Kategorie: Serienbesprechung
"All You Need"
Jetzt in der ARD-Mediathek: Serie über vier Männer in Berlin zwischen Liebe, Lust und Alltagsfrust
Unterrichtsfächer
Thema
Vince ist 29 Jahre alt, studiert Medizin in Berlin und lebt mit seinem besten Freund Levo in einer WG. Während ihn tagsüber die Uni fordert, frönt er nachts dem wilden Partyleben inklusive schnellem Sex. Dann jedoch entschließt sich Levo, mit dem Familienvater Tom, der kurz zuvor sein Coming-Out hatte, in dessen Haus in die Vorstadt zu ziehen. Und als auch noch seine gute Freundin Sarina ihr erstes Kind zur Welt bringt, beginnt Vince, seine Lebensführung zu reflektieren. Er wagt sich in eine erste feste Beziehung mit dem Fitnesscoach Robbie. Doch der hat mit ganz eigenen Widerständen zu kämpfen und verheimlicht seine prekäre Wohnsituation und berufliche Schwierigkeiten. So lernt Vince nicht nur die Unwägbarkeiten des Paarlebens kennen, sondern muss auch mit dem Auszug seines langjährigen Mitbewohners klarkommen. Vor allem aber muss er herausfinden, was er vom Leben eigentlich will.
Die ARD-Dramedy-Serie "All You Need" erzählt alltagsnah und unterhaltsam von vier schwulen Männern in Berlin. Jeder von ihnen verkörpert dabei einen anderen Lebensentwurf und repräsentiert andere Facetten schwuler Identität. Vince wird als leichtlebiger Hedonist eingeführt. Seine nächtlichen Clubbesuche werden als befreiende Momente inszeniert (Glossar: Zum Inhalt: Mise-en-scène/Inszenierung). Getaucht in flackerndes Neonlicht (Glossar: Zum Inhalt: Licht und Lichtgestaltung) und zu den Klängen (Glossar: Zum Inhalt: Filmmusik) von Britney Spears lässt er sich zu Beginn auf der Tanzfläche treiben. Das Erzähltempo ist rasant, in schnellen Schnittfolgen (Glossar: Zum Inhalt: Montage) wird gezeigt, wie Vince seine Partybekanntschaft oral befriedigt. Der Sex ist unverkrampft, aber nie pornographisch inszeniert. Nach diesem Einstieg geht die Serie über das reine Abbilden von schwuler Sexualität schnell hinaus: Vince ist als homosexueller Schwarzer Mann ganz spezifischen Diskriminierungserfahrungen ausgesetzt, Robbie hat kürzlich seinen Job verloren und mit Existenzsorgen zu kämpfen und Tom muss sein zuvor traditionelles Familienleben mit seiner nun offenen schwulen Identität verbinden. Diese Vereinbarung von zwei scheinbar verschiedenen Welten wird durch räumliche Kontraste (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) sichtbar: Der aufgeräumten, symmetrischen Vorstadt, in der alles nach festen Regeln funktioniert, stehen schwule Szeneorte wie eine Sauna gegenüber, in der Sex frei gelebt wird. Über Levo schließlich wird das auch in vielen Filmen reproduzierte Klischeebild des extravaganten Homosexuellen dekonstruiert: Er bewegt sich ebenso selbstverständlich durch Einfamilienhäuser wie durch schwule Fetischläden und verweigert sich so einfachen Identitätszuschreibungen. Die Erzählung verläuft dabei nicht chronologisch: Die Serie beginnt mitten im Geschehen und etabliert eine narrative Klammer, die in der letzten Folge geschlossen wird. Flashbacks (Glossar: Zum Inhalt: Rückblende/Vorausblende), die zeitlich vor der ersten Folge angesiedelt sind, vertiefen die Figurenkonstellationen. Abwechslung bietet auch die visuelle Gestaltung. So weckt der häufige Einsatz mit Farbfiltern Assoziationen zu den Bilderwelten auf Instagram.
Gerade wegen der heterogenen Repräsentation homosexueller Lebensweisen bietet sich die Besprechung im Schulunterricht an. In Fächern wie Deutsch oder Sozialkunde kann der Frage nachgegangen werden, inwieweit die Hauptfiguren aus "All You Need" mit stereotypen Darstellungen von Homosexualität im Film und Fernsehen bricht. Hier bietet sich auch ein Rückblick auf die deutsche Fernsehgeschichte und die Debatte um den ersten schwulen Kuss in der Lindenstraße im Jahr 1990 an. Was hat sich seitdem verändert? Die Serie eignet sich zudem als Ausgangspunkt, um das Konzept der Intersektionalität zu diskutieren. Dieses bezeichnet die Gleichzeitigkeit verschiedener Diskriminierungserfahrungen einer Person. Welchen Erfahrungen sind die Serienfiguren ausgesetzt? Auf welche Weise verbinden sich diskriminierungskritische Fragen der sexuellen Identität mit der sozialen Herkunft oder mit dem von Menschen of Colour erlebten Rassismus?