Das armenische Dorf Mardin im Jahr 1915: In der Nacht trennen türkische Soldaten den Schmied Nazaret von seiner Familie und überstellen ihn zum "Straßenbau" in der Wüste, in Wahrheit ein Todeskommando. Durch den Gnadenakt eines türkischen Hilfssoldaten überlebt er das folgende Massaker, verliert dabei jedoch seine Stimme. In einem Flüchtlingslager verliert der gläubige Christ schließlich auch sein Vertrauen in Gott: Seine gesamte Familie, teilt man ihm fälschlicherweise mit, sei von türkischen Soldaten ermordet worden. Im heute syrischen Aleppo kommt er bei einem hilfsbereiten Seifensieder unter, wo er die Wahrheit vom Überleben seiner Zwillingstöchter erfährt. In verzweifelter Hoffnung macht er sich auf eine Suche, die ihn über den Libanon und Kuba bis in die USA führt.

The Cut, Szene (© Pandora)

Im Stil eines klassischen Melodrams macht der deutsche Regisseur Fatih Akin, dessen Familie aus der Türkei stammt, den Genozid am armenischen Volk zum Ausgangspunkt einer episch angelegten Geschichte. Mit westernartigen Wüstentotalen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) und einem sorgfältig recherchierten Zum Inhalt: Ausstattung kann der Film visuell auch durchaus überzeugen. Zu einer Fülle problematischer dramaturgischer Entscheidungen gehört hingegen die kommerzielle Konzession, die armenischen Figuren (in der Originalfassung) Englisch sprechen zu lassen – während alle anderen Ethnien im Film in ihrer Muttersprache reden. Ungelöst bleibt das Problem des sprachlosen Helden, mit dem aufgrund der reservierten Darstellung Tahar Rahims die Identifikation schwer fällt. Ein Vergleich mit Charlie Chaplins bewegendem Stummfilm "The Kid" , den Nazaret in einer der ersten Kinovorführungen sieht, legt diese Schwachstelle ungewollt bloß. Dramaturgisch flach gerät insbesondere die gesamte zweite Hälfte des Films: Von Station zu Station bringt Nazarets Suche nach seinen Töchtern keine neue Erkenntnis.

In der heutigen Türkei wird der Genozid von 1915, dem nach Schätzungen bis zu 1,5 Millionen Armenier/innen zum Opfer fielen, weitgehend totgeschwiegen beziehungsweise von der Regierung nicht als solcher anerkannt. Zwar eignet sich der Film zu einem Einstieg in das Thema. Es sollte im Unterricht jedoch ebenso thematisiert werden, in wie weit die zweifelhaften dramaturgischen Entscheidungen – etwa die Fokussierung auf ein Familiendrama – und die Ausblendung der historischen Umstände die politische Brisanz des Films mindern. Hierbei gilt es, insbesondere die erzählerischen Mittel zu untersuchen, mit denen der Regisseur die Auswirkungen des Genozids beschreibt, um letztlich eher allgemeingültige Betrachtungen zu den Themen Vertreibung und Migration anzustellen. Akin hat wiederholt betont, sich nicht zuletzt am deutschen Umgang mit der eigenen Geschichte zu orientieren. Ein Vergleich mit deutschen "Aufarbeitungsfilmen" zum Dritten Reich wäre hier aufschlussreich. Wie ist vor diesem Hintergrund die Aussage Akins zu bewerten, dass er mit seinem Film einem Massenpublikum den Genozid an der armenischen Bevölkerung in Erinnerung rufen möchte? Die Funktion der christlichen Symbolik im Film könnte ebenfalls diskutiert werden.

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