"Marley war tot. Damit wollen wir anfangen." Charles Dickens beginnt seinen 1843 geschrieben Roman Eine Weihnachtsgeschichte (A Christmas Carol) abrupt und ziemlich düster und durchbricht damit die Erwartungen, die üblicherweise mit dieser Zeit im Jahr verbunden sind. Unzählige Male schon wurde sein Werk über einen alten, verbitterten Geizkragen, dem in der Nacht auf Weihnachten drei Geister begegnen, ihn zum Umdenken bringen und zu einem besseren Menschen machen, seither für Kino und Fernsehen adaptiert (Glossar: Zum Inhalt: Adaption). Ebenso vielfältig sind die Herangehensweisen an den Stoff, der als Klassiker gilt. Sie reichen von ernsthaften Dramen ("A Christmas Carol" , 1938) über Musicals ("Scrooge" , 1970) bis hin zu Komödien ("Die Geister, die ich rief" , 1988) und wurden wahlweise als Realfilm oder als Trickfilm (Glossar: Zum Inhalt: Animationsfilm) inszeniert (etwa Richard Williams' gleichnamige Version aus dem Jahr 1971). Eine der kuriosesten Adaptionen aber ist wohl jene aus dem Jahr 1992, in der die Geschichte in einer Mischung aus Real- und Puppenfilm von und mit Muppet-Figuren nachgespielt wird: "Die Muppets-Weihnachtsgeschichte" .

Auch sie beginnt am Tag vor Weihnachten im Büro des Geldverleihers Ebenezer Scrooge. Während seine Angestellten sich auf die Feiertage freuen, grummelt der alte Mann vor sich hin. Er hasst Weihnachten. Und all seine Mitmenschen und -muppets ebenso. Nur seinem Mitarbeiter Bob Cratchit ist es zu verdanken, dass die Belegschaft am Weihnachtstag ausnahmsweise einen Tag frei bekommt. Als Scrooge abends nach Hause kommt, erscheinen ihm die Geister seiner beiden verstorbenen Teilhaber und kündigen für die Nacht weiteren Besuch an. So taucht zuerst ein Geist auf, der Scrooge in die Vergangenheit führt und ihn noch einmal erleben lässt, wie er als Kind und junger Mann war. Danach folgt ein Geist, der ihm in der Gegenwart die Augen für die schwierige Lage öffnet, in der sich sein Mitarbeiter Cratchit befindet. Dessen Sohn Tim ist schwer krank, hat aber dennoch seinen Lebensmut nicht verloren. Der Geist der zukünftigen Weihnacht schließlich zeigt Scrooge, was kommen wird, wenn alles so bleibt, wie es ist.

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Jim Hensons Muppet-Puppen kapern das Dickens-Universum

Während die Handlung sich eng an Dickens orientiert, ist die Wirkung von "Die Muppets-Weihnachtsgeschichte" maßgeblich geprägt vom Auftreten, Aussehen und Verhalten der nicht-menschlichen Hauptfiguren. Die Muppets, deren Ursprung in der zwischen 1976 und 1981 produzierten Fernsehserie "Die Muppet Show" liegt, stehen für Chaos und anarchischen Witz, für aberwitzige Comedy und Musik- und Tanzszenen. Damit konterkarieren die von Hand geführten und von Jim Henson entworfenen Puppen die Düsternis der Vorlage und färben selbst noch die trostlosesten Kulissen dieses im Studio (Glossar: Zum Inhalt: Drehort/Set) gedrehten Films mit einem augenzwinkernden Humor ein. Dabei spielt auch eine Rolle, dass jede Muppet-Figur durch die Show bereits einen eingeführten Charakter besitzt: Kermit, der Frosch, befindet sich stets am Rande der Verzweiflung und ist überaus gutmütig, Gonzo, das extrovertierte Fantasiewesen, steht gerne im Mittelpunkt, daneben gibt es die resolute Miss Piggy, das zottelige, aggressive Tier an den Trommeln sowie die besserwisserischen Grantler Waldorf und Statler aus der Loge.

"Die Muppet-Weihnachtsgeschichte" , die von Jim Hensons Sohn Brian inszeniert wurde, macht sich diese Charaktereigenschaften zunutze und platziert die Figuren in dem Universum von Dickens, wodurch eine Art Verfremdungseffekt erzielt wird. So schlüpft Kermit in die Rolle von Bob Cratchit, Miss Piggy wird zu dessen Frau, als untote Wiedergänger von Ebenezer Scrooges früherem Kompagnon Marley treten Waldorf und Statler auf. Neu hinzu kommt Gonzo, der als allwissender Erzähler Charles Dickens durch den Film führt und das Publikum direkt anspricht und sich dabei seiner Doppelrolle als Erzähler und Schauspieler bewusst ist. In kurzen Gastauftritten sind darüber hinaus nahezu alle bekannten zentralen Figuren der TV-Show zu sehen und kapern den ernsten Grundton der Handlung. In unbändiger Fabulierlust lässt der Film nebenbei auch Hühner auf Eis schlittern oder zeigt, wie die Ratten in Scrooges Büro sich auf den Feierabend vorbereiten und sich mit Katapulten zu den Jalousien schießen lassen, um diese zu schließen.

Eine Gemeinschaft, in der jeder seinen Platz hat

Als einziger menschlicher Hauptdarsteller und eigentliche Hauptfigur tritt Michael Caine in der Rolle des Ebenezer Scrooge auf. Schon dadurch hebt diese Figur sich ab in dieser künstlichen, vorwiegend mit schillernden Muppets bevölkerten Welt, in der Puppen gleichberechtigt neben Menschen auftreten und mit diesen interagieren, und fällt aus dem Rahmen. Als Mensch bietet er prinzipiell die beste Identifikationsfläche für das Publikum. Gerade deshalb ist die Besetzung besonders hintersinnig, weil der Schurke eben nicht von einem Muppet gespielt wird und sich somit eine Kritik am menschlichen Wesen ableiten lässt. Während jedoch die anderen Figuren sich nicht verändern, durchläuft Scrooge die größte Entwicklung. Je mehr das Publikum über seine Vergangenheit erfährt, desto sympathischer wird die Figur. Zunehmend wird deutlicher, warum Scrooge so wurde, wie er ist. Eine der wichtigsten Botschaften des Films ist es schließlich, Eigenschaften nicht als gegeben hinzunehmen. Die Handlung macht vielmehr deutlich, dass Veränderungen immer möglich sind.

Während sich der Witz des Films erst komplett erschließt, wenn auch die selbstreflexive Ebene betrachtet wird, die Vorwissen über die Muppet-Figuren erfordert, funktioniert die Geschichte des bekehrten Menschenfeinds auch für sich. Im Gewand einer Komödie erfüllt der Film so alle Erwartungen an einen Weihnachtsfilm. Er erzählt über das (verborgene) Gute im Menschen, über Schuldeingeständnisse und Vergebung – und er feiert die Gemeinschaft, in der jeder seinen Platz findet, egal ob Frosch oder Schwein, Muppet oder Mensch.

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