Kategorie: Filmbesprechung
"Frantz"
Das Historiendrama "Frantz" erzählt von der Nachkriegszeit des Ersten Weltkriegs sowohl aus deutscher als auch aus französischer Perspektive.
Unterrichtsfächer
Thema
Quedlinburg 1919, kurz nach dem Ersten Weltkrieg: Anna trauert um ihren Verlobten, der an der französischen Front gefallen ist. Eines Tages beobachtet sie an dessen Grab einen Fremden, der dort Blumen niederlegt. Wie sich herausstellt, heißt er Adrien, ist Franzose und war offenbar ein enger Freund von Frantz, der vor dem Krieg in Paris studiert hat. Adriens Besuch im Elternhaus von Frantz scheitert, sieht der Vater doch in jedem Franzosen den potenziellen Mörder seines Sohnes. Auch im Ort wird Adrien offen angefeindet. Zu tief sitzen die Schmach der militärischen Niederlage gegen Frankreich und der Schmerz über die vielen Toten. Aber der Wunsch, mehr über Frantz zu erfahren, überwiegt und Anna und ihre Schwiegermutter laden Adrien zu sich ein. Im gemeinsamen Erinnern wird der geliebte Mensch lebendig, der Verlust gemildert. Zwischen Anna und Adrien bahnt sich eine Freundschaft an. Doch der junge Mann trägt ein Geheimnis mit sich, das ihn zunehmend belastet.
Stimmungsbild der Nachkriegszeit
Frei nach dem Film "Der Mann, den sein Gewissen trieb" (USA 1932) von Ernst Lubitsch baut Regisseur François Ozon in "Frantz" die Geschichte eines von Schuld geplagten französischen Soldaten aus. Anders als die Vorlage (Glossar: Zum Inhalt: Adaption) erzählt der Film aus der Perspektive der Verlobten Anna. Überwiegend in Schwarz-Weiß (Glossar: Zum Inhalt: Farbgestaltung) gedreht, erzeugen die Filmaufnahmen der jungen Frau, die, ihrer Zukunft mit dem geliebten Mann beraubt, zwischen Friedhof und Wohnhaus im Kreis läuft, eine erdrückende Atmosphäre. Verlust und Hoffnungslosigkeit kommen in den monochromen Bildern (Glossar: Zum Inhalt: Bildkomposition) zum Ausdruck. Zugleich erinnern sie an historische Aufnahmen, und somit trägt dieses Stilmittel zur ästhetischen Rekonstruktion der Zeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts bei. Nur in einigen Momenten, etwa in denen des Glücks, wird das Konzept aufgebrochen und kommt wortwörtlich Farbe ins Bild.
Formal erinnert "Frantz" mit seinen Schwarz-Weiß-Bildern an Michael Hanekes Zum Filmarchiv: "Das weiße Band" (2009), der kurz vor dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs die herrschenden Gewalt- und Machtstrukturen einer Dorfgemeinschaft offenlegt. In "Frantz" geht es dagegen vor allem um die Traumata der Nachkriegsgesellschaft. Der Einsatz moderner Kriegsgeräte hatte zu einem bis dahin unbekannten Ausmaß der Gewalt und insgesamt 3,4 Millionen Toten auf deutscher und französischer Seite geführt. Mit dem Waffenstillstand und der Novemberrevolution von 1918 war das Deutsche Kaiserreich endgültig zerfallen; die harten Konditionen des Friedensvertrags wurden in Deutschland als demütigend empfunden. Die bereits durch den Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 schwer belastete und als "Erbfeindschaft" bezeichnete Beziehung zum Nachbarland Frankreich galt nun als vollkommen zerrüttet. Im Film bündeln sich die kleinbürgerlichen Ängste angesichts dieser politischen Instabilität in der Figur Kreutz, der vergeblich um Anna wirbt. Er und Gleichgesinnte treten Adrien mit offenem Hass entgegen. Als Vorboten der NS-Diktatur finden sie Halt im Nationalismus.
