Kategorie: Filmbesprechung + Arbeitsblatt
"Die Magnetischen"
Les magnétiques
Zwei Brüder und ihre Leidenschaft für Musik und Radio im Frankreich des Jahres 1981
Unterrichtsfächer
Thema
Frankreich 1981. Philippe und sein älterer Bruder Jérôme leben bei ihrem Vater in der Provinz und arbeiten in dessen Autowerkstatt. In diesem Männerhaushalt wird nicht viel gesprochen, schon gar nicht über Gefühle. Abends drehen die beiden Brüder in ihrem Piratensender und beim Feiern mit der Clique auf. Jérôme ist die laute, pöbelhafte Stimme des illegalen Radios, Philippe der stille, aber begnadete Bastler an den Reglern. Am 10. Mai wird der Sozialist François Mitterrand zum Staatspräsidenten gewählt, aber die landesweite Euphorie steckt Philippe nicht an. Am Tag nach der Wahl stirbt Bob Marley und das ist für die Brüder das symbolhaftere Ereignis: Zeichen des Niedergangs einer legendären Epoche musikalischen Ungehorsams, das auch das Ende der brüderlichen Beziehung einläutet. Philippe wird zum Militärdienst eingezogen und als Soldat nach West-Berlin geschickt. Mit Jérômes Freundin Marianne, in die er heimlich verliebt ist, bleibt er über die Magnetbänder seiner Musikkassetten in sehnsuchtsvoller Verbindung.
Vor allem in der ersten Hälfte des Films gelingt es Regisseur Vincent Maël Cardona, den Sound und Spirit einer Epoche, die "Flamme" der frühen 1980er, filmisch heraufzubeschwören: die Drohkulisse von Militärdienst und Kaltem Krieg, die Entzauberung des Hippie-Aufbruchs, die Gegenkultur der freien Radios, die seit den 1960er-Jahren die Funkfrequenzen mit Musik der Jugendkultur bespielten und die Mitterrand in seiner Amtszeit legalisieren sollte. Der Regisseur hat den Film wie eine Radiosendung komponiert: Philippe, der in der Geschichte wenig sagt, spricht in ein Radiomikro zu seinem abwesenden Bruder. In Intro- und Retrospektion kommentieren sein Zum Inhalt: Voiceover und die Zum Inhalt: Musik die filmische Handlung. Der Soundtrack bedient sich an Kultsongs aus Elektro, Cold Wave und Punkrock. In Großaufnahmen (Glossar: Zum Inhalt: Einstellungsgrößen) und in der fein komponierten Tonspur (Glossar: Zum Inhalt: Tongestaltung/Sound Design) überhöht der Film die Haptik und den Klang der damaligen Speicher- und Kommunikationsmedien: Knöpfe, Tasten, Spulen, Teller, Regler, Münztelefon, Walkman und vor allem die Audiokassette (die ab 1983 von der CD verdrängt werden sollte). Der Tonträger enthielt ein aufgewickeltes Magnetband, das sich aus dem Kunststoffgehäuse ziehen oder mit einem Bleistift im Wickel vorspulen ließ. Sie ist Identifikationsmerkmal und Ausdrucksmittel der vordigitalen, analogen Generation der "Magnetischen", die sich ihre Zuneigung über Mixtapes, zusammengeschnittene Tonaufnahmen in selbstgestalteten Kassettenhüllen gestand. Eine versteckte Botschaft war darin immer enthalten, sie musste erst erschlossen und dann in einem passenden Return überboten werden.
Für die heutige digitale Generation mag das wie ein rührender Anachronismus wirken. Relevant bleibt die Frage nach der Art und Weise, wie damals im Vergleich zu heute Musik rezipiert wurde, sowie die allgemeinere Frage danach, was die damalige junge Generation im Vergleich zur heutigen ängstigte, beschäftigte und antrieb. Insbesondere im Fach Musik lassen sich die Geschichte und Technik der analogen Speichermedien sowie die epochenprägenden musikalischen Stilrichtungen thematisieren. Auf die historische Rolle der Piratensender sowie auf die politisch-gesellschaftliche Situation in Frankreich zu Beginn der 1980er-Jahre lässt sich im Fach Geschichte eingehen, hier insbesondere auch auf die empfundene Zeitenwende nach der Wahl von François Mitterrand zum ersten sozialistischen Präsidenten der V. Republik. In Fächern wie Deutsch oder Ethik kann bei der Charakterisierung der Hauptfiguren und anhand einzelner literarischen Zitate aus dem Film über jugendlichen Lebenshunger diskutiert werden.