Die 17-jährige Fanny, die in ihrer Klasse gemobbt wird, kommt aus Straßburg nach Leipzig (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set), um für einige Wochen bei ihrer Brieffreundin Lena zu bleiben – die Mütter der beiden jungen Frauen kennen sich von früher. Aber Lena, politisch engagiert und wesentlich extrovertierter als die schüchterne Fanny, ist davon nicht begeistert und hat auch wenig Interesse, ihrerseits nach Frankreich zu fahren. Langsam kommen sich die beiden jungen Frauen jedoch näher. Lena nimmt Fanny mit zu ihren Freund/-innen, die beiden probieren psychoaktive Pilze, tauschen vorsichtige Küsse aus. Als Lena dann doch nach Straßburg kommt, sucht sie gemeinsam mit Fanny nach deren geheimnisvoller Halbschwester, die angeblich Aktivistin im Schwarzen Block ist. Plötzlich wird Lena aber klar, was das Publikum schon erahnen konnte: Fannys Geschichten von ihrer Schwester, von einer Freundin, die ungewollt schwanger wurde, und von einer Durchsuchung an der Grenze, sind ein Konstrukt aus erst kleinen, dann immer größeren Lügen, die nun krachend zusammenbrechen.

Regisseurin Claire Burger, selbst in Frankreich nahe der deutschen Grenze aufgewachsen, hat einen klaren und sehr offenen Blick für die verschiedenen Lebensrealitäten der jungen Frauen auf beiden Seiten der Grenze – und kontextualisiert diese historisch wie auch persönlich. Fannys Vater spricht Arabisch und Französisch und kommt aus einer Familie mit Migrationsgeschichte, er arbeitet wie seine Frau für die Europäische Union. In Lenas Familie hingegen sind DDR-Erfahrung und Mauerfall noch spürbar: im Verhalten von Lenas Großeltern, in der offenbar gebrochenen Biografie ihrer Mutter. Die Konflikte sind also zahlreich. Die Kamera bleibt vor allem dicht an den beiden Protagonistinnen, deren Emotionen und Zweifel meist nur reduziert sichtbar werden. Langsam und behutsam entwickelt sich zwischen Fanny und Lena eine Liebesbeziehung. Umso stärker ist der Moment, in dem Fanny begreift, dass ihr Lügengebäude zusammenbricht.

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"Tandem – In welcher Sprache träumst du?" trägt den Schüler/-innenaustausch (das Brigitte-Sauzay-Programm des Deutsch-Französischen Jugendwerks, das deutsch-französische Austauschfahrten fördert, wird erwähnt) gewissermaßen schon im deutschen Verleihtitel; aufgrund seiner Mehrsprachigkeit (es wird Deutsch, Französisch und auch mal Englisch geredet) eignet sich der Film besonders für den Französisch-Unterricht – auch in Bezug auf die besondere Rolle und Position des Elsass. Hier bieten sich vielfältige Anknüpfungspunkte für die Fächer Politik und Geschichte: Neben der deutsch-französischen Freundschaft (die auch im Film sprachlich der "coopération franco-allemande" gegenübergestellt wird) sind das etwa die deutsche Wiedervereinigung mit den Montagsdemonstrationen in Leipzig (die thematisiert und in Fotos gezeigt werden), aber auch die sozialen Bewegungen in Frankreich und das Erstarken des Rechtsextremismus in beiden Ländern – mit anderen Worten: die Vielschichtigkeit der politischen Umbrüche und historischen Entwicklungen, die die Eltern erlebt haben und die noch bei den jungen Menschen der Gegenwart nachhallen. Für viele Kontexte, vor allem das Fach Ethik, bieten sich Gespräche zu Fannys Mythomanie sowie zu ihrer Behandlung durch Mitschüler/-innen an. Interessant ist auch die Frage, wie vor allem Lena mit ihrer Mischung aus hedonistisch anmutendem Lebenshunger und auf das Wohl anderer gerichteten politischen Interessen aktuelle Lebensgefühle und Weltwahrnehmung aufgreift – womöglich typisch für eine Jugend in Zeiten der Polykrise?

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