Wie jeder geschichtliche Mythos wurde auch das Jahr 1968 immer wieder zum Filmstoff – sei es als Spielfilm oder als Zum Inhalt: Dokumentarfilm. Da die Umwälzungen jenes Jahres zu einem Teil selbst vom Kino geprägt waren, maßgeblich vom Kino Hollywoods und der französischen Nouvelle Vague, sind die Wechselwirkungen komplex. Niemand hat das deutlicher zum Ausdruck gebracht als der italienische Filmveteran Bernardo Bertolucci in seinem Film (2003). Selbst am Rande der damaligen Ereignisse beteiligt, erinnert er gleich zu Beginn an einen ungewöhnlichen Umstand: Die teils gewaltsamen Unruhen des Pariser Mai '68 hatten ihren Ursprung in der Besetzung der Cinématheque française – die Studierenden wollten ihre Träume dort verwirklichen, wo sie sie herhatten. In einer geschickten Zum Inhalt: Montage dokumentarischer und gespielter Zum Inhalt: Szenen ist der Schauspieler Jean-Pierre Léaud gleich zweimal zu sehen, zunächst 1968 als jugendlicher Demonstrant, dann als schon deutlich älterer Protestführer in der Verfilmung der Ereignisse.

Ist die Liebe zum Kino konterrevolutionär?

Die historische Wahrheit – eigentlich ging es um die Absetzung des beliebten Kinemathek-Leiters Henri Langlois – ist für Bertoluccis "Träumer" kaum von Belang. Bereits das Filmeschauen betrachten sie als revolutionären Akt. Mit liebevoller Ironie und zahllosen Zitaten hinterfragt der Filmemacher hier auch seinen eigenen Standpunkt: Ist die französische Sitte der "Cinephilie" nicht eigentlich konterrevolutionär? Kunst oder Leben? Einer ähnlichen Selbstbefragung stellt sich in Zum Filmarchiv: "Die wilde Zeit" (2012) auch Olivier Assayas. Zu Beginn, im Jahr 1971 und damit in den Nachwehen von 1968, ist sein Alter Ego Gilles ein glühender Aktivist. Der Gymnasiast verteilt Flugblätter und beteiligt sich an einer Graffitiaktion im Schulgebäude, bei der ein Wachmann verletzt wird. Doch auf der Flucht durch Italien mehren sich die Zweifel. Der politische Aktivismus seiner Freundin Christine, die sich einem Filmkollektiv anschließt, wird ihm fremd. Seine eigene Malerei erscheint ihm revolutionärer als die mühevolle Propaganda und Aufklärungsarbeit in Betrieben und Schulen. Oder ist auch das nur ein Irrtum? Der französische Regisseur schildert, wie der revolutionäre Elan allmählich ermüdet und schließlich verschwindet wie eine verflossene Liebe. Der einstige Idealismus weicht pragmatischeren Ansätzen.

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Zwischen persönlicher Erinnerung und kollektivem Gedächtnis

Anstelle solch individueller Erinnerungsarbeit bemüht der deutsche Film immer wieder das kollektive Gedächtnis. Anhand bekannter Bilder und Personen beschreiben Zum Filmarchiv: "Der Baader Meinhof Komplex" (2008) und (2011) die Ursprünge des RAF-Terrorismus. So unterschiedlich die Ansätze: Mit den oft beschworenen "Folgen von 1968" geraten Studentenunruhen und außerparlamentarische Opposition insgesamt ins Zwielicht. Möglicherweise positive Aspekte wie die sexuelle Revolution, für Bertolucci und Assayas zentral, spielen keine Rolle. Eine originellere Variante desselben Themas bot Lars Kraumes Zum Inhalt: Science-Fiction-Film "Die kommenden Tage" (2010). Gezeigt wird die revolutionäre Situation einer nahen Zukunft: Studierendenproteste und hochtrabende WG-Diskussionen erinnern an die einschlägige Ikonografie, die jungen Terroristen und Terroristinnen tragen – zum Teil mit denselben Darsteller/-innen besetzt – deutliche Charakterzüge von Andreas Baader oder Gudrun Ensslin. Umso aktueller sind die neuen Themen, von ökologischen Katastrophen über Migrationsbewegungen bis zur Gefahr einer rechtsnationalen Regierung.

