"One, two, three o'clock, four o'clock, rock" – den Startschuss des Rock'n'Roll-Fiebers gab ein Film. Der Urheber war Bill Haley mit seinem Song "Rock Around the Clock", zu hören im Zum Inhalt: Vorspann von Richard Brooks' Jugenddrama "Die Saat der Gewalt" im Jahr 1955. Die bereits 1952 aufgenommenen Takte brachten das Publikum bei Vorführungen zum Ausrasten, es kam zu Gewaltausbrüchen und Vandalismus, der Song (zuvor lediglich eine Single-B-Seite) wurde ein weltweiter Hit. Es war also genau das geschehen, wovor der Film – in einer fadenscheinigen Erklärung des Studios MGM kurz vor Einsetzen der Zum Inhalt: Musik – warnen wollte: Die Teenagerrebellion war nicht mehr aufzuhalten. Ein simpler Popsong verkehrte die Aussage eines ansonsten eher braven Films in ihr Gegenteil.

Popmusik und Jugendkultur

In der pophistorischen Anekdote stecken bereits mehrere Determinanten der Verwendung von Popsongs im Film: Vorgefertigte, zumal bekannte Musikstücke erzielen eine andere Wirkung als klassische Scores. Signifikante Songs können durch einen Film zum Hit oder wiederentdeckt werden, verschiedenartige Gruppen begeistern, in manchem Fall sogar identitätsstiftend wirken. Und immer stecken dahinter einerseits künstlerische, andererseits kommerzielle Interessen. Der songbasierte Soundtrack ist ein Produkt der Nachkriegszeit, in der insbesondere Hollywood die Jugend- und Gegenkultur als Markt entdeckte. Zugleich dienten Songs wie "Born to be Wild", zu hören von der Band Steppenwolf in "Easy Rider" (USA 1969, Dennis Hopper), als Ausdruck eines Lebensgefühls – aus der Geschichte des Zum Inhalt: Roadmovies ist die Hippie-Motorrad-Hymne seitdem nicht mehr wegzudenken. Dass es auch leiser geht, zeigen zur Zeit des Zum Inhalt: New Hollywood die sensiblen Soundtracks von Filmen wie Zum Filmarchiv: "Die Reifeprüfung" und "Harold und Maude" (USA 1971, Hal Ashby), zum Teil original eingespielt von Simon & Garfunkel beziehungsweise Cat Stevens.

Die Reifeprüfung, Schluss-Szene (© Studiocanal)

Identität und Identifikation

Prinzipiell kann ein Soundtrack jede Funktion herkömmlicher Filmmusik übernehmen. Er kann Identifikation oder Distanz zu den Figuren schaffen, Gefühle ausdrücken, Zum Inhalt: Szenen verbinden, dramaturgische Schwächen ausbügeln. Die wohl häufigste Funktion ist die Illustration von Zeit und Raum: Jazz und Swing für die 1920er-Jahre, Techno für die Nachwendezeit in Berlin, Gershwins "Rhapsody in Blue" für Woody Allens New York in "Manhattan" (USA 1977). Andernorts oft lieblos verwendet, nämlich als bloßes Zeitkolorit, bildet die Musik in den so unterschiedlichen Filmen von Woody Allen, Sofia Coppola, Quentin Tarantino oder David Lynch einen essenziellen Bestandteil des Werks, als Ausdruck der Identität der Filmschaffenden.

Popsongs reflektieren jedoch auch die Identitätsfindung der Figuren. So befeuern in Zum Filmarchiv: "Billy Elliot – I Will Dance" die glamourösen Hits von T. Rex die Wandlung des kleinen Billy vom gebeutelten Working-Class-Jungen zum selbstbewussten Balletttänzer. Wenn die Kinder eines Waisenhauses im französischen Zum Inhalt: Knetfigurenfilm Zum Filmarchiv: "Mein Leben als Zucchini" zu einem deutschen Lied der Band Grauzone ("Eisbär") tanzen, spiegelt sich darin ihre verstörte Gefühlswelt ebenso wie neugeschöpfter Mut: "Ich möchte ein Eisbär sein", heißt es da, denn „Eisbären müssen nie weinen“. Eine solche punktuelle Verwendung von Popsongs, gerne auch out of context, ist im europäischen oder asiatischen Arthaus-Film eher die Regel als der durchgespielte – und hinterher kommerziell verwertbare – Soundtrack US-amerikanischer Prägung. Die zu Rihannas "Diamonds" singenden Banlieue-Mädchen in Zum Filmarchiv: "Bande de filles" oder der passend ausgewählte Handy-Song "Bungalow" der Band Bilderbuch im österreichischen Schuldrama Zum Filmarchiv: "Siebzehn" wären weitere Beispiele für die identitätsstiftende Funktion von Popmusik. Wie einzelne Songs sogar einen ganzen Film bestimmen können, zeigt immer wieder der renommierte Hongkong-Filmemacher Wong Kar-Wai: Ob "California Dreamin'" in oder Nat King Coles "Quizás, quizás, quizás" in – gerade weil sie hier deplatziert wirken, verraten die wehmütigen Songs alles über die Figuren und ihre Träume von einem anderen Leben.