Traum und Lüge versus Wirklichkeit und Wahrheit
Frantz' Eltern und Anna, die ebenso fließend Französisch spricht wie Adrien Deutsch, lassen sich indes durch die Erinnerungs- oder Traumbilder trösten. In warmen Farbtönen "durchbluten" diese den sonst monochromen Film mit Zum Inhalt: Szenen vergangener Zuneigung und Menschlichkeit. Die Leidenschaft für Kunst, Musik und Literatur, die einst Adrien mit Frantz und Frantz mit Anna verband, beginnt nun die Hinterbliebenen von Frantz mit dem jungen Franzosen zu einen. Anna und Adrien tauschen sich mal auf Deutsch, mal auf Französisch aus und gelangen über die Sprachen zu gegenseitigem Verständnis. Doch mit der Aufdeckung von Adriens Geheimnis wandelt sich alles zum Trugbild. Anna muss sich quälenden moralischen Fragen über den Umgang mit Lüge und Wahrheit, Schuld und Vergebung stellen. Wie der nach Frankreich zurückgereiste Adrien fällt sie darüber in eine Depression.
Spiegelung der Schicksale in Deutschland und Frankreich
Je weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr häufen sich solche Spiegelungen und Kontrastierungen der Hauptfiguren und ihrer Heimatländer. In Deutschland wie in Frankreich haben Eltern ihre Söhne in den Krieg geschickt, Menschen andere Menschen getötet, Freundschaften, Familien und Lieben zerstört. Besonders deutlich wird diese ausgefeilte Doppelstruktur, als Anna auf der Suche nach Adrien ihrerseits die Reise ins "Feindesland" antritt. Als Echo auf das Marschlied "Die Wacht am Rhein", das Kreutz im Gasthof von Quedlinburg anstimmt, wird in einem Pariser Bistro der nationale Zusammenhalt mit der französischen Nationalhymne "Marseillaise" beschworen. In Adriens Elternhaus trifft Anna sogar auf ihr französisches Pendant Fanny, Adriens Verlobte. Nach und nach ziehen diese Spiegelungen die humanistische Botschaft des Filmes scharf: Frankreich und Deutschland verbindet mehr, als sie trennt.
Geschichtsvermittlung im Melodram
Der als Melodram inszenierte Plot rund um unerfüllte Liebe, Schuld und Lüge veranschaulicht mit greifbaren Schicksalen, welch weitreichende Auswirkungen der Erste Weltkrieg auf den Frieden in Europa und auf Lebensentwürfe hatte. Damit erinnert Frantz an vergleichbare Filme – etwa "Die große Illusion" (1937) oder "Jules und Jim" (1962) – die ebenfalls das deutsch-französische Verhältnis jener Zeit thematisieren. Mit seiner Spiegelstruktur ermutigt "Frantz" zum Perspektivwechsel und interkulturellen Vergleich, um diesen Tiefpunkt der Beziehungen zwischen zwei zentralen Mächten in Europa zu ergründen. Gleichzeitig greifen die aufgezeigten Parallelen, verknüpft durch den zweisprachigen Dialog der jungen Generation, der Versöhnung zwischen Deutschland und Frankreich als "Motor" der europäischen Integration voraus. Als Anna schließlich, wie Frantz in Adriens Erzählungen, im Louvre vor Manets Gemälde "Der Selbstmörder" steht, blickt sie quasi in die eigene Vergangenheit. Sie erkennt, dass Verlust, Verzweiflung und das Gefühl von Ausweglosigkeit hinter ihr liegen. Sie kann nun die einschneidenden Erlebnisse wie in einem Bild aus der Distanz betrachten und weiterleben. In der Auseinandersetzung mit ihrem persönlichen Scheitern an den Umständen ihrer Zeit ist sie zu einer selbstbestimmten, verständigen Frau gereift.