Wer in Berlin einen Film sehen möchte, hat laut offiziellen Hauptstadt-Portal derzeit 96 Kinos mit 266 Sälen zur Auswahl. Vom neusten Blockbuster über Arthaus-Produktionen bis zum Klassiker ist täglich fast alles im Angebot. In der Hansestadt Wismar (42.550 Einwohner/-innen, Stand 31.12.2018) gibt es ein Multiplex mit vier Sälen und gelegentliche Filmvorführungen im Filmbüro Mecklenburg-Vorpommern. Das nordhessische Witzenhausen (15.167 Einwohner/-innen, Stand 31.12.2018) hat ein Filmkunsttheater mit zwei Sälen und im Boitzenburger Land, einer Gemeinde im brandenburgischen Landkreis Uckermark mit 3.102 Einwohner/-innen (Stand: 31.12.2018), existiert kein einziges gewerbliches Lichtspielhaus.

Kinos sind soziale und kulturelle Orte

Die Beispiele zeigen: Es gibt hierzulande Orte und Regionen, in denen ein Kinobesuch im Voraus geplant werden muss und mit erheblichen Zeit- und Organisationsaufwand verbunden ist, es sei denn, dass private, oft ehrenamtlich und mit hohem Engagement betriebene Initiativen in mehr oder weniger regelmäßigen Abständen ein Filmprogramm vor Ort anbieten. Das Fehlen eines Filmtheaters mag zunächst nebensächlich erscheinen, gibt es doch Orte, die noch nicht einmal über Einkaufsmöglichkeiten, Schulen oder Arztpraxen verfügen. Es ist eines von vielen Symptomen des zunehmenden Stadt-Land-Gefälles und des andauernden Strukturwandels, der unter anderem von Landflucht und Überalterung der Gesellschaft geprägt ist. Das Fehlen eines Filmtheaters markiert einen Verlust an gesellschaftlicher und kultureller Teilnahme. Denn Filmkunst ist ein kulturelles Gut, zu dem alle Zugang haben sollten.

Filmbildung in ländlichen Regionen

Kinofilme – idealerweise auf großer Leinwand – zu sehen, ist zudem Voraussetzung für eine außerschulische und schulische Filmbildung. Sie ist als Teil der kulturellen Bildung und Medienbildung in vielen Rahmenlehrplänen bereits fest verankert. Die Möglichkeiten dazu unterscheiden sich je nach Wohnort erheblich – eine Tatsache, die kinofenster.de zum Anlass genommen hat, sich in einem Dossier mit dem Thema "Filmbildung im ländlichen Raum" auseinanderzusetzen. Als grundlegende Prämisse gilt dabei, dass Filmbildung prinzipiell "überall möglich" ist, wie der Filmpädagoge und Filmjournalist Holger Twele in seinem Überblicksartikel schreibt. Darin skizziert er bereits bestehende Strukturen und Initiativen für eine flächendeckende Filmbildung und stellt beispielhaft Projekte vor, die sich speziell an Zielgruppen im ländlichen Raum richten. Neben den Angeboten des Bundesverband Jugend und Film (BJF) sind das etwa mobile Kinos oder Abspielringe, bei denen die Filme quasi von einem Spielort zu anderem wandern, oder Filmfestivals für Kinder und Jugendliche. Anhand von drei Interviews stellen wir zudem weitere Filmbildungsprojekte vor, die – auch oder gezielt – im ländlichen Raum aktiv sind, darunter das hessenweite Projekt FILMmobil des Deutschen Filminstitut & Filmmuseum (DFF) in Frankfurt am Main.

