Kategorie: Filmbesprechung
"Ponyo - Das große Abenteuer am Meer"
Gake no Ue no Ponyo
Ponyo und Sosuke freunden sich an, doch durch eine Unaufmerksamkeit zerstört Ponyo das Gleichgewicht zwischen Meer und Land. Gemeinsam versuchen sie, die Welt wieder ins Lot zu bringen.
Unterrichtsfächer
Thema
Natur in Aufruhr
Das Goldfischmädchen Brunhilde lebt tief auf dem Meeresgrund, aber wäre viel lieber ein Mensch. Ihrem Vater Fujimoto passt das gar nicht. Schließlich hat er vor langer Zeit sein Menschendasein aufgegeben, um als Unterwasserzauberer die Ozeane zu beschützen. Brunhilde schwimmt heimlich davon, gerät prompt in ein Schleppnetz und wird später in einem Marmeladenglas eingeklemmt an die Küste gespült. Dort rettet ihr der fünfjährige Sosuke das Leben und tauft sie Ponyo. Die beiden freunden sich an und tatsächlich beginnt Ponyo, sich in ein kleines Mädchen zu verwandeln. Doch durch eine Unaufmerksamkeit zerstört sie das Gleichgewicht zwischen Meer und Land – mit katastrophalen Folgen. Um die Welt wieder ins Lot zu bringen, ist Ponyo auf Sosuke angewiesen.
Ein modernes Umweltmärchen
Im Stil japanischer Zeichentrickfilme (Glossar: Zum Inhalt: Zeichentrickanimation), sogenannter Zum Inhalt: Animes, überträgt Regisseur Miyazaki Hayao das auf dem Undine-Mythos basierende Märchen Die kleine Meerjungfrau (1837) von Hans Christian Andersen in die Gegenwart und ergänzt die zeitlose Geschichte einer grenzüberschreitenden Liebe um das aktuelle Thema Ökologie. Weiterhin spielt er in "Ponyo" auf die japanische Legende Urashima Tarō an, in der ein Fischer eine Schildkröte rettet, und greift musikalische Elemente aus Richard Wagners Oper Die Walküre (1870) auf. Ähnlich wie in Miyazakis früheren Animes – etwa "Chihiros Reise ins Zauberland" ("Sen to Chihiro no Kamikakushi," JP 2002) oder "Prinzessin Mononoke" ("Mononoke Hime" , JP 1997) – verdeutlicht die fantasievolle Verwebung kanonischer Stoffe aus westlichen und fernöstlichen Kulturen nicht nur deren ungebrochene Wirkkraft, sondern auch ihre Universalität. Um dem Klimawandel oder der Plünderung der Meere zu begegnen, bilden klassische Werte wie Liebe, Freundschaft und Naturbewusstsein die Grundlage für ein harmonisches Miteinander zwischen Mensch und Umwelt. Sosuke, das Zwitterwesen Ponyo und das aufgewühlte Meer, das als eigenständiges Lebewesen dargestellt wird, stehen stellvertretend für diese fragile Beziehung.
Zeichenkunst ohne Computertrick
Selbst wenn die zentrale Botschaft von "Ponyo" von Anfang an klar erkennbar ist, ist ihre erzählerische wie visuelle Entwicklung dank der Vielschichtigkeit des Films außerordentlich spannend zu verfolgen. Dies liegt zum einen an den kunstvoll ausgearbeiteten Zeichnungen und Miyazakis Liebe zum Detail. Vor allem die bunten Meeresszenen faszinieren durch die Anime-typische aufwendige Hintergrundgestaltung und unzählige Tierarten. Ein langsamer Montagerhythmus (Glossar: Zum Inhalt: Montage) löst totale Ansichten immer wieder in Großaufnahmen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) auf. Mal als Unterwasserparadies, mal als bedrohliche Monsterwelle dargestellt, spiegeln die verschiedenen Bewegungen und Farben des Wassers die wechselhafte Natur des Ozeans, zusätzlich charakterisiert durch die stimmungsvolle Zum Inhalt: Filmmusik. Auf Computeranimation hat Miyazaki bewusst verzichtet, die rund 170.000 Einzelbilder von "Ponyo" sind komplett handgefertigt.
Komplexe Charaktere
Zum anderen tragen die Figuren erheblich zur Spannung des Films bei, trotz ihrer für Anime-Charaktere üblichen zeichnerischen Flächigkeit und der stark reduzierten Mimik. Sosuke und Ponyo sind zwar stark typisiert, da sie mit ihren großen Augen und winzigen Nasen genau dem Kindchen-Schema entsprechen und durch Niedlichkeit sofort Sympathie wecken. Nebensächliche Details wie Ponyos Vorliebe für Schinken und die "erwachsene" Fähigkeit der beiden, ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen, verleihen ihnen jedoch Tiefe und Menschlichkeit. Als "normale" Kinder einerseits und als Verkörperung des kindlichen Wunsches nach Gleichstellung mit Erwachsenen andererseits, bieten sie ein hohes Identifikationspotenzial für junge Zuschauer/innen – zumal sie am Ende das Chaos wieder zu ordnen wissen.
Gut und Böse als Einheit
Anders als in vielen westlichen Märchen und Zeichentrickfilmen gibt es keine klare Dualität zwischen Gut und Böse. Immerhin ist Ponyos Ungestüm Auslöser einer gefährlichen Sturmflut. Genauso besitzen auch die verschiedenen Elternfiguren widersprüchliche Eigenschaften: Während Sosukes "gute" Eltern wegen ihrer fordernden Berufe den Jungen oft allein lassen – ein autobiografischer Verweis Miyazakis auf die Beziehung zu seinen eigenen Kindern –, ist Ponyos "böser" Vater in seiner behütenden Strenge genau genommen einfach nur überfürsorglich. Mit dieser differenzierten Figurenzeichnung reflektiert "Ponyo" nicht nur die japanische Religion und Philosophie Shinto, in der Gottheiten durchaus fehlbar sein können, sondern reflektiert zudem gegenwärtige Familienstrukturen.
Mehrdimensionale Erzählung
Als Kombination aus aktueller Gesellschaftskritik und mythologischen Anleihen verbindet Ponyo mehrere Interpretationsebenen. Der Einfluss von Shinto ist dabei unverkennbar. Gottheiten können die Form von Gegenständen oder Naturgewalten annehmen; eine Trennung zwischen Magie und Realität, Richtig und Falsch gibt es nicht. Die ineinander verschränkte moderne Über- und mysteriöse Unterwasserwelt symbolisiert diese Verbindung. Regulierend wirkt dabei der Harmoniegedanke, der sich in Miyazakis filmischen Plädoyers für Liebe, Verantwortung und die Gleichstellung von Mensch und Natur wiederfindet. Dadurch gestaltet sich der Film differenzierter als konventionelle Familienfilme, ohne auf populäre Unterhaltungselemente zu verzichten. Aufgrund seiner kindlichen Perspektive eignet sich "Ponyo" bereits für kleine Kinogänger/-innen. Die Mehrfachkodierung der Erzählung spricht aber ebenso ein älteres Publikum an.