Inszenierung, die das kleinbürgerliche Umfeld der Kerkelings im Wohlstand nach dem Wirtschaftswunder – zwischen Küchenschürze und Dauerwelle, Kohlrouladen und Eierlikör – mit historischem Alltag anreichern. Der Wirtschaftsboom der Nachkriegszeit hielt bis 1973 an, der Krieg lag mittlerweile mehr als 25 Jahre zurück. Hans-Peters Zum Inhalt: Erzählerstimme verweist darauf immer nur positiv, wenn er die Durchhaltekraft seines Großvaters bewundert, der aus Russland "nach Hause gelaufen" sei. So erzählt "Der Junge muss an die frische Luft" von einer vermeintlich sorglosen Zeit.

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Für die Schattenseiten der Nachkriegszeit sowie die spezifische Industriekultur im "Kohlenpott" interessiert sich der Film von Caroline Link hingegen gar nicht. Deshalb lohnt ein Vergleich mit den Filmen des wohl bedeutendsten Ruhrgebiet-Regisseurs Adolf Winkelmann. In "Jede Menge Kohle" (BRD 1981) und zuletzt in Zum Filmarchiv: "Junges Licht" (DE 2016), ebenfalls über die Kindheit eines Jungen in der Wirtschaftswunderzeit, inszeniert Winkelmann die pittoresk-rauchenden Schlote eines Stahlwerks und die derbe Herzlichkeit der Kumpel unter Tage. Er schildert aber auch die patriarchale Struktur einer Bergarbeiterfamilie, die schweren Arbeitsbedingungen in der Grube und die Erkenntnis, dass der Wohlstand in der Region gewissermaßen "auf Pump" war – bis die Ressourcen in der Erde zur Neige gingen.

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