Der Film kommt via Internet

Richtungsweisend im Bildungsbereich ist dabei die Online-Distribution von Filmen, die neben dem Kinobesuch eine ortsungebundene Filmsichtung ermöglichen und besonders in kinolosen Gemeinden und Regionen die Filmbildungsarbeit erleichtert. In jedem Bundesland können Lehrerinnen und Lehrer mittlerweile auf ein bis zwei Schulfilmserver zugreifen, deren Angebote meist von den kommunalen Medienzentren erworben und per Medien-on-Demand zur Verfügung gestellt werden. Ortsungebundene Filmsichtungsmöglichkeiten bietet unter anderem der BJF seinen Mitgliedern an. Ein Teil seines Filmprogramms steht zum kostenpflichtigen Download oder Streaming zur Verfügung, während beispielsweise die Bundeszentrale für politische Bildung (bpb), um ein anderes Beispiel zu nennen, in ihrer Mediathek ausgewählte Zum Inhalt: Dokumentarfilme zur kostenlosen – aber ausschließlich privaten, also nicht öffentlichen – Sichtung via Internet bereithält.

Langfristig können Film und Video für die schulische Filmbildungsarbeit auch über digitale (und kollaborative) Lernplattformen zugänglich gemacht werden. Das Land Niedersachsen erprobt derzeit in seinem Projekt n-21 die Etablierung von sogenannten Bildungsclouds (NBC) im Schulunterricht. An der Entwicklung einer modernen Lehr- und Lerninfrastruktur arbeitet auch das Potsdamer Hasso-Plattner-Institut für Digital Engineering. Die "HPI Schul-Cloud" soll einen einfachen Zugang zu digitalen Unterrichtsinhalten ermöglichen.

Stärkung von Kulturorten

Eine technische Infrastruktur mit leistungsfähigen Breitbandnetzen vorausgesetzt, erleichtern digitale Distributionswege die Filmbildung ungemein. Filme werden schon lange nicht mehr nur im Kino gesehen, sondern oft genug auch auf dem Smartphone, Tablet und Computer. Das bekommen die Kinos allerdings zu spüren: Nach Angaben der Filmförderanstalt FFA haben sie 2018 13,9 Prozent weniger Eintrittskarten als im Vorjahr verkauft. Auch wenn sich dieser Trend, so die Halbjahreszahlen 2019 der FFA, in diesem Jahr nicht fortzusetzen scheint, gilt es, den Kinosaal als Kulturort in der Stadt wie auch jenseits der Metropolen, die zusätzlich mit strukturellen Standortnachteilen zu kämpfen haben, zu erhalten. Hier setzt das im Juli 2019 gestartete und mit fünf Millionen Euro dotierte "Soforthilfeprogramm für Kinos im ländlichen Raum" an, mit dem die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) einmalig Förderhilfen von jeweils bis zu 25.000 Euro für Kinos in Gemeinden mit höchstens 25.000 Einwohnern/-innen gewährt. Gedacht sind diese Mittel beispielsweise für die Bereiche Marketing, Ton- und Projektionstechnik oder Barrierefreiheit. 20 Prozent der Investitionskosten müssen die Spielorte jedoch selbst beisteuern. Ziel der Maßnahme ist es, Filmtheater in ländlichen Regionen bis zum tatsächlichen Start des "Zukunftsprogramms Kino" im Jahr 2020 zu unterstützen und ihr Fortbestehen zu sichern.

Land, Kino,… Filmbildung!

Das Soforthilfeprogramm, das rein rechnerisch insgesamt 200 Landkinos erreichen kann, zeigt, dass die Bedeutung von Filmtheatern als soziale, kulturelle und nicht zuletzt auch wirtschaftliche Orte in ländlichen Regionen erkannt wurde. Ob die Fördersumme ausreicht, um die Kinolandschaft ländlichen Raum zu stärken, steht auf einem anderen Blatt. Doch sicher ist, wo ein Kino steht, findet Kultur statt, kommen Menschen zusammen und profitieren auch Schulen und Bildungseinrichtungen von diesem Angebot. Derartige Vernetzungen sind zentral für eine nachhaltige Filmbildungsarbeit.

Last but not least: kinofenster.de hat für dieses Dossier eine kommentierte Linkliste mit Filmbildungsangeboten zusammengestellt, die direkt im ländlichen Raum agieren oder diesen mit einbeziehen. Wenn Ihr Angebot oder ein Ihnen bekanntes Filmbildungsprojekt nicht dabei sein sollte, schreiben Sie uns: E-Mail: info@kinofenster.de.

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