Kategorie: Hintergrund
Den Opfern eine Stimme geben: Filmische Perspektiven auf den Rechtsterrorismus
Filme über rechstextreme Gewalttaten nehmen zunehmend die Perspektive der Opfer ein, deren Stimmen lange nicht wahrgenommen wurden.
Als sich die Attentate auf ihre Familien ereignen, liegt Katja gerade in einem Hamam, Semiya sitzt im Unterricht ihrer Internatsschule und Özcan verbringt einen Nachmittag in seinem Schrebergarten. In den Filmen Zum Filmarchiv: "Aus dem Nichts", Zum Filmarchiv: "Die Opfer – Vergesst mich nicht" und sind die Momente, in denen jeweils ein rechtsextremistisch motivierter Terroranschlag das Leben dieser Menschen für immer verändert, auf tragische Weise alltäglich – gerade weil sie nicht vor Ort sind und nichts von ihrem Unglück ahnen. Besonders dramatisch Zum Inhalt: inszeniert Fatih Akin in "Aus dem Nichts" hingegen den Augenblick, in dem Katja (Diane Kruger) den Mord an ihrer Familie realisiert: In Panik durchbricht sie eine Polizeisperre und findet nur noch das ausgebombte Geschäft ihres Mannes und abgedeckte Leichen vor.
So sehr sich das schmerzliche Erleben ähnelt, Opfer eines Anschlags von Neonazis geworden zu sein, so unterschiedlich ist doch die narrative Konstellation der drei Filme: Katja ist die Hauptfigur eines Spielfilms, der von einem fiktiven Terrorakt erzählt; Semiya Şimşek ist eine reale Person, die hier in einem Zum Inhalt: fiktionalen Werk nach wahren Begebenheiten von der Schauspielerin Almila Bağrıaçık verkörpert wird; Özcan Yildirim hingegen steht in dem Zum Inhalt: Dokumentarfilm "Der Kuaför aus der Keupstraße" selbst vor der Kamera und berichtet von dem NSU-Bombenanschlag auf sein Friseurgeschäft im Jahr 2004, den sein Bruder Hassan und einige Freunde nur mit Glück überlebten.
Stimmen, die lange Zeit nicht gehört wurden
Beim filmischen Geschichtenerzählen, ob fiktional oder dokumentarisch, ist die Wahl der Perspektive stets bedeutsam. Das gilt umso mehr, wenn ein Werk von realen Gewalttaten handelt, in denen Menschen verletzt und getötet worden sind (und der Tathergang noch nicht restlos aufgeklärt werden konnte). Während es in den letzten Jahrzehnten gab, insbesondere über rechtsextreme Jugendliche, nehmen die bisher veröffentlichten Filme zum rechten Terrorismus mehrheitlich die Perspektive der Opfer und ihrer Familien ein. Dies geschieht aus Anteilnahme und vor dem Hintergrund, dass im Fall des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) die Stimmen der Opfer und ihrer Angehörigen jahrelang von den Behörden nicht zur Kenntnis genommen worden sind. Die Filme unterscheiden sich allerdings darin, wie sie versuchen, den Betroffenen des Rechtsterrorismus eine Stimme zu geben.
So sieht man in "Der Kuaför aus der Keupstraße" nicht nur die realen Protagonisten, sondern auch Schauspieler/-innen auftreten, die als Zum Inhalt: Talking Heads in Verhörsituationen Zum Inhalt: die protokollierten Aussagen der Opfer gegenüber der Polizei nachspielen. Durch das abstrakte Reenactment, in einer Zum Inhalt: leerstehenden Fabrikhalle in Szene gesetzt, wo nur die Umrisse der Keupstraße mit Kreide auf den Boden gezeichnet sind (wie in Lars von Triers ), gewinnt Regisseur Andreas Maus eine zweite Ebene gegenüber den Zeitzeugen-Interviews aus der Gegenwart. Doch auch wenn er so stilistisch eine gewisse Distanz zum Geschehen schafft, legt er den thematischen Fokus unmissverständlich auf das Leid der Betroffenen, die sich nach dem Bombenanschlag zum Teil jahrelang gegen falsche Verdächtigungen wehren mussten. Der damalige Kölner Polizeipräsident Klaus Steffenhagen kommt zwar auch zu Wort, wiederholt aber nur mehrfach, dass ihm in dem Fall keinerlei Ermittlungsfehler bekannt seien. Weitere Beamte sprechen nicht.
Doppeltes Leid: Opfer werden zu Tatverdächtigen
"Es gab zwei Bomben", sagt hingegen die Verkäuferin eines benachbarten Brautmodengeschäfts. "Die eine hatte diese Wucht mit den Nägeln; die andere, das war der Rechtsstaat, der nicht funktioniert hat. Das war eigentlich die größere Bombe, die das Vertrauen nach außen und auch innerhalb der Straße kaputt gemacht hat." So ließe sich vielleicht auch der Tenor all jener Filme zusammenfassen, die in erster Linie den Blickwinkel der Betroffenen des Rechtsterrorismus einnehmen. In Köln etwa wurden Özcan Yildirim und seinen Kunden von der Polizei und den Medien fälschlich eine Nähe zum Drogen- und Rotlichtmilieu vorgeworfen. Anderen Angehörigen der NSU-Opfer widerfuhr das Gleiche. "Schutzgelderpressung, Blutrache, Bandenkriege – alles denkbar in diesem Milieu", so formuliert es ein BKA-Chef in "Die Opfer – Vergesst mich nicht" .
Die Terroristen spielen in diesen Erzählungen wohl auch deshalb kaum eine Rolle: Aus ihren Taten spricht blanker Hass, der in den Filmen weder einer Erklärung noch einer weiteren Anklage bedarf. Demgegenüber stehen die Sicherheitsbehörden, die den NSU frühzeitig hätten stoppen müssen, umso mehr in der Kritik. Auch der experimentelle Dokumentarfilm "6 Jahre, 7 Monate und 16 Tage – Die Morde des NSU" (Sobo Swobodnik, 2017) sammelt in seiner nüchternen Zum Inhalt: Ton-Collage aus Zeitungsmeldungen, Ermittlungsprotokollen und Prozessaussagen Indizien, die beim NSU-Komplex ein umfassendes "Staatsversagen" belegen sollen. Die enorme Faktensammlung kombiniert der Film mit spröden Zum Inhalt: Schwarz-Weiß-Aufnahmen von menschenverlassenen Tatorten der Mordserie und einem elektronischen Avantgarde- Zum Inhalt: Soundtrack: Stilmittel, die den Film seltsam kalt erscheinen lassen.
Reaktionen auf Unrecht und rechtsstaatliches Versagen
Die Spielfilme zum Rechtsterrorismus setzen freilich stärker auf Emotionen. Identifikationsfiguren wie die Jugendliche Semiya Şimşek oder der Journalist Ulrich Chaussy (Benno Fürmann) in "Der blinde Fleck" (Daniel Harrich, 2013), einem TV-Film über das bis heute nicht aufgeklärte Oktoberfest-Attentat in München von 1980, dienen dabei als moralische Fixpunkte einer mühseligen Suche nach Gerechtigkeit. Die Filme beruhen jeweils auf autobiografischen Buchvorlagen. Sowohl Chaussy, eine Stellvertreter-Figur für die Opfer des schwersten Terroraktes der deutschen Nachkriegsgeschichte, als auch Şimşek geben den Glauben nie auf, dass durch ihr demokratisches Engagement die terroristischen Taten und das Versagen im Staatsapparat restlos aufgeklärt werden können.
An genau diesem Punkt bildet Akins "Aus dem Nichts" eine augenfällige Ausnahme: Im Gegensatz zum NSU wird das neonazistische Täter-Duo hier nach nur kurzer Zeit geschnappt. Der Rechtsstaat "scheitert" erst vor Gericht und muss die Mörder in die Freiheit entlassen, und zwar in einem – so stellt es der Film dar – formaljuristisch korrekten Verfahren. Zum Inhalt: Aus Sicht der Protagonistin Katja filmt Akin die Gerichtsverhandlung als Farce, die ein diabolischer Strafverteidiger nach Belieben dominiert. So schafft "Aus dem Nichts" zumindest eine Grundlage für anti-demokratische Affekte – etwa die Haltung, dass besonders schweren Straftätern ein rechtsstaatliches Verfahren gar nicht erst zustehen sollte. In ihrer ohnmächtigen Trauer kann Katja den Freispruch der offenkundig schuldigen Neonazis nicht akzeptieren. Doch ihr Wunsch nach Vergeltung führt zu einem Akt von Selbstjustiz, von dem sich der Film aufgrund seiner dramaturgischen Logik nicht ausreichend distanzieren kann. Auf Basis der Empathie mit der Hauptfigur erscheint der Selbstmordanschlag in der Schluss- Zum Inhalt: Szene plötzlich allzu "verständlich".