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Zuckerguss und Ironie

Der nicht immer eindeutige, oft auch ironische Umgang mit Popsongs und deren Bedeutung kann bei diesem Thema nicht ausgespart werden. Insbesondere der US-Regisseur Martin Scorsese ist seit jeher bekannt dafür, die krassesten Gewaltszenen seiner meisterhaften Gangsterepen (etwa "GoodFellas – Drei Jahrzehnte in der Mafia" , 1990) mit schwelgerischen Popsongszu ummalen. Indem sie distanzierend wirken, machen sie die Gewalt bekömmlich, dienen aber auch als bitter-nostalgischer Kommentar. In der harmloseren Variante sitzt die traurige Dauersingle Bridget in verheult auf dem Sofa und singt als Karaoke "All by Myself". Jamie O'Neals Trennungsschnulze zwingt das Publikum nicht zur Rührung, sondern zum Lachen. Oder ist es etwas dazwischen? Eine ganz eigene, selten beachtete Methodik hat die deutsche Filmemacherin Maren Ade entwickelt. In ihrem Beziehungsdrama "Alle anderen" (2009) ist es ein Lied von Herbert Grönemeyer, in ihrem Welterfolg ein von der Hauptdarstellerin Sandra Hüller nur unter Protest gesungener Song von Whitney Houston ("Greatest Love of All"), welche die Figuren selbst zum Nachdenken bringen. Mögen sie heimlich diese kitschigen Liebeslieder, die sie doch eigentlich schrecklich finden? Und was sagt das schließlich über ihre eigenen Liebes- und Familienbeziehungen?

Mixtape und Soundtrack

Ob ein Song diegetisch oder nicht-diegetisch, also mit oder ohne im Film erkennbarer Quelle, eingespielt wurde, ist keineswegs unerheblich. Oft sind es jedoch gerade Mischformen, die die größte Wirkung erzielen. In Fatih Akins Roadmovie Zum Filmarchiv: "Tschick" dient das Mixtape (selbsterstellte Kompilation mit verschiedenen Interpreten) im Kassettenrekorder zugleich als Soundtrack, zu Richard Claydermans süßlicher Pianoballade "Pour Adeline" entwickeln die jugendlichen Ausreißer eine besonders intime Beziehung – anschließend wird wieder gerockt.

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Von zahllosen Tanzfilmen wie "Footloose" (USA 1984, Herbert Ross) oder "Dirty Dancing" (USA 1987, Emile Ardolino) ganz zu schweigen. Das wohl noch wichtigere Kriterium ist ein anderes: Diese Songs wollen bemerkt werden, ganz im Gegensatz zu üblicher Filmmusik. Wenn Robin Williams als DJ in dem bitteren Kriegsdrama "Good Morning, Vietnam" (USA 1987, Barry Levinson) Louis Armstrongs "What a Wonderful World" auf den Plattenteller legt und die Nadel fallen lässt, verlangt er die volle Aufmerksamkeit seiner Hörer/-innen. Der übrige Zum Inhalt: Ton wird abgeschaltet, kein Dialog stört die Beziehung zwischen Musik und Publikum. Popsongs im Film stehen in der Musical-Tradition des frühen Kinos, appellieren an Wiedererkennung und schaffen zugleich bleibende Erinnerungsmomente. Sie stiften Gemeinschaft, zwischen Figuren und Publikum, aber oft auch über den Film hinaus. Das Bild verknüpft sich mit einem Lied, im besten Fall so stark, dass Song und Film fortan eine Einheit bilden, nur noch zusammen gedacht werden können. Das musikalische Thema von "Rocky" (USA 1976, John G. Avildsen), die Bee Gees und "Staying Alive" (USA 1983, Sylvester Stallone), Sängerin Sunnys dahingehauchtes Solo im Defa-Film "Solo Sunny" (DDR 1980, Konrad Wolf), Chuck Berrys "You Never Can Tell" in der berühmten Twist-Szene von "Pulp Fiction" (USA 1994, Quentin Tarantino) – dass der Film darüber vergessen wird, wie seinerzeit "Die Saat der Gewalt" , ist eher eine Ausnahme.

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