Kategorie: Filmbesprechung
"Das Leben der Anderen"
Revisited: Florian Henckel von Donnersmarcks preisgekröntes Stasi-Drama
Unterrichtsfächer
Thema
Ostberlin, Hauptstadt der DDR, 1984: Gerd Wiesler ist ein vorbildlicher Hauptmann des Ministeriums für Staatssicherheit. So ungerührt, wie er perfide Verhörmethoden an Auszubildende vermittelt, leitet er auch die als "Operative Vorgänge" bezeichneten geheimdienstlichen Bespitzelungen. Doch als er den Auftrag erhält, den Dramatiker Georg Dreyman und seine Lebensgefährtin, die Schauspielerin Christa-Maria Sieland, zu überwachen, ändert sich etwas. Je länger Wiesler an seinem Posten auf dem Dachboden über der Künstlerwohnung sitzt und die privaten Gespräche abhört, desto mehr wandelt sich seine grundsätzliche Abneigung gegen intellektuelle Kulturschaffende in eine Faszination für das Leben des Paares. Als zunächst passiver Zuhörer erlebt er mit, wie die beiden Künstler/-innen ihre Position im System zunehmend in Frage stellen: Während Dreyman seine Integrität durch einen regimekritischen Text bewahren möchte, ist Sielands Karriere abhängig von der Macht eines Ministers, der dafür sexuelle Gefälligkeiten erwartet. Statt das Paar an die Stasi auszuliefern, manipuliert Wiesler die Abhörprotokolle und greift aktiv in seinen Operativen Vorgang ein – er wird somit selbst zum Autor und Gestalter des Lebens der Anderen.
Das vielfach preisgekrönte Regiedebüt von Florian Henckel von Donnersmarck erzählt in der klassischen Dramenstruktur eines Dreiakters von den Möglichkeiten des individuellen Widerstandes in einem autoritären Staat. Der Kontrast zwischen der kreativen Szene um Dreyman und dem politischen System, das Wiesler verkörpert, zeigt sich schon in der Farbgebung (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) : entsättigte grau-grüne Töne in Verhörräumen und Wieslers Wohnung zeugen von der Seelenlosigkeit des Machtapparates, warme beige-braune Farben in der Wohnung der Künstler/-innen von Menschlichkeit. Die Kamera bleibt nah bei den Figuren (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen), Zum Inhalt: Kameraperspektiven wie Auf- und Untersichten visualisieren die staatlichen Machtverhältnisse. Dreyman und Wiesler begegnen sich nie persönlich, durch Zum Inhalt: Parallelmontagen und Zum Inhalt: Voiceover nehmen sie jedoch scheinbar Bezug aufeinander. So liest Wiesler in seiner Wohnung ein Gedicht von Brecht, im Zum Inhalt: Off eingesprochen mit Dreymans Stimme. Auch die Musik, besonders Die Sonate vom guten Menschen, die Dreyman in seiner Wohnung am Klavier spielt und die von Wiesler in der Einsamkeit des Dachbodens abgehört wird, verbindet die beiden. Diese Nähe zur Kunst ist es auch, die nach und nach die menschliche Seite des Stasi-Mitarbeiters weckt.
Mit seiner sorgsamen Ausstattung (Glossar: Zum Inhalt: Production Design), der Verwendung von Originalschauplätzen (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) und kontextualisierenden Texttafeln suggeriert der Film eine genaue Rekonstruktion der Lebensrealität in der DDR. Im Widerspruch dazu steht allerdings die moralische Wandlung des Stasi-Hauptmanns, deren Darstellung nach Aussage vieler Zeitzeug/-innen klischeehaft und nicht realistisch ist. Ob diese Heldenerzählung und das versöhnliche Ende die Taten der Stasi verharmlost, kann im Anschluss an die Filmsichtung diskutiert werden. Im Geschichts- und Politikunterricht bietet sich zunächst eine Recherche zur Kulturpolitik der DDR und den Strukturen des Ministeriums für Staatssicherheit an. Eine Figurenanalyse hilft, sich mit der Plausibilität der individuellen Entscheidungen auseinanderzusetzen, beispielsweise auch in Bezug auf die eher eindimensionale weibliche Hauptfigur Sieland. Im Fach Deutsch kann die Frage diskutiert werden, inwieweit Autor/-innen mit ihrem Schaffen politische und gesellschaftliche Verhältnisse verändern und gestalten können. Die Erarbeitung von Biografien von staatstreuen oder dissidenten Schriftsteller/-innen in der DDR bietet sich hierzu an, ebenso wie ein Vergleich mit Brechts Der gute Mensch von Sezuan.