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Familiengeschichten

Eine überzeugende Symbiose zwischen persönlichen und kollektiven Erinnern findet das italienische Historienepos Die besten Jahre (2003, R: Marco Tullio Giordana). Bei den Turiner Barrikadenkämpfen von 1968 und 1974 finden sich die Brüder Matteo und Nicola auf unterschiedlichen Seiten wieder. Frustriert vom verkrusteten Universitätssystem, hat sich der sensible Matteo beim Militär eingeschrieben; der Mediziner Nicola, eigentlich kein Radikaler, geht den langen Marsch durch die Institutionen und widmet seine Kraft der nach 1968 angeschobenen Psychiatriereform. Mit leichter Hand gelingt es der Familiensaga, die Brüder nicht als plumpe Antagonisten aufzubauen – beide leiden an ihrer Heimat Italien, dessen Geschichte über den Terror der Roten Brigaden und der Mafia bis in die Berlusconi-Jahre verfolgt wird. Stille familiäre Konflikte zeigt auch der rumänische Film (2016), in dem zwei unterschiedlich angepasste Brüder den kranken Vater zu einer geplanten Operation in die DDR begleiten und dort die sowjetischen Panzer sehen, die zur Niederschlagung des Prager Frühlings über die Grenze rollen. Konventionell erzählt, schildert der Film doch die Anziehungskraft von 1968 auch in den ehemaligen Ostblockstaaten. In einer verblüffenden Archivaufnahme sieht man eine Rede des damaligen rumänischen Präsidenten Nicolae Ceaușescu, der den sowjetischen Einmarsch vehement verurteilt.

Gegen Ausbeutung und Rassismus: Die Frauen von 1968

Dem Übergewicht an männlichen Protagonisten stehen nur wenige Filme über Frauen (und von Frauen) gegenüber. Basierend auf tatsächlichen Ereignissen, streiken in Zum Filmarchiv: "We Want Sex" (2010) die ausgebeuteten Arbeiterinnen der britischen Ford-Werke für bessere Arbeitsbedingungen. Mit lauten Studentenprotesten und freier Liebe haben die braven Näherinnen nichts am Hut. Ihre Forderung ist weit radikaler: "We want sexual equality" steht auf einem ihrer Transparente, das sich durch einen heiteren Zufall auf den Filmtitel reduziert. Ebenfalls als Komödie inszeniert der australische Film (2012) die wahre Geschichte der gleichnamigen Aborigine-Girlgroup, die im Jahr 1968 zur US-Truppenunterhaltung in Vietnam engagiert wird. Durch den historischen Zufall verbindet sich der Kampf der Indigenen gegen Rassismus mit der Geschichte der US-Bürgerrechtsbewegung.

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Vietnam und Black Power: Was wurde aus der Revolution?

Im US-Kino selbst sind die gegenkulturellen Kämpfe jener Epoche freilich ein weites Feld, das sich kaum auf das Jahr 1968 reduzieren lässt. Zahllose Filme feiern die Hippiekultur von "Peace and Love", etwa Ang Lees nostalgische Reminiszenz (2009) über die chaotische Organisation des berühmten Musikfestivals. Aufschlussreicher gestaltet sich der Dokumentarfilm (2011), der unter anderem belegt, dass Anti-Vietnam-Protest und die schwarze Bürgerrechtsbewegung tatsächlich zusammenhingen. In den wiederentdeckten Aufnahmen eines schwedischen Filmteams kommen Intellektuelle wie Angela Davis und die Leitfiguren der radikalen Black Panthers zu Wort. Ein zentraler Punkt ist die mögliche Legitimität von Gewalt – im Kontext von Rassenunruhen und Polizeigewalt, wie sie der Film Zum Filmarchiv: "Detroit" (2017) zeigt, erscheinen solche Diskussionen zumindest verständlich. Auch in der europäischen Studentenbewegung von 1968 war die Gewalt ein immer wieder heiß diskutiertes Thema, und nicht selten lieferte die nordamerikanische Gegenkultur Vorbilder. Von der Radikalität damaliger Positionen, die sich vor allem nach 1968 auch im Film niederschlug, ist das heutige Kino allerdings weit entfernt. Die Filme über diese Zeit reflektieren und kontextualisieren, greifen ein wenig von der revolutionären Ästhetik auf, oft klug, manchmal einfach nur bewundernd und ein wenig sehnsuchtsvoll. Der unmittelbare Zugriff auf die Verhältnisse scheint nicht mehr gegeben. Was bleibt, ist der Mythos.

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