Bewegte Bilder sind in der digitalen Gesellschaft überall: Morgens News auf dem Handy, zwischendurch Clips auf Social Media und abends eine Serie auf dem Tablet schauen. Doch wie soll die Filmvermittlung mit diesen digitalen Bilderfluten umgehen? Werden TikTok-Memes und Influencer-Videos jetzt Teil der Filmbildung? Und wird die Beschäftigung mit Film als spezifischer Kunstform dadurch obsolet? Ständig neue Trends und Tools, verbunden mit den alltäglichen Herausforderungen eines digital wenig fortgeschrittenen Bildungssystems, führen in der Praxis bei filmvermittelnden Personen oft zu Überforderung und Unsicherheit. Gerade auf Grund der Komplexität des Themas zeigt sich die Tendenz, digitale Filmbildung vor allem in Bezug auf ihre konkreten Verbreitungsmedien zu denken: Aufgaben werden nicht mehr ausgedruckt, sondern auf einer interaktiven Website veröffentlicht; Veranstaltungswerbung auf Instagram ersetzt Plakate und Annoncen; zum Erstellen eines Zum Inhalt: Storyboards für ein Filmprojekt nutzen Schüler/-innen statt Papier und Edding eine Tablet-App. Ist das Thema "Digitalität" damit abgehakt?

Wir sind schon längst digital

In einer "Kultur der Digitalität" (ein Begriff des Medienwissenschaftlers Felix Stalder) geht der Einfluss des Digitalen weit über seine technischen Aspekte hinaus. Vielmehr sind alle unsere alltäglichen, gesellschaftlichen und kulturellen Praktiken mittlerweile von Digitalität geprägt. Durch tragbare Geräte wie etwa Smartphones oder Tablets verschmelzen digitaler und analoger Raum zunehmend, insbesondere für Jugendliche und junge Erwachsene, die mit dem Internet aufgewachsen sind.

Westend61 / Vira Simon / picture alliance

Digitalität ist also weniger eine Technik oder ein Tool, für oder gegen das wir uns entscheiden. Sie ist eine Grundbedingung, die sich auf sämtliche Lebensbereiche auswirkt: Kommunikation, Selbstwahrnehmung, politische Teilhabe und natürlich auch auf Bildung und Ästhetik. Jegliche Filmbildung findet also bereits unter Bedingungen der Digitalität statt, wobei die digitale Filmbildung bewusst an diese Realität anknüpft und sie als Chance und Ressource begreift. Selbstverständlich müssen dabei Zugangsbarrieren und hierachische Strukturen, die in Lern- und Bildungsprozessen immer eine Rolle spielen und die auch mit der Digitalisierung einhergehen, kritisch diskutiert werden, hin zu einer Kultur der Partizipation. An dieser Stelle steht aber zunächst ein Versuch, den Begriff der digitalen Filmbildung zu entwirren und in seiner Komplexität weiterzudenken.

Auswählen, sortieren, genau hinsehen: Welche Kompetenzen braucht Digitalität?

Digitalität bringt zunächst einmal neue Lernende mit neuen Bedürfnissen und Fähigkeiten hervor. Der Medienwissenschaftler Felix Stalder sieht eine zentrale Eigenschaft digitaler Gesellschaften in ihrer Zum externen Inhalt: "grundsätzlichen Unübersichtlichkeit" (öffnet im neuen Tab). Um sich im Chaos dieser digitalen Öffentlichkeit selbstbewusst zurechtzufinden und teilzuhaben, müssen Lernende komplexe Verknüpfungen herstellen können. Konfrontiert mit endlosen widersprüchlichen Meinungen, Informationen und Eindrücken müssen sie ständig auswählen, filtern und sortieren – sie werden so gewissermaßen zu Kurator/-innen, Redakteur/-innen und Fakten-Checker/-innen ihrer eigenen Medienumgebung.

Projekte der Medienpädagogik und der politischen Bildung verfolgen hier oft medienkritische und präventive Ansätze: Es geht etwa um das Hinterfragen von Fake News oder die Fallstricke der Selbstdarstellung im Internet. Ergänzend zu diesen Ansätzen eignet sich aber gerade die Filmbildung für einen kreativeren und im weitesten Sinn ästhetischen Zugang. Denn besteht nicht jede Lebensphase eines Films aus Prozessen des Auswählens und des gezielten Hinsehens? Wer schon einmal selbst einen Film gedreht und Zum Inhalt: montiert hat, setzt sich zwangsläufig damit auseinander, wie durch die Anordnung von Bildern bestimmte Perspektiven und Gefühle hergestellt werden. Durch die Verfügbarkeit von Smartphones und Montage-Apps lässt sich die von dem französischen Filmwissenschaftler Alain Bergala geforderte reflexive Verzahnung von Filmproduktion und -rezeption einfacher in den Lernalltag integrieren. Da professionelle und oft auch kostspielige Technik nicht mehr notwendig ist, lassen sich nun auch kleinere Filmexperimente niedrigschwellig realisieren.

Remix: Digitale Bildwelten als Ressource

Hier kann auch an die bestehenden Kompetenzen der Lernenden angeknüpft werden: Denn obwohl die sogenannte Generation Z entgegen gängigen Klischees nicht automatisch eine umfassende, vor allem praktische, Medienkompetenz besitzt, so zeichnet sie doch ein selbstverständlicher und oft spielerischer Umgang mit digitalen Bilderwelten aus. Im Internet eignen sich Jugendliche Bildmaterial an, teilen und verfremden es: eine digitale Kulturtechnik, die der Kunstdidaktiker Torsten Meyer als Zum externen Inhalt: "Sample, Mashup, Hack und Remix" (öffnet im neuen Tab) bezeichnet.

Digitale Filmbildung begreift also existierendes Bildmaterial im Internet nicht als bloße Ablenkung, sondern als Ressource für eigene kreative Aneignungen. Das kann zum Beispiel durch die Montage eigener Video-Collagen geschehen, durch künstlerisches Experimentieren mit KI-generierten Bildern oder auch durch kollaborative filmpraktische Projekte, die Multiperspektivität und Prozesshaftigkeit in den Mittelpunkt stellen.

Film und Kino in einer digitalen Welt

Auch das Objekt der Filmvermittlung – der Film und die Filmkultur an sich – befindet sich in einem stetigen Prozess der Veränderung. Die Umstellung von analogen zu Zum Inhalt: digitalen Aufnahmetechniken hat dazu geführt, dass Filme heutzutage anders aufgenommen, bearbeitet, verbreitet, archiviert – und nicht zuletzt – auch rezipiert werden.

Mit der Verbreitung digitaler Plattformen entstehen neue crossmediale Formate, wie die funk-Webserie "iam.justmyself" oder das Instagram-Projekt Zum Filmarchiv: "Ich bin Sophie Scholl" (Tom Lass, DE 2021). Auch virtuelle Realitäten und interaktive Games spielen eine immer größere Rolle. Doch auch die Ästhetik "klassischer" Kinofilme bleibt nicht unberührt. Clips im 16:9-Smartphone- Zum Inhalt: Format finden ihren Weg auf die Leinwand; Chat-Nachrichten ploppen zwischen Figuren auf und überlagern die reale Welt: So gut wie jeder Film mit zeitgenössischem Setting muss heute einen Umgang mit der Darstellung digital vernetzter Kommunikation finden.

Doch der Einfluss läuft in beide Richtungen. Auf TikTok verbreiten sich zum Teil Filmspielereien - wie Kamera-Zum externen Inhalt: Stopptricks (öffnet im neuen Tab) oder Zum externen Inhalt: Doppelbelichtungen (öffnet im neuen Tab) -, die schon der französische Filmpionier Georges Méliès Ende des 19. Jahrhunderts in seiner Werkzeugkiste hatte. Auch serielle Erzählformen, die heute manchmal als ungeliebte Rivalen "echter" Filme gehandelt werden, gehen bis zu den Anfängen des Kinos zurück: Zu den bekanntesten gehören die Zum Inhalt: Stummfilm-Zum externen Inhalt: Serials (öffnet im neuen Tab) "Les Vampires" (FR 1915) und "Fantomas" (FR 1913) des französischen Regisseurs Louis Feuillade, die jeweils über mehrere Wochen im Kino gezeigt wurden. Eine Offenheit für verschiedene mediale Formen bedeutet also nicht, alles von der Instagram-Story, über die Netflix-Serie bis zum Arthouse-Film gleichzumachen, sondern vielmehr historische, intermediale Verbindungen aufzeigen und Perspektiven zu öffnen.

Beispiel für eine Mehrfachbelichtung: "Un homme de têtes" von Georges Méliès aus dem Jahr 1898 (© Studiocanal/Arthaus)

StudioCanal/Arthaus

Eigene Pfade finden: die Rolle der Vermittler/-innen

Alain Bergala beschreibt den/die Filmvermittler/-in als "passeur" oder "Fährmann". In der digitalen Filmbildung sitzen die Vermittler/-innen dagegen nicht mehr unbedingt am Steuer. Sie gestalten vielmehr Räume und stellen Ressourcen zur Verfügung, mit denen Lernende selbstständig navigieren können. Eigene Pfade gehen, sich zurechtfinden: Das sind Fähigkeiten, die Kinder und Jugendliche in einer digitalen Gesellschaft dringend brauchen. Die Herausforderung liegt darin, digitale Räume zu gestalten, die genug Freiheit zum eigenen Entdecken und Ausprobieren bieten und gleichzeitig sicher und eingegrenzt genug sind, um darin nicht verloren zu gehen.

Die Seite Zum Inhalt: filmspielplatz.de, die für Kinder ab dem Vorschulalter anhand von ausgewählten Zum Inhalt: Kurzfilmen und Erklärvideos Filmbildung greifbar macht, setzt auf visuelles Lernen und verbindet selbstverständlich analoge und digitale Aufgaben. Website- und Videofunktionen ermöglichen eine barrierearme und mehrsprachige Nutzung der Plattform. Das Projekt Zum externen Inhalt: Rhizom Filmgeschichte (öffnet im neuen Tab) des Deutschen Filminstitut & Filmmuseum stellt einen Versuch dar, große audiovisuelle Archive digital nutzbar und erforschbar zu machen. In Form eines Netzwerks stellt die Seite Filmanfänge aus unterschiedlichen Zum Inhalt: Genres und Epochen bereit. Nutzer/-innen können eigene Wege durch das Material finden und selbst Verknüpfungen herstellen. Zum Inhalt: Digitale Werkzeuge zur Filmanalyse wie jenes der AMMMa Ag erlauben ein selbstständiges Ausprobieren und ein nicht lineares Eintauchen in ausgewählte Zum Inhalt: Filmszenen und -bilder, weit weg von einem checklistenartigen Abarbeiten von Gestaltungsmitteln. Diese bestehenden Angebote greifen die Möglichkeiten des Digitalen mit verschiedenen Schwerpunkten auf und bieten Ansätze zum Weiterdenken.

Filmbildung geht viral

Filmbildung findet online nicht bloß in spezialisierten Nischen oder auf pädagogischen Plattformen statt. Auf TikTok drehten Nutzer/-innen Anfang 2023 für die "Wes Anderson Challenge" kurze Alltagsvideos im Stil des US-amerikanischen Regisseurs. Die Challenge ging so viral, dass sich sogar Anderson selbst dazu äußerte (er wisse von den Videos, schaue sie sich aber lieber nicht an). YouTuber/-innen und Kanäle wie Zum externen Inhalt: Every Frame a Painting (öffnet im neuen Tab), Zum externen Inhalt: Thomas Flight (öffnet im neuen Tab), Zum externen Inhalt: Now You See It (öffnet im neuen Tab) oder Zum externen Inhalt: Lindsay Ellis (öffnet im neuen Tab) erreichen mit ihren filmanalytischen Videoessays oft mehrere Millionen Zuschauer/-innen. Ellis erklärt in ihren Zum externen Inhalt: Videos (öffnet im neuen Tab) zum Beispiel die Zum Inhalt: Dreiakt-Struktur anhand von "Mad Max: Fury Road" (George Miller, AU 2015), oder analysiert das "Transformers" - Zum Inhalt: Franchise (Michael Bay/Travis Knight/Steven Caple Jr., USA 2007 ff) aus der Perspektive feministischer Filmtheorie.

Lindsay Ellis

Populäre Videoessays sind sicherlich mitunter oberflächlich und vereinfachend (hier kann eine filmpädagogische Einordnung gut anknüpfen). Ihre Beliebtheit spricht aber für die Neugier, genauer hinzuschauen, anstatt Film als bloßen "Content" zu konsumieren. Eine Möglichkeit für institutionelle Filmbildungsakteur/-innen, an dieses Interesse anzuknüpfen, könnte ein Umdenken der eigenen Social-Media-Nutzung sein: Online-Plattformen sollten als eigenständige Bildungs- und Kulturräume verstanden werden – als Vermittlungsinstanz, nicht als Werbeplattform für Vermittlungsangebote.

KI und Filmbildung

Insbesondere die rasante Entwicklung von Künstlicher Intelligenz wird in den kommenden Jahren Bildung und Medien zunehmend beeinflussen. KI verändert nicht nur, wie wir lernen, Wissen und Kunst produzieren – sie stellt fundamental in Frage, was Kreativität und Wissensproduktion überhaupt bedeuten. In der Filmproduktion wachsen auf der einen Seite die Ängste, dass Gewerke durch KI überflüssig werden. Andere sehen in den neuen Technologien eine Möglichkeit, niedrigschwelliger Zugänge zu Filmproduktion zu schaffen und die Industrie zu demokratisieren. Auch hier kann die Filmbildung sich mit ihrer spezifischen Perspektive einbringen, indem sie Parallelen zu anderen Umbrüchen in der Mediengeschichte aufzeigt und den Einfluss von KI in einen historischen Kontext setzt.

Andererseits kann Filmbildung einen nicht unkritischen, aber doch neugierigen und experimentierfreudigen Umgang mit KI-generierten Bildern anregen. Aus der Kunstpädagogik kommen zum Beispiel spannende Ansätze zur kreativen Arbeit mit KI im Unterricht - was zu einer abschließenden Anregung führt: Interdisziplinäre Impulse und Austausch sind in einer sich rasant entwickelnden Medienumgebung wichtiger denn je. Offenheit, Neugier und der Blick über den eigenen Tellerrand bereichern digitale Filmbildung – und sollten gleichzeitig mit einem Bewusstsein für die eigenen spezifischen Kompetenzen und Expertisen einhergehen.

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