Wie erinnern wir uns heute in einer Zeit, in der Rassismus und rechtsextremes Gedankengut in sozialen Medien und Politik zunehmend präsent sind, an die Verbrechen im Nationalsozialismus und den Holocaust? Gerade auch dann, wenn die eigenen Eltern oder Großeltern Täter/-innen oder Opfer waren? Wie gehen die Nachkommen mit diesem häufig nur aus Schriftstücken und Fotomaterialien bestehenden "Nachlass" der Verstorbenen um und welche Reaktionen ruft dieses Erbe heute bei ihnen hervor? Christoph Hübner und Gabriele Voss haben in ihrem Zum Inhalt: Dokumentarfilm sieben Kinder und Enkel von NS-Tätern, aber auch Nachfahr/-innen von Holocaust-Überlebenden nach ihren Beziehungen zu diesen Familienmitgliedern befragt – und nach den Gefühlen, die sich bei ihnen nach der Entdeckung der (meistens) von Vätern und Großvätern verschwiegenen Vergangenheit einstellten. Die Berichte der Interviewten stehen exemplarisch für Hunderttausende von Lebensläufen und Familienkonstellationen.

Das Wissen um die Verbrechen kann sehr weh tun. Davon erzählen sowohl der Sohn eines Polizeiführers bei den Einsatzgruppen und eines Fliegerhelden des Zweiten Weltkriegs als auch die Tochter eines SS-Arztes. Zu Wort kommen zudem eine Therapeutin, deren Vater ranghoher SS-Offizier war, sowie ihr Sohn, der selbst als Filmemacher tätig ist, und ihr Kollege, dessen jüdische Großeltern in Ungarn ermordet wurden. Ein mehr als achtminütiges Interview (Glossar: Zum Inhalt: Talking Heads) mit der israelischen Enkelin eines Auschwitz-Überlebenden, die sich in der Berliner Gedenkstätte "Topografie des Terrors" für die Motive der Täter interessiert, vermittelt, wie unterschiedlich Erinnerungskultur erlebt werden kann. Im Wechsel mit den Interviewszenen zeigt "Nachlass" Beobachtungen von der Umgestaltung und Neueröffnung der Dauerausstellung in der Gedenkstätte Buchenwald, vom akribischen Umgang mit Millionen von Ermittlungs- und Prozessakten in einem Archiv und von der Anfertigung von "Stolpersteinen".

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NACHLASS_Trailer from Christoph Hübner on Vimeo.

Jede Generation muss sich die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit und den Umgang mit offizieller und persönlicher Erinnerungskultur neu erarbeiten. Christoph Hübner und Gabriele Voss vermitteln mit ihrem Film, dass dies gerade auch für die eigene Familiengeschichte gilt, die bei vielen bis heute Spuren hinterlassen hat und sich als "Nachlass" nicht einfach verdrängen lässt. Denn die Fragen nach Betroffenheit, Schuld und Verantwortung müssen immer wieder neu gestellt werden, nicht etwa, um ein schlechtes Gewissen zu schüren, sondern um Zukunft bewusst zu gestalten. Unmittelbare Anknüpfungspunkte an den Film bieten sich daher neben dem Fach Geschichte vor allem in Religion/Ethik und Sozialkunde. Der dokumentarische Ansatz von "Nachlass" lässt sich im Deutschunterricht mit fiktionalen Zugängen zu NS-Geschichte von Literaturverfilmungen (Glossar: Zum Inhalt: Adaption) und anderen Zum Inhalt: Spielfilmen vergleichen, etwa "Der Vorleser" ("The Reader" , Stephen Daldry, 2008), "Lore" (Kate Shortland, AU/DE/GB 2012) oder Zum Filmarchiv: "Nebel im August" (Kai Wessel, DE/AT 2017). Diese Filme zeigen, dass es keineswegs nur um das Erbe der Väter geht – auch viele Frauen und Mütter waren Täterinnen